Auf einsamen Balkanpfaden (Balkantour Mai/Juni 2017 – Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Serbien)

Prenj-Gebirge
Prenj-Gebirge

Die Regenhose stopfe ich doch noch in letzter Minute in den Rucksack. Ich habe zwar einen Poncho, aber so recht traue ich dem Teil nicht. Es ist Freitag Nachmittag und so langsam lässt der Regen nach. Auf dem Weg zum Bahnhof zeigt sich sogar die Sonne. Egal, die paar Gramm mehr werden mir keine zusätzlichen Schweißperlen auf die Stirn zaubern. Es geht zum vierten Mal auf den Balkan – erst mal ein paar Tage nach Serbien und anschließend nach Bosnien und in die Herzegowina. Anne war schon einmal dort, als das Land noch zu Jugoslawien gehörte und konnte sich an eine wilde Bergregion erinnern. Dort sollte doch auch wandern möglich sein! Wir wollen es herausfinden.

Die weiße Stadt

Es gab schon einige Gründe weshalb ich mit der Bahn mein Reiseziel nicht pünktlich erreichte – klassische Verspätung, Zugausfall, Fahrplanänderung vor Antritt der Reise, oder, meist um Weihnachten herum, der Lebensüberdruss eines Artgenossen. Die Ursache für unsere Verspätung in Belgrad war nicht schlecht. Bis kurz vor der weißen Stadt lief alles wie am Schnürchen. Auch wenn das Klo nicht funktionierte und unser Schaffner etwas wortkarg war. Anne war begeistert vom Triglav-Massiv in Slowenien. In Zagreb mussten wir wieder das Abteil wechseln, da die Schlafwagen abgekoppelt wurden. Dann rollten wir in Richtung Serbien. Wir rollten über die Save-Brücke im Schneckentempo. Plötzlich gab es ein paar heftige Ruckler, wir wurden ordentlich durchgeschüttelt, dann rührte sich nichts mehr. Der Schaffner verschwand nach vorn, öffnete die Wagontür und kletterte ins Freie. Erst zögerten wir, dann siegte aber doch die Neugier und wir kletterten hinterher. Der Zug stand und neben der Lok hockten schon ein paar Leute und beäugten fachsimpelnd die Schienen. Die Räder der Lok standen neben der Schiene…
Es war jedem schnell klar, dass hier heute nichts mehr lief. Jeder schnappte seine Siebensachen und trottete, den Bahnschienen folgend, in Richtung Innenstadt. Einige schimpfend, die meisten jedoch mit stoischer Gelassenheit, als ob sie das schon gewohnt waren.

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Das Balkan-Abenteuer beginnt: Kurz vor Belgrad, hinter der Brücke über die Save, war die Fahrt für uns zu Ende – die Lok stand neben der Schiene.

Anne zeigte auf eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern und einer schweren Reisetasche. Ich half der Dame beim Tragen und wir hofften so, mit lokaler Unterstützung, die nächstbeste Möglichkeit zu erreichen, um in die Stadt zu gelangen. Der Schaffner zeigte uns einen Trampelpfad, der weg von den Gleisen auf eine Straße führte. Von dort war es nicht mehr weit bis zur Hauptstraße auf der auch Stadtbusse verkehrten. Wir sollten Bus Nummer 511 nehmen, der würde über den Hauptbahnhof fahren. Gegenüber im Hotel Belgrade City hatten wir gebucht. Wo es Fahrscheine zu kaufen gab, konnte ich nicht mehr in Erfahrung bringen, denn Bus 511 hielt gerade. Wir schlüpften hinein und hofften ungeschoren ans Ziel zu kommen. Es klappte.
Im City-Hotel (4 Sterne) wartete eine heiße Dusche und im Restaurant Zavičaj, 5 Minuten vom Hotel, an der ulica Gavrila Principa 77 (was des einen Freund, ist des anderen Feind) mein ersehnter Lammtopf (1090 RSD) und ein Schopska-Salat (290 RSD)! Mit einem Pinot Grigio (Bio-Qualität) fielen wir todmüde in die Betten.

Nachts tobte ein ordentliches Gewitter über Belgrad. Leichter Nieselregen begleitete uns nach dem Frühstück zur Innenstadt. Auf der Straße vor dem Nobelhotel „Moskva“ dann etwas Ungewöhnliches. Musikanten in weißen Uniformen spielten auf und dahinter reihten sich ein Hochzeitspaar ans andere, geschützt durch transparente Regenschirme. Wir wurden Zeugen einer Massenhochzeit. Die erste Hochzeit dieser Art soll bereits während der NATO-Bombenangriffe auf Belgrad stattgefunden haben. Es sollte ein Zeichen der Liebe sein, gegen Hass und Krieg.

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Weiße Uniformen in der weißen Stadt am nächsten Morgen...

Es hatte aufgehört zu regnen und die Paare packten die VodaVoda-Regenschirme weg. Die Mineralwassermarke schien hier der Hauptsponsor zu sein. Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Wir begleiteten die Paare ein Stück. Die schönen weißen Brautkleider schleiften über die regennasse Straße und waren bald nicht mehr schön weiß. Am Stari Dvor, dem Alten Palais, verließen wir die „Glücklichen“ und widmeten uns organisatorischen Belangen.
Mein Wunsch – eine Donaufahrt von Belgrad nach Kladovo, mitten durch die Karpaten – ließ sich von Deutschland aus leider nicht organisieren. Nun setzte ich meine Hoffnung auf die Touristik-Info vor Ort. Doch die Antwort der Dame im Infobüro war knapp und klar: „No!“ Es gibt keine Möglichkeit von Belgrad nach Kladovo mit dem Schiff auf der Donau zu fahren. Wir mussten umplanen. Morgen früh um 9 Uhr wollten wir mit dem Bus direkt in den Tara-Nationalpark fahren.
Jetzt schlenderten wir erst mal die Knez-Mihailova-Straße hinunter. Anne interessierte sich für Häuser im Jugendstil, ich für’s „?“.
Frisch gestärkt – Anne mit Mokka, ich mit Hirschbier – besuchten wir den Kalemagdan-Park, ein schönes Gelände mit Blick auf Donau und Save. Überall sahen wir Sportmöglichkeiten, hier können die Belgrader auch ihre Freizeit verbringen. Beim Hinausgehen hatten wir eine skurrile Begegnung: ein Souvenirverkäufer zeigte uns seine Magnete. Ausnahmslos Despoten und Nationalisten. Putin, Erdogan, Kusturica… Trump war dort auch schon eingereiht.
Auf dem Bauernmarkt suchte Anne vergebens Angelhaken. Sie hatte sich fest vorgenommen in der Drina zu fischen. Nebenan im Künstlerviertel Skadarlija ließen wir die Stadt und die Menschen auf uns wirken. Der „Goldkrug-Spezial-Teller“ im Restaurant „Zlatni Bokal – Goldener Krug“ mit verschiedenen Schinken-, Wurst- und Käsesorten sowie Salaten konnte sich sehen lassen. Als jedoch die Musikanten zu traditioneller Volksmusik aufspielten, suchten wir das Weite.

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Im Restaurant „Stara Koliba“ schmeckten Fischsuppe... (Foto: A. C. Groffmann)

Essen macht müde. Und bevor es zum krönenden Abschiedsmahl ging, mussten wir etwas verschnaufen. Belgrad ist ja nicht nur weiß sondern liegt auch an zwei großen Flüssen, Donau und Save, also war es für uns naheliegend am Abend Fisch zu essen. Die Plastikpartikel im Donauwasser blendeten wir mal aus. Anne’s eBook empfahl uns das Restaurant „Stara Koliba“. Der Tipp war gut! Das Restaurant befindet sich auf dem Wasser, ein Holzsteg führt auf die Gästeterrasse. Wo das Abwasser des Hockklos hinführt wollten wir gar nicht so genau wissen. Jedenfalls schmeckten Fischsuppe, Wels und Wolfsbarsch mit Kartoffeln und Mangold sowie ein Chardonnay ausgezeichnet. Zur „blauen Stunde“ schlenderten wir über die Belgrader Liebesmeile zurück zu unserem Hotel.

Kaiserwege im Tara-Gebirge

„Tara – 1240 Dinar, Peron 17“ so die Dame am Fahrkartenschalter. Mir war nicht recht klar, was für ein Ort sich hinter „Tara“ verbarg. Immerhin steht der Name für ein ganzes Gebirge. Wir werden sehen. Wir kauften zwei Flaschen Wasser – VodaVoda (110 RSD) natürlich und begaben uns auf Plattform 17.
Die Fahrt war nicht eintönig. Über Himbeerberge fuhren wir hinauf ins Nebelgebirge. Auf der anderen Seite der Berge lichtete sich der Nebel und erlaubte uns einen Blick ins Tal der Drina. Bajina Bašta, den Hauptort des Tara-Gebirges, erreichten wir nach rund 4 Stunden. Von dort ging es wieder hinauf in die Berge. Das alles war nun „Tara“. Nach 16 Kilometern am Hotel Omorika war Endstation. Jetzt wurde es ernst. Rot-weiße Punkte an den Bäumen zeigten an, dass wir uns im Wandergebiet befanden. Wir folgten den Punkten bis zu einer Infotafel. Der Ort heißt Kaluđerske bare – Mönchspfützen, ein bewaldetes mit Wiesen und Weiden durchsetztes Hochplateau auf rund 1000 m. Und hier beginnt der „Kaiserweg“ durchs Tara-Gebirge, zumindest für Radfahrer, so sagte es uns der Text auf der Tafel.

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Auf dem Hochplateau Kaluđerske bare – Mönchspfütze auf 1047 m beginnt unsere Wanderung durch das Tara-Gebirge.

Für Wanderer führt hier der Fernwanderweg E7 hindurch, er ist mit einem rot-gelben Punkt markiert. Wir werden ihm ein Stück folgen.
Der Weg führte leicht bergab über Wiesen auf denen Orchideen blühten, in den Wald, wo sich der Rača-Bach entlang schlängelte. Mal folgte der Pfad dem Bach auf der einen, mal auf der anderen Seite. Zum Glück war das Wasser nicht tief, so dass die Füße trocken blieben. Nach knapp zwei Stunden erreichten wir den See Jarevac. Das Wasser des Baches wurde hier gestaut. Unter einem Wegweiser warnte ein Schild vor Bären. „Do not leave the path! … Hike at your own risk!“ stand dort.
Immerhin wird angenommen, dass von 60 Braunbären, die es Serbien gibt, allein 40 im Tara-Nationalpark leben. Und die Tendenz ist steigend aufgrund schwer zugänglicher Rückzugsgebiete und dem guten Futterangebot für die Tiere. Also Wandern für Mutige…
Eine Info-Tafel verriet uns, dass der See seine glorreichen Tage noch zu Tito’s Zeiten hatte. Besonders Pfadfinder schätzten den Ort als Campingplatz. Hier beginnt auch der Weg in die Rača-Schlucht, die leider nur mit Kletterausrüstung und Bergführer begangen werden darf. (Kommt mal auf meine To-do-Liste.)
Nach einer kurzen Pause riskierten wir es unseren Weg fortzusetzen. Über einen Forstweg gelangten wir auf eine Asphaltstraße und in das Dorf Šljivovica. Der Name gefiel mir! Die Tatsache, dass wir die nächste Stunde auf der Straße laufen mussten, gefiel uns dagegen weniger. Besonders Anne konnte sich mit der Vorstellung nicht recht anfreunden. Sie behauptete felsenfest, dass wir zuvor an einer Ferienheimruine hätten abbiegen müssen. Ich war davon nicht so überzeugt, riskierte aber auch keinen Wiederspruch. Frauen haben ja meist recht.

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Die nächste Stunde müssen wir auf der Straße laufen.

In einer Kurve mündete ein Forstweg auf die Straße und ein Pfeil zeigte uns, dass wir nun auf diesem laufen sollten. Eine große Wiese linker Hand lud uns regelrecht zum bleiben ein. Es war ja auch schon 17:30 Uhr. So bauten wir zwischen Blumen und Kräutern unser Zelt auf. Etwas versteckt in einer Senke, um uns neugierigen Blicken zu entziehen. Leider gab es kein Wasser hier. Fürs Abendessen hatten wir noch genug. Anne kochte eine leckere Polenta mit Schinken und zum Nachtisch Ingwer-Orangen-Tee. Um sich in die Schlafsäcke zu verkriechen war es noch etwas früh. So spazierten wir noch ein Stück die Forststraße entlang und gelangten zu einem Wegweiser, der zum Rača-Kloster und einem Aussichtspunkt (10 Minuten) wies. Der Abstecher lohnte sich. Der Aussichtspunkt lag oberhalb der Sokolarica-Felsen (Falkenfelsen, 985 m). Auf dem Kalkstein wuchsen waghalsige Kiefern hoch über der Rača-Schlucht. Wir genossen den Ausblick und schlenderten bei Sonnenuntergang zurück zu unserer Biwak-Wiese.

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Mit Annes Morgenkaffee und Frühstücksmüsli hatten wir unsere Wasserreserven aufgebraucht. Wir brauchten also Trinkwasser und das möglichst bald. Ein weiteres Problem bestand in der Tatsache, dass wir uns nicht sicher waren, ob wir noch dem Wanderweg nach Mitrovac folgten. Den markierten Wanderpfad, den unsere Tara-Karte zeigte, konnten wir nicht finden. Im realen Leben führt aber ein breiter Fahrweg nach Sokolina. Da auch dieser Weg mit einem rot-weißen Punkt markiert war, folgten wir ihm.
Sokolina ist eine Ferienhaussiedlung. Überall standen kleine herausgeputzte Häuschen auf den Bergwiesen. Nur waren sie alle im Moment unbewohnt und somit blieb unser Trinkwasserproblem bestehen. Anne war sich sicher, dass die Häuser Zisternen haben mussten, in denen Regenwasser gesammelt wurde. Auf einem Grundstück befand sich sogar ein Behälter für eine Solardusche, leider leer.
Doch das Glück nahte hinter der Siedlung an einer kleinen Waldarbeiterhütte. Neben dem Haus stand ein Holztisch mit mehreren Plastikkanistern voll klarem Wasser. Unser Wasserproblem war zum Ersten gebannt. Allerdings konnten wir jetzt noch nicht ahnen, dass Trinkwasser auf unserer gesamten Balkantour ein kostbares Gut sein würde.
Weiter ging es durch schattigen Mischwald über steinige Forstwege. „Einfache Wege mit maximalem Naturgenuss“ laut Anne. Sie hatte von wilden wurzeligen Balkanpfaden geträumt. Nun Wunsch und Wirklichkeit sind selten eins. Der nächste Ort nannte sich Osluša, wie Sokolina ein Feriensiedlung. So ein Häuschen mitten im Nationalpark zu besitzen hatte etwas. Und deren Besitzer mussten auch etwas haben, arme Leute konnten sich die Prachtbauten kaum leisten.

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Morgennebel über dem Tal der Drina.

Am Ortsende unser erster Vidikovac – Aussichtspunkt. Tief unter uns die Drina und Bajina Bašta, der Morgennebel kroch die Berghänge hinauf. Vom Aussichtspunkt führte ein ziemlich verwilderter Pfad hinunter ins Drina-Tal. Meine Tara-Karte zeigte ihn nicht und laut meiner Karte auf dem GPS bewegten wir uns gar weglos im Niemandsland. Immerhin schien die Sonne, ich konnte mein Zelt trocknen und Anne kochte einen Tee.
Über den Baumwipfeln begannen sich Gewitterwolken aufzutürmen. Es war besser weiterzulaufen. Bald erreichten wir die Straße nach Mitrovac. Ein Lkw verlud Baumstämme. Da wir noch immer in einem Nationalpark wandelten, vermutlich eine Frage des Bestandsschutzes…
Ein Opa schob seinen Drahtesel über die Straße, am Lenker baumelte eine Baumsäge auf dem Gepäckträger ein Korb mit Bier und Sliwowitz. „Nemačke – Deutschland?“ staunte er. Mehr konnte ich ihm leider nicht erzählen, mein Russisch lag 35 Jahre zurück.
In Mitrovac gibt es ein Restaurant, einen Laden und ein Informationsbüro des Tara-Nationalparks – und Trinkwasser aus dem Wasserhahn im Ortszentrum. Alles recht nützliche Einrichtungen. Im Dorfladen ergänzten wir unsere Lebensmittelvorräte. Brot, Fisch, Käse, Wurst und eine Gurke wechselten die Besitzer. Im Info-Büro gab es eine aktuelle Wanderkarte vom Tara-Nationalpark und im Restaurant Treibstoff (Nikšićko, 160 RSD und Kaffee, 60 RSD) für die weitere Wegstrecke. Leider verzögerte sich unser Aufbruch aufgrund bedrohlichen Donnergrollens um eine ¾ Stunde.
Unser Ziel hieß Banjska stena – ein weiterer Aussichtspunkt ins Tal der Drina. Der Weg über Velika livada (Große Wiese) war auf unserer neuen Tara-Karte mit 2 Stunden und 10 Minuten angegeben.
Noch vor der „Großen Wiese“ verloren wir den Weg, da wir roten, statt rot-weißen Punkten folgten. Doch nach ein paar Minuten wandelten wir wieder auf dem rechten Pfad. Leider fing es wieder an zu regnen. So konnten wir auch nicht den blühenden Enzian auf der Wiese in Ruhe genießen sondern sahen zu wieder das schützende Blätterdach des Waldes zu erreichen.
Der Waldboden links und rechts des Weges war über und über mir blühendem Bärlauch überzogen. Anne musste ihrer Leidenschaft als Kräutersammlerin nachgehen und pflückte die Knospen des Bärlauchs – ein Kapernersatz fürs Abendessen. Ich half kräftig mit.
Auf matschigen Rückewegen erreichten wir die Kammkante und sahen unter uns den Stausee – Perućačko jezero. Die sanfteren Berghänge gegenüber gehörten schon zu Bosnien. Regentropfen mahnten zum Aufbruch. Am Picknickplatz Gorušice gelangten wir auf den Fahrweg zum Aussichtspunkt Banjska stena. Leider hatten wir den Kammweg wieder verloren. Nach einer knappen halben Stunde hatten wir unser Tagesziel erreicht. Fotos vom Tara-Nationalpark zeigen fast immer den Aussichtspunkt Banjska stena (Banjska-Felsen).

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Am Aussichtspunkt Banjska stena mit Blick auf die Drina-Schlucht.

Der Aussichtspunkt verdankt seinen Namen einer Karstquelle, die am Fuß des Felsens hervorsprudelte. So verreit es uns die Infotafel. Banja ist türkisch und bedeutet Bad, also ein Ort mit warmem Wasser. Das Quellwasser hatte eine konstante Temperatur von 4 ℃ und gefror selbst im Winter nicht. Mit dem Anstauen der Drina verschwand die Quelle 1966 im Stausee Perućačko jezero. Der See deckt den Wasserbedarf des Kraftwerks „Bajina Bašta“ und ist heute eine Touristenattraktion. Hier gibt es Möglichkeiten zum Angeln, Baden und Bootfahren.
An so einem touristischen Highlight waren wir auch nicht allein. Eine Gruppe serbischer Touristen war fasziniert von der Aussicht auf den Stausee und die Drina-Schlucht. Bei Arbeiten am Staudamm vor 7 Jahren und somit niedrigem Wasserstand des Stausees wurden von Freiwilligen aus Sarajevo am Seeufer die Überreste einer Vielzahl von Menschen gefunden, Bosniaken aus Višegrad, die so genannten „ethnischen Säuberungen“ während des Bosnienkrieges zum Opfer fielen. Ihre Körper wurden von bosnisch-serbischen Milizen in die Drina geworfen. Wie viele Opfer dort liegen, wird wohl immer ein Geheimnis der Drina bleiben.
Ein junger Mann aus der Gruppe sprach uns an und fragte, wo wir her kämen. Er war sehr verwundert als wir sagten wir kommen aus Deutschland. Er fragte mehrmals nach, ob wir absichtlich hierhergekommen wären und ob wir die politische Situation kennen würden.
Sein offensichtlich großes Erstaunen löste bei uns Verwunderung aus, zufällig kommt hier wohl niemand vorbei. Wir sind uns bis heute nicht sicher, warum er so erstaunt war. War es die Tatsache Deutsche zu sehen? Glaubte er wir wären naiv, da er auch fragte, ob wir die politische Situation kennen würden?
Tatsache war jedenfalls, das wir als Deutsche öfter Erstaunen auslösten. Deutsche Wanderer in Serbien scheinen selten zu sein.
Wieder zogen dunkle Wolken auf und es dauerte nicht lang bis die ersten Tropfen fielen. Aus den Tropfen wurde ein kräftiger Gewitterregen. In unsere Ponchos gehüllt traten wir den Rückweg an. Am Picknickplatz Gorušice wollten wir den Regen abwarten. Doch das Gewitter dachte nicht daran aufzuhören. Wir beschlossen hier zu biwakieren, hatten wir doch immerhin ein Dach überm Kopf. Und sogar Trinkwasser gab es. Anne holte den Kocher raus und begann zu kochen, Paella mit Fisch und Bärlauchknospen dazu Tee aus den Blättern der schwarzen Johannisbeere. Ich baute unter dem Schutzdach das Zelt auf, so blieb es wenigstens trocken.

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Ein trockenes Plätzchen für unser Biwak in Gorušice.

Punkte sammeln

Am Morgen weckte uns die Sonne. Von den 40 Bären, die hier im Nationalpark leben sollen, hatte uns keiner besucht. Heute sollte es zu einem Planinarski dom, einer Berghütte gehen. „Sedaljka (Planinarski dom) – 3 h“ stand auf einem Wegweiser. Berghütte bedeutete, es würde heute mal nicht nur Wasser oder Tee zu trinken geben, das spornt an…
Doch erst besuchten wir noch einmal den Aussichtspunkt Banjska stena. Er lag ja praktisch auf dem Weg. Ich hoffte wieder auf Morgennebel über dem Drina-Tal. Leider zogen nur ein paar Wölkchen über dem Fluss.

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Die Schlucht der Drina am nächsten Morgen.

Wir machten ein paar Bilder, dann ging es zurück und in den Wald. Auf dem Weg wuchs Pfefferminze – unser Abendtee. Nach einer Weile führte rechts ein Trampelpfad vom Forstweg weg, in den Wald hinein. Wir folgten ihm und gelangten zu einem Drahtverhau. Gegenüber dem Eingang war die Halterung für eine Wildkamera an einem Baum befestigt. Noch ein paar Meter weiter und wir standen wieder an einem Aussichtspunkt. Der Pfad folgte jetzt dem Bergkamm und mündete schließlich wieder auf dem Forstweg.
Laut unserer Wanderkarte sollten auf diesem Wegabschnitt Serbische Fichten (Picea omorika) wachsen. Es ist eine endemische Fichtenart, die nur hier im Tara-Nationalpark am Mittellauf der Drina wachsen soll und von dem Naturforscher Josif Pančić 1876 entdeckt wurde. Leider reichten unsere Botanikkenntnisse nicht aus, um diese Bäume zu identifizieren. Neben der Serbischen Fichte soll es noch 30 weitere Endemiten im Tara-Nationalpark geben. So zum Beispiel die Derventa-Kornblume (Centaurea derventana Vis. et Panč), der Pančić-Ziest (Stachys anisochila Vis. et Panč) und die Mönchshoffnung (Silent monachorum Vis. et Panč), alle von Pančić entdeckt. Auch heutzutage werden noch Endemiten entdeckt, wie die Nikolićs-Akelei (Aquilegia F. Maly ex Zimmeter subspecies Nicolićii). Sie kommt in der Derventa-Schlucht und im Drina-Canyon vor.
Ein schmaler steiler Geröllpfad führte uns ins Dorf Rastište – Vesperpause. Weiter ging es über Wiesen mit bauchhohem Bewuchs und auf einem schmalen rutschigen Bergpfad bis ins Tal der Derventa. Der Fluss trennt das Tara-Gebirge vom Zvijezda-Gebirge. Die Sonne brannte bereits heiß, die Berghütte rückte in greifbare Nähe.
Über einer Staustufe der Derventa erhob sich ein Kirchlein. Ein Wegweiser zeigte nach Norden, die Asphaltstraße entlang – Planinarski dom 5 Minuten.
Doch welch ein Schock! Das Gebäude ähnelte einem Landschulheim und war verschlossen! Kein Bier, kein Kaffee nur Todesanzeigen an den Strommasten. Zwei Schafleichen baumelten an einer Hauswand. Was für ein trostloser Ort!
Etwas missgelaunt trotte ich weiter. Am Ortsrand machten wir Brause-Pause. Anne entdeckte an einem verlassenen Gehöft einen Wasserhahn.
Wir beschlossen weiter zu laufen. Der Orlov, 879 m hoch, liegt bereits im Zvijezda-Gebirge. Der Anstieg begann recht steil. Ein Bauer trieb ein paar Schafe vor uns den Berg hinauf. Eidechsen huschten am Wegrand und verschwanden im Gras. Mitten auf dem Weg blühten Orchideen – Hummel-Ragwurz (Ophrys holoserica). Hinter dem letzten Haus hieß es noch mal Schwitzen, der Weg führte in Falllinie den Hang hinauf, bog nach rechts ab und verwandelte sich in einen felsigen Saumweg. Ich fühlte mich wie daheim auf meinen Felsenwegen im Schwarzwald. Ab und zu erhaschten wir einen Blick hinab zur Drina bevor der Pfad hinauf auf das Bergplateau führte.

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Felsenweg am Orlov.

Mit der Orientierung wurde es jetzt immer schwieriger. Das Display meines Garmins leuchtete in homogenem Grün und die Markierungspunkte an den Bäumen machten sich recht rar. Kindliche Freude breitete sich in mir aus, wenn ich wieder einen Punkt entdeckt hatte – Punkte sammeln im Nationalpark.
Auf einer Wiese mit großen roten Pfingstrosen setzten wir unsere Rucksäcke ab und knabberten ein paar Nüsse und Rosinen.
Kaum wieder auf den Beinen, leuchtete ein gelber Wegweiser vor dem grün der Bäume: Božurna 1010 m. Der Pfeil nach Predov krst zeigte nach rechts auf die Wiese. Wir folgten ihm. An einem Stämmchen zeigte sich noch einmal eine Markierung, dann zeigte sich nix mehr. Wir suchten bestimmt eine Stunde, konnten aber keine Punkte mehr finden. Da es Zeit für das Nachmittagsgewitter war, bauten wir auf der Wiese unser Zelt auf. Kaum stand es, fing es an zu regnen.
Es war nur ein kurzer Schauer. Der Weiterweg ließ mir keine Ruhe, ich ging wieder auf Wasser- und Punktesuche. Ich lief zurück zum Wegweiser und folgte diesmal dem Weg den wir gekommen waren. Der Boden war matschig und es hatten sich große Pfützen gebildet, aber nach ein paar Metern leuchtete mir wieder die Markierung entgegen. Warum der Wegweiser in die falsche Richtung wies, blieb uns ein Rätsel.
Wasser konnte ich keins finden aber eine Bärenspur im Matsch und ein Autowrack im Gebüsch. Die Wanderkarte zeigte einen Brunnen, an dem wir morgen vorbeikommen würden. Für Annes leckere Marokkopfanne reichte unser Wasser noch. Morgen wollten wir nach Predov krst gehen. Laut Wanderkarte gibt es dort ein Motel, wir brauchten Verpflegung.

Keine Abkürzungen!

Tropfen perlten an der Zeltwand runter. Es hatte fast die ganze Nacht geregnet. Jetzt hingen graue Wolken am Himmel. Wir waren sehr gespannt, ob der Brunnen auf unserer Wanderkarte auch real existiert. Mit Müsli im Bauch stiegen wir hinauf zu dem Wegweiser, an dem wir gestern abgebogen waren. Dann folgten wir dem Forstweg. Wieder verlor sich die Markierung nach einigen Minuten. Der Weg war schlecht, Fahrrinnen in denen knöcheltiefes Wasser stand. Wir balancierten am Wegrand entlang. Nach einer Weile tauchten unsere Punkte wieder auf. So langsam dämmerte es uns. Es schien, als ob die Markierung um die schlammigen Abschnitte auf dem Forstweg herumleiten würde.
Der Brunnen sollte sich laut Karte an einem unmarkierten Waldweg befinden. In einer Linkskurve führte ein Waldweg hinab in eine Senke und dort sprudelte aus einem Rohr tatsächlich Wasser heraus.

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An der Quelle des Neveljski potok. Trinkwasser war rar im Tara-Nationalpark.

Da unser Trinkwasserproblem nun gelöst war, überlegten wir nicht wie geplant nach Predov krst zu laufen, sondern bis zum Veliki kraj, im äußersten Nordwestzipfel des Tara-Nationalparks an der bosnischen Grenze. Immerhin hatten wir noch für zwei Tage Essen und mehr als zwei Tage rechneten wir nicht für den Abstecher. Immerhin verbanden unmarkierte Waldwege die markierten Wanderwege, so dass wir etwas abkürzen konnten. Auf unsere Wanderkarte vertrauend stürzten wir uns ins Abenteuer.
Anfangs lief es super, genau an der auf unserer Wanderkarte angegebenen Stelle erreichten wir den Wanderweg. Gegenüber verschwand ein unscheinbarer Pfad in den Wald. Wir folgten ihm. Je tiefer wir in den Wald vordrangen, desto unscheinbarer wurde der Pfad, bis er schließlich ganz verschwand. Querfeldein erreichten wir wieder einen Forstweg mit rot-weißen Punkten. Nur konnte es von der Zeit her noch nicht unser Wanderweg sein. Auch die Richtung stimmte nicht. Wir wandten uns nach rechts und folgten dem Forstweg ein Stück bergab. Es dauerte nicht lang und wir standen an der selben Stelle, von der wir den Waldweg betreten hatten. Wir waren im Kreis gelaufen. Das Thema Abkürzungen hatte sich erledigt. Der Entschluss stand fest, nun ging es doch nach Predov krst! Was sich im Nachhinein als recht weise erwies.
Der Himmel verdunkelte sich immer mehr, doch bis zum Ort war es nicht mehr weit. Bald kamen die ersten Häuser in Sicht, rechter Hand besagtes Bergmotel. Doch der Hort der Gastlichkeit empfing uns mit verschlossenen Türen – kein Bier, kein Kaffee!

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Predov krst – das Gebäude der Nationalparkverwaltung.

In der Ortsmitte befindet sich ein Gebäude der Nationalparkverwaltung. Ein Angestellter trat aus der Tür, als er uns kommen sah. Ich versuchte ihm klar zu machen, ob es hier eine Möglichkeit zum Übernachten gäbe und einen Laden, um etwas zum Essen zu kaufen. Fehlanzeige! „Perućac“ sagte der Mann. Der Ort liegt aber unten im Tal der Drina. Da wollten wir nicht hin. Was tun? Erst mal Vespern. Wir hockten uns an einen der Holztische vor dem verschlossenen Motel und packten unsere Reserven aus. Ein Hund leistete uns derweil Gesellschaft, nicht ohne Hintergedanken. Aber nichts da, wir hatten selbst nicht mehr viel.
Die Wanderkarte studierend, ersonnen wir neue Wanderpläne. Am sinnvollsten erschien uns, wieder nach Mitrovac zu laufen. Das waren zwar über 5 Stunden, aber dort gab es was zu Futtern und übernachten konnten wir sicher auch.
Die Regenwolken hatten sich verzogen, wir liefen weiter. Über Wiesen gelangten wir ohne Anstrengung in den Weiler Kremići – Hunde, Schafe, Zwetschgenbäume. Hinter dem Ort wurde es sportlich. Steil führte der Weg den Hang hinauf. Anne turnte vorneweg, ich schnaufte hinterher. Im Kopf hämmerte: „…Don’t want to be a fat man…“ „…Too much to carry around with you…“ Ich musste unbedingt etwas tun! „…No chance of finding a woman…“ Okay, lassen wir das…

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Schnauf... (Foto: A. C. Groffmann)

Auf einem Baumstamm machten wir wieder Brause-Pause. Dafür hatte ich extra Sprudeltabletten aus Deutschland mitgenommen – Zitronengeschmack. Endlich wurde der Weg flacher, leider auch wieder matschiger. Rot-gelbe Punkte leuchteten von den Baumstämmen. Wir liefen wieder auf dem Fernwanderweg E7. Im Bergsattel Čemerišta hatten wir den höchsten Punkt erreicht – 1185 m.
Ab und zu erhaschten wir einen Blick auf den Jezero Zaovine. Auch dieser Stausee wurde für die Versorgung des Wasserkraftwerkes Bajina Bašta errichtet.
Unser Wanderweg endete abrupt an einer Böschung, über uns verlief eine nagelneue Forststraße in Richtung Mitrovac. Nach einigen Metern lagen frisch geschälte weiße Baumstämme links und rechts am Waldrand. Der Nationalpark muss sich hier erheblichen wirtschaftlichen Interessen beugen.

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Die Lauffreude auf den alten Forstwegen hält sich in Grenzen. (Foto: A. C. Groffmann)

Kurz vor Mitrovac fing es doch noch an zu regnen. Der Kellner des Restaurants zeigte uns wo wir ein Quartier bekommen können, gleich gegenüber auf der anderen Straßenseite. Der Vermieter stand schon in den Starlöchern und führte uns in ein Haus, das sich neben einer Kneipe und noch im Rohbau befand. Über eine graue Betontreppe ohne Geländer führte er uns in den 1. Stock. „3000 Dinar, dobro.“ Das waren etwa 25 Euro. Er zeigte auf die Heizung. „Dobro!“ Die Betten: „Dobro!“ Nach unten zur Kneipe „Rakija, dobro!“ Ich gab Mister „Dobro“ das Geld. Es war zwar etwas teuer aber besser als nichts. Zumal es nun kräftig regnete.
Die matschigen Klamotten flogen auf den Fußboden, wir schlüpften in die Guten und huschten rüber ins Restaurant. Die hatten bestimmt auch „Rakija dobro“, da war ich mir sicher!
Das Restaurant „Vinska Kuća“ (Weinhaus) hatte von 7 bis 21 Uhr geöffnet. Wir konnten hier morgen auch frühstücken – sehr gut. Jetzt gab es jedoch was Gescheites: erst mal ein Bier (120 RSD) dann Rindfleischsuppe (150 RSD), Schopska-Salat (180 RSD), Grillteller (750 RSD) und dazu einen Rotwein (95 RSD) und zum Dessert einen Sliwowitz (150 RSD). Alles zusammen 1445 Dinar (knapp 12 Euro). Das hatten wir uns heute verdient! Die nächsten Anstiege warteten erst morgen auf mich…

Tito’s Wein

Dichter Nebel hing am Morgen über dem Ort und es regnete. Trotzdem entschieden wir uns weiter zu laufen. Doch nicht ohne ein ordentliches Frühstück und Wanderproviant brauchten wir auch noch. Im Laden kauften wir das Übliche: Brot, Käse, Wurst, Gurken und Äpfel und – Mars-Riegel! An der Dorfquelle füllte ich unsere Wasserflaschen auf.
Der Kellner im „Vinska Kuća“ empfahl uns etwas typisch Serbisches: „Komplet Lepinja“. Ein warmes, mit Ei und Kajmak (ein Milchprodukt), gefülltes Fladenbrot (250 RSD). Dazu gab’s heißes Fett und ein Glas Joghurt (60 RSD). Der Energiegehalt dieses Gebäcks dürfte einer Grillplatte in nichts nachstehen.

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„Komplet Lepinja“ – ein reichhaltiges Frühstück.

Während wir unsere Energiereserven wieder bis zum Anschlag brachten, bekamen wir vom Kellner eine Einführung in serbische Weine. So erfuhren wir, dass Tito nur einen Wein bevorzugte – Muskát Krokán aus der Kellerei Gróf Rohonczy 1912. Wir würden ihn in Belgrad bekommen (Vino & Vinogradarstvo, Ilije Garašanina 22 oder Zmaj od Noćaja 9). Es hatte aufgehört zu regnen, der Nebel hing aber immer noch in den Baumwipfeln. Unser Ziel war das Dorf Šargan Vitasi. Von dort wollten wir mit der Bergbahn „Šarganska osmica – Scharganer Achter“ nach Mokra Gora fahren.
Von Mitrovac folgten wir dem Wanderweg ein Stück auf der Asphaltstraße, die zum Zaovine-Stausee führt. Nach einer halben Stunde zweigt der Wanderweg nach links ab und trifft auf den Fernwanderweg Via Dinarica. Es ist die grüne Route der Via Dinarica. Erst kurz vor unserem Ziel würden wir den Fernwanderweg wieder verlassenen. In Sekulić steht eine hübsche Holzkirche, leider war sie verschlossen. Ab dem Dorf hatten wir zwei Begleiter. Mitten auf der Dorfstraße lümmelte ein Hirtenhund. Als er uns erblickte erhob er sich und trottete neugierig auf uns zu, gefolgt von einer Promenadenmischung. Sein Besitzer, ein alter Mann kam aus dem Hoftor und begrüßte uns. Leider verstanden wir nicht viel, außer dem üblichen Woher und Wohin.
Wir setzten unseren Weg fort und der Opa lief mit seinen zwei Hunden zurück zu seinem Haus. Es dauerte aber nicht lang und wir sahen den Hirtenhund die Straße hinunterrennen, ab jetzt wich er nicht mehr von unserer Seite.

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Unser Begleiter.

Der Charakter der Landschaft ähnelte ab dem Dorf sehr den Hochebenen in den Karpaten Rumäniens. Ausgedehnte Weiden mit kleinen Holzhäusern (leider auch verschlossen), den osatyanka, bestimmten die Landschaft. Ljuto polje heißt die Region laut unserer Wanderkarte. An den Bäumen wiesen nicht nur die rot-weißen Punkte den Weg, hier dienten auch Kuhschädel, Bierflaschen und große Schilder mit einem roten Kreis auf weißem Grund als Markierungen. Wir liefen wieder mal auf einer Off-Road-Piste.
Den Höhepunkt auf unserer Etappe bildete der Berg Zborište. Mit 1544 m der höchste Berg des Tara-Gebirges. Ein Stück vor dem Bergsattel unterhalb der Runjeva glava (1438 m) gesellte sich plötzlich auch die Promenadenmischung zu uns. Doch wie es aussah hatte sie den Auftrag unseren Hund wieder heim zu führen, denn plötzlich trollten sie sich.
Im Sattel angekommen machten wir mittag. Am Horizont zeigte sich bereits der Zborište. Hier hatte unsere Wanderkarte einen Fehler. Die Via Dinarica zweigt nicht, wie auf der Karte, vor dem Gipfelanstieg nach links ab, sondern folgt dem Gipfelweg bis zum Kamm, wo sich die Wege trennen. Anne traute der Wegführung nicht, ich war mir auch nicht sicher. Doch da es keine rechte Alternative gab, liefen wir weiter. Auf dem Bergkamm angekommen, zweigte der Gipfelweg in nordwestlicher Richtung ab und nach etwa 100 m standen wir auf dem Zborište. Wieder zurück am Abzweig (11,8 km bis Šargan), folgt die Via Dinarica nun ein Stück dem Bergkamm des Veliko brdo (Großen Hügels) nach Südosten, bevor es auf steilen Forstwegen hinab ins Tal der Bratešina ging.
(Etwa 1 km ab dem Abzweig zum Zborište führt ein Weg nach Süden. Wer direkt nach Mokra Gora will, könnte diesen nutzen.)
An einer Quelle füllten wir unsere Trinkflaschen auf. Es war nicht sicher, ob wir Wasser vorfinden würden, wenn es Zeit zum Biwakieren war. Doch Wasser gab es heute genügend. Gegen 17 Uhr fanden wir ein schönes Stück Wiese oberhalb des Forstweges für unser Zelt, Wasser gab es gleich nebenan bei einer Hirtenhütte. Zwischen blauer Akelei und weißen Narzissen kochte Anne Polenta mit Tofu-Gyros.

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Unser Biwakplatz am Berghang des Putno brdo.

Eine Achterbahnfahrt

Nachts leichter Nieselregen, Wildschweine rumorten nebenan im Unterholz. Am Morgen war der Himmel blau, die Sonne schien aber es blies ein kalter Wind. Um 8 Uhr starteten wir zu unserer letzten Etappe. Kurz vor der Straße Kremna – Mokra Gora entdeckte ich einen rot-weißen Punkt an einem Baumstamm. Der Weg führte nach links in den Wald. Da die Via Dinarica laut unserer Wanderkarte südlich an Šargan Vitasi vorbeiführt, wählten wir den Punkt-Weg. Viel gebracht hatte uns die Variante jedoch nicht. Der Weg vollführte einen großen Bogen um einen Hügel und mündete ein Stück nördlich der Via Dinarica auf die Straße nach Šargan Vitasi. Unten im Tal sahen wir schon die ersten Häuser des Dorfes und auch die Straße, auf der es recht lebhaft zuging. Nur führte leider kein Weg hinunter. Komisch war auch, dass keines der Fahrzeuge, die wir auf der Straße unten fahren sahen, an uns vorbeifuhr. Waren wir auf der richtigen Straße? Wir liefen ein Stück zurück, aber auch die Richtung stimmte nicht. Anne ärgerte sich, nicht doch der Via Dinarica gefolgt zu sein. Sie war sich sicher, dass von ihr ein Abzweig zum Dorf geführt hätte. Auf der Wanderkarte war jedoch nichts eingezeichnet. Plötzlich dämmerte es mir. Der Grund weshalb uns kein Auto entgegenkam war recht einfach – die fuhren durch einen Tunnel! Also wieder zurück.

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Der Bahnhof von Šargan Vitasi ist heute Endstation der Šarganska osmica.

Um 10:30 Uhr erreichten wir den Bahnhof von Šargan Vitasi. Laut dem Fahrplan am Bahnhof fuhr um 11:11 Uhr ein Zug nach Mokra Gora (Nasser Berg), wir hatten noch etwas Zeit. 600 Dinar kostete die Fahrt von Mokra Gora und wieder zurück. Eine Fahrt von Mokra Gora bis Višegrad und zurück sollte 800 Dinar kosten. Das fand ich interessant, also war die Bahnstrecke intakt.
Auf den Gleisen standen alte Dampfloks, wir machten ein paar Bilder bis unser Bähnle aus Mokra Gora einfuhr. Es war eine Diesellok – schade!
Der Zug hielt und bald drängelten sich die Touristen auf dem Bahnsteig, die Eisverkäuferin am Bahnhof schrieb nun schwarze Zahlen. Der Schaffner konnte uns nur noch Stehplätze anbieten, die bekamen wir jedoch zum vollen Fahrpreis: Mokra Gora – Šargan Vitasi – Mokra Gora.
Ein Pfiff und der Bahnsteig lehrte sich. Der Schaffner klappte den Bügel der Ausstiegsverriegelung herunter und der Zug setzte sich in Bewegung. Frischer Wind wehte uns um die Nasenspitze und Wassertropfen spritzten ins Gesicht wenn der Zug in einem der 22 Tunnel verschwand.

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In mehreren Schleifen schraubt sich die Bahnlinie hinauf in die Berge. Da die Trassenführung einer Acht ähnelt, bekam die Bahn ihren Namen – „Šarganska osmica – Scharganer Achter“.

Der Bau der langen Bahnlinie begann nach dem 1. Weltkrieg, am 1. März 1921 und dauerte 4 Jahre. 3000 bis 5000 Menschen arbeiteten täglich an der 15,44 km langen Trasse, 200 von ihnen ließen ihr Leben bei einem Tunneleinsturz…
Von Mokra Gora bis zum Šarganpass musste ein Höhenunterschied von 240 m bewältigt werden. In mehreren Schleifen schraubt sich die Bahnlinie nun hinauf in die Berge. Da die Trassenführung einer Acht ähnelt, bekam die Bahn ihren Namen – „Šarganska osmica – Scharganer Achter“.
Von unserem ersten Haltepunkt „Am Kreuz“ bot sich ein guter Überblick auf die Trassenführung der „Achterbahn“ mit ihren Tunneln.
In Jatare hielten wir eine halbe Stunde, Zeit für Bier (150 RSD) und Kaffee (100 RSD). Früher befand sich hier eine Wasserstation für die Dampfloks. Es heißt, dass an dieser Bahnstation noch nie ein Fahrschein verkauft wurde und noch nie ein Passagier seine Fahrt hier beendet hatte.
Die nächste Station hieß Golubići – Kusturicas Filmbahnhof aus „Das Leben ist ein Wunder“. Von weitem sahen wir schon unser Ziel Mokra Gora.
Der letzte kurze Halt war am „Ludi kamen – Verrückter Stein“. Wo die Damen einen Felsblock berührten, um auf ihren Traumprinzen zu hoffen und danach auf dem Stein etwas Geld lassen durften. Hm, der Stein ist nicht verrückt…
Immerhin hatte ich einen schönen Blick hinunter zur Kirche des heiligen Johannes des Täufers.
Nach fast 2 Stunden hatten wir die rund 15 km von Šargan Vitasi nach Mokra Gora bewältigt. Leider fuhr keine Bahn weiter bis nach Višegrad. Nur zu besonderen Anlässen würden noch Sonderzüge auf dieser Strecke fahren, erklärte uns der Schaffner. Aber es gäbe einen Bus. Wann der genau fuhr würden wir im Hotel erfahren.

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Von weitem sahen wir schon unser Ziel Mokra Gora und Küstendorf.

Wir wollten erst mal nach Drvengrad (Holzstadt) oder Kustendorf (Küstendorf). Das hieß Aufsteigen, denn der Ort liegt auf dem Mećavnik-Hügel. Der Filmemacher Emir Kusturica ließ das Dorf errichten und wohnt hier auch zeitweise. Da alle Gebäude aus Holz sind, erhielt der Ort seinen Namen Drvengrad (drven = Holz). Der zweite Name des Ortes leitet sich von Kustoricas Spitznamen „Kusto“ und dem deutschen „Dorf“ ab.
Dieses Kunstdorf ist eine Touristenattraktion in Mokra Gora. Mit 250 Dinar (2 EUR) pro Person waren wir dabei. Gleich links befindet sich der Souvenirladen, in dem auch die Filme Kusturicas verkauft werden. Anne kaufte gleich drei. Leider gab es den Film „Das Leben ist ein Wunder“ nicht.
Am Ende des Tesla-Platzes steht eine Holzkirche, daneben ein alter Wolga wie ihn früher Staatsoberhäupter im Osten benutzten. An einem Haus verzieren die Porträts vom ersten Kosmonauten Juri Gagarin, dem Fußballer Diego Maradona und dem ehemaligen Staatschef Kubas Fidel Castro die Fassade. Die Namen der Plätze und Straßen lehnen sich an Kusturicas Vorbildern an, wie zum Beispiel der Ivo-Andrić-Platz, der Nikola-Tesla-Platz, die Bruce-Lee-Straße (den Dreien sollten wir später noch einmal begegnen). Im Prinzip ähnelt das Dorf einem Skansen (Freilichtmuseum), wie man ihn häufig in den slawischen Ländern im Osten Europas antrifft.

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Porträts vom ersten Kosmonauten Juri Gagarin, dem Fußballer Diego Maradona und dem ehemaligen Staatschef Kubas Fidel Castro auf der Fassade dieses Hauses. Kusturicas Idole?

Im Restaurant „Lotika“ am Tesla-Platz genehmigte ich mir einen Bio-Brombeersaft (190 RSD) von dessen Etikett mich Kusturica anstarrte.
Nach 2 Stunden hatten wir genug Kunst über uns ergehen lassen. Es war Zeit aufzubrechen. „Gegen 15:45 Uhr, unten vor dem weißen Haus“ erklärte uns die Dame im Bahnhofsrestaurant von Mokra Gora, als wir uns nach dem Bus in Richtung Višegrad erkundigten. Es war jetzt kurz nach halb Vier Uhr. Wir beeilten uns, aber der Bus lies sich Zeit. Um 16:10 Uhr hielt eine kleine „Marschrutka“ am Straßenrand. Ein Schild „Užice – Višegrad“ hinter der Frontscheibe sagte uns, dass es unser Bus war.
Der Fahrer sammelte kurz vor der Grenze die Ausweise ein und erledigte die Grenzformalitäten. Ein Schild hieß uns willkommen in Bosnien, genauer in der Teilrepublik der Republika Srpska.

Višegrad – Andrićgrad

Die Straße folgte nun dem Tal des Flusses Rzav. Berge und Felsen erhoben sich zu beiden Seiten. Kurz tauchte das Kloster Dobrun am Fenster auf. Dann dauerte es nicht mehr lang bis nach Višegrad mit seiner berühmten Brücke über die Drina.
Der Bus hielt vor der Touristeninformation und die Dame dort empfahl uns das Hotel Andrićev Konak, gleich Gegenüber am Ufer der Drina. Wir buchten 2 Nächte.
Während die Infrastruktur in Višegrad aufgrund von Geldmangel leidet und die Arbeitslosigkeit hoch ist, zeigt sich der Kampf um die nationalistische Deutungshoheit vor allem in repräsentativen Bauten. So besuchten wir in Višegrad den neuentstandenen Stadtteil Andrićgrad. Er wurde u. a. unter der Federführung Kusturicas geplant, erbaut und anteilig finanziert.
Angeblich ließ sich Kusturica vom Literaten Ivo Andrić inspirieren und zudem sollte es baulich den Stilmix repräsentieren, der noch vorhanden wäre, wenn die Bauten nicht immer wieder durch die Besatzungsmächte zerstört worden wären, so der lokale Stadtführer. Auch als Filmkulisse für die Verfilmung des Buches „Die Brücke über die Drina“ wird als Grund genannt.

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Ein Porträt des Schriftstellers Ivo Andrić auf einer Hauswand in Višegrad.

Diese Begründungen muten seltsam an und erscheinen einem Betrachter, der das berühmte Buch, „Die Brücke über die Drina“, gelesen und sich etwas mit der Geschichte der Stadt auseinander gesetzt hat, ziemlich absurd. So versuchte Andrić in seinem Buch, das komplizierte Zusammenleben der unterschiedlichen muslimischen, christlichen und jüdischen Kulturen im jeweiligen historischen Kontext vom 16. bis Anfang 20. Jahrhundert wertneutral zu schildern. In den Kritiken des Buches wird gerade dieser distanzierte beobachtende Stil des Autors gelobt.
Aufgrund der langen Besatzung durch die Osmanen waren in Višegrad bis zum jugoslawischen Bürgerkrieg 80% der Einwohner muslimisch. Doch im neuen Stadtteil Andrićgrad ist weder eine Moschee noch eine Synagoge zu finden.
Stattdessen dominiert die orthodoxe Kirche des heiligen Lazarus das Stadtbild. Groß und wuchtig erscheint sie am anderen Ende der breiten Hauptstraße „Mlade Bosne“ (Junges Bosnien), sobald man den Stadtteil betritt. Dazwischen befinden sich viele Kaffees, Restaurants und kleine Läden, die in einem kaum auseinander zuhaltenden Stilmix gebaut sind. Unterschiedliche Gebäude reihen sich in hellem Stein aneinander, eine der wenigen Anleihen an die mehrere Jahrhunderte dauernde osmanische Zeit ist die Andeutung einer Karawanserei, die etwas versteckt in einer Gasse zu finden ist.
Ebenso wie im Küstendorf, wo Bilder von Kusturica selbst auf den Saftflaschen zu finden sind, hat er sich auch in Andrićgrad an zentraler Stelle verewigt: über dem Kino, mitten in der Stadt ist er mit Milorad Dodik dem amtierenden Präsidenten der Republika Srpska dargestellt, wie sie gerade ein Tauziehen für sich entscheiden. Wer die Gegner sind bleibt unklar, die andere Hälfte des Seils ist nicht abgebildet. Auf dem Nachbarbild steht der Attentäter von Sarajevo, Gavrilo Princip, in der ersten Reihe. Was ja auch gut zum Namen der Hauptstraße passt…

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Auf dem Nachbarbild steht der Attentäter von Sarajevo, Gavrilo Princip, in der ersten Reihe.

Wir besuchten den Stadtteil am Abend, eigentlich eine schöne Zeit, in der die Abendsonne warme Farben und eine angenehme Atmosphäre erzeugt. Doch hier wirkten die weißen Wände der Gebäude kalt, die Straßen unbelebt. Nichts lud zum Verweilen ein. Waren es die großen wuchtigen Gebäude, die symmetrische Ausrichtung der Straßen und Gebäude, fehlenden Touristen, die Višegrad schon am späten Nachmittag in großen Reisbussen verlassen haben?
Zwei junge Frauen versuchten uns zu überreden eine Vernissage im „Andrićev institut – Andrić-Institut“ zu besuchen. Der Hinweis, dass wir nichts verstehen würden, hielt sie nicht ab, uns ein weiteres Mal anzusprechen.
Nach der Stadthalle, am Ende des Platzes Petar II. (Petrović-Njegoš) baut sich die orthodoxe Kirche auf. Hinter Petar’s Denkmal, flankiert von zwei wuchtigen Bauten, links ein Hotel, rechts das Verwaltungsgebäude des Drina-Wasserkraftwerks von Višegrad. Wie durch einen Tunnel wurden wir zur orthodoxen Kirche geleitet.

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Nach der Stadthalle, am Ende des Platzes Petar II. (Petrović-Njegoš) baut sich die orthodoxe Kirche auf.

Die Fassade des Verwaltungsgebäudes diente gerade als Fotogalerie. Ausgestellt waren Bilder von zerstörten orthodoxen Kirchen während des Bosnienkrieges. Vor einer Ruine Menschenknochen. Vermutlich von Bosniaken getötete Serben.
Wir verließen diesen unbelebten Ort und gingen zurück zu unserem Hotel, das am Ende der historischen Brücke liegt. Hier saßen die Menschen tranken Kaffee, lautes Hupen und Rufen war zu hören. Im Restaurant „Kruna“ beendeten wir den Tag.

Višegrad – die Brücke

Das Frühstück war typisch balkanisch: Schinken, Salami, Grillwürstchen und Spiegeleier mit frittierten Knödeln – fleischlastig also.
Doch bevor es zur berühmten Brücke über die Drina ging, wollten wir uns nach einer Busverbindung in Richtung Sutjeska-Nationalpark erkundigen. Von der Dame im Buchladen in Andrićgrad erfuhren wir gestern, dass ein Bus von Belgrad nach Trebinje über Višegrad und Tjentište fuhr. Der Ort befindet sich im Sutjeska Nationalpark. Ankunft irgendwann mitten in der Nacht!
„Um 9:30 Uhr fährt ein Bus nach Foča“ so die Dame im kleinen Container der Touristeninformation. Das klang schon besser. Von Foča würden wir schon irgendwie weiter kommen. Die Busse fahren gleich auf dem Parkplatz vor dem Infobüro ab.

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Am Morgen liegt noch Nebel über der Drina und seiner Brücke.

Auf der anderen Seite des Platzes spannt sich die Mehmed-Paša-Sokolović-Brücke über die Drina. Davor ein paar Souvenirstände. 180 Meter lang, 11 Bögen grauer Stein. In der Mitte die Plattform – Kapija genannt – früher Kontrollposten und Treffpunkt, heute Treffpunkt und schöner Aussichtspunkt auf die Seite von Višegrad, in der Ivo Andrić aufwuchs. Auf der gegenüberliegenden Seite der Kapija die Stele mit den Texten – Segnungen und Lobpreisung für Mehmed Pascha dem „Erbauer“. Heute UNESCO Weltkulturerbe. 1992 ein Ort der Barbarei, wo unzählige Muslime abgeschlachtet und in die Drina geworfen wurden.
Auf der anderen Seite führt ein Pfad hinauf zu einem Aussichtspunkt. Die Drina und die Brücke liegen unter uns. Grünes Wasser zwischen grünen Berghängen. Wir stiegen wieder hinab und schlenderten ein Stück durch das alte Višegrad, vorbei am Haus Nummer 10 des Schriftstellers, rote Rosen blühten im Vorgarten. Eine Nebenstraße führt wieder ans Ufer der Drina – Andrićgrad auf der anderen Seite. Davor, an den Bootsstegen warteten Touristenboote auf Kundschaft. Am hiesigen Ufer warteten Angler auf einen Biss.
Auch wir brauchten was zu futtern. Mittagessen auf dem Hotelzimmer stand an – Brot, Käse, Wurst und Rotwein und wir brauchten Verpflegung für die nächsten Wandertage. Bezahlen konnten wir in Dinar, was uns sehr entgegenkam. Wir hatten in Serbien deutlich weniger ausgegeben als vermutet.
Unser Stadtplan zeigte noch einen Aussichtspunkt in der Nähe des Zentrums – Bikavac. Als die Sonne bereits tief über den Bergen stand stiegen wir den Hügel hinauf. An einem Pavillon hatten wir einen wunderschönen Blick auf die Stadt und den Fluss. Auch der Name Bikavac steht für ein Verbrechen an den Muslimen. Serbische Paramilitärs sperrten 60 Menschen in ein Haus und zündeten es an. Wer den Versuch unternahm zu fliehen, wurde erschossen. Einer Frau gelang dennoch die Flucht, der Rest starb qualvoll.

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Blick vom Aussichtspunkt Bikavac auf Višegrad.

Vom Hotel bot sich uns ein schöner Blick auf die Drinabrücke. Als es dämmerte flanierte die Jugend über die Brücke, wie zu Andrićs Zeiten. Scheinwerfer strahlten auf die Brückenpfeiler, auf der Kapija wurden Selfies mit Smartphones geschossen.
Morgen werden wir Višegrad verlassen und uns auf den Weg von Titos Partisanen begeben – im Tal der Sutjeska.

Partisanenwege im Sutjeska-Nationalpark

Der Bus nach Foča wartete schon auf dem Parkplatz vor unserem Hotel. Es war wieder so ein Minibus, wie von Mokra Gora nach Višegrad. Der Morgennebel hatte sich aufgelöst und das Wasser der Drina schimmerte wieder blaugrün im Sonnenlicht. Die Fahrt führte durch eine wilde Schlucht. Ob hier auch Wanderwege hindurchführten? Erst vor Goražde weitete sich das Tal und nach 1 Stunde und 15 Minuten erreichten wir Foča.
Der nächste Bus nach Trebinje und somit über Tjentište fuhr um 14:30 Uhr. Das würde bedeuten, fast 4 Stunden zu warten! Wir beschlossen die 25 km mit einem Taxi zu fahren. Ein Angestellter auf dem Busbahnhof holte sein Handy raus und regelte das für uns. Die Wartezeit verkürzte sich auf 5 Minuten.
Die Konversation mit unserem Taxifahrer gestaltete sich umfangreicher als ich befürchtete. So konnten wir ihm unser Fahrtziel vermitteln und lernten im Gegenzug seine Wertevorstellungen kennen: „VW – dobro!“ „Mark – dobro!“ „Euro – nije dobro!“ Das nun syrische Flüchtlinge nach Deutschland durften, Serben dagegen nicht, grämte ihn besonders. Immerhin erfuhren wir, dass es in Tjentište, im Hotel Mladost, Wanderkarten vom Nationalpark zu kaufen gäbe.

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In Tjentiište am Hotel Mladost beginnt unsere Wanderung im Sutjeska-Nationalpark.

Fünf Mark kostete die Wanderkarte an der Hotelrezeption, ein Göttertrunk (Nektar Pivo) 2,50. Unser Ziel war der Maglić, mit 2386 m höchster Berg des Landes. Ein markierter Wanderweg startete laut unserer Karte von einem Bergsattel, dem Dragoš sedlo. Was uns die Wanderkarte nicht verriet, war der Weg dorthin. Doch einer der Hotelangestellten füllte nicht nur unsere Wasserflaschen, er führte uns auch zum Anfang des Wanderwegs. Er beginnt direkt an der Straße, ein kurzes Stück hinter der Brücke über die Sutjeska.
Ein schmaler Pfad führte durch lichtdurchfluteten Laubwald steil den Hang hinauf. Auf einer Wiese (Borovno) wurden wir mit dem ersten Hinweis auf Titos Partisanen konfrontiert – ein wuchtiger Betonklotz. Ein Stein in Dreiecksform daneben wies darauf hin, dass hier am 5. Juni 1943 der ersten Arbeiterbrigade des Bataillons Kragujevac nach schweren verlustreichen Kämpfen der Durchbruch durch die feindlichen Linien gelungen sei.
Es war ein schöner Platz, kaum vorstellbar, dass hier Bomben und Granaten einschlugen. Wir machten erst mal Pause. Der Pfad endete auf einem Forstweg, der nun sanft ansteigend nach Süden führte. Die Sonne brannte und unser Wasser war bald aufgebraucht. Es dauerte lang bis zu einer Quelle. Wir füllten vorsichtshalber alle Trinkflaschen. Mit 3 Kilo Mehrgewicht ging es weiter. Der Geruch von Wasser lag ab jetzt förmlich in der Luft. Im Wald blühte Bärlauch und wo Bärlauch wuchs, war Wasser nicht weit. Ein paar Mountainbiker bretterten den Forstweg hinab. „Ahoi!“ Ich kannte nur ein Volk, dass mit „Ahoi“ grüßt, auch wenn es weit und breit kein Meerwasser gab.
Gegen 16:30 Uhr hatten wir unser Ziel erreicht – Dragoš sedlo. Hier stand eine Infotafel und ein Wohnmobil mit slowakischem Kennzeichen. Die Radfahrer waren doch keine Tschechen.
Von dem Bergsattel zweigte ein schmaler Pfad ab. Laut Wegweiser zu einem Aussichtspunkt. Tief unter uns breitete sich der Perućica-Urwald aus. Das Rauschen des Skakavac-Wasserfalls drang bis hier hinauf.

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Am Aussichtspunkt in der Nähe des Dragoš-Sattels.

In der Nähe des Sattels zweigt auch der Wanderweg in den Perućica-Urwald ab, der nur angemeldet und in Begleitung eines Rangers des Nationalparks betreten werden darf.
Wir folgten noch ein Stück dem Forstweg bis zu einem Picknickplatz mit Schutzdach, Klo und Betondenkmal. Es war Nurija Pozderac gewidmet. Der Vizepräsident des Vorstandes des AVNOJ (Antifašističko veće narodnog oslobođenja Jugoslavije – Antifaschistischer Rat der Volksbefreiung von Jugoslawien) schwer verwundet, erlag hier am 12. Juni 1943 seinen Verletzungen.
Ein Schild am Dach der Picknickhütte verbot Feuer zu machen und Abfall in die Natur zu schmeißen. Beides hatten wir auch nicht vor, wir blieben.

Ein Unglück kommt selten allein

Heute stand die Überschreitung des Maglić an. Unser Ziel war das Prijevor-Camp unterhalb des Gipfels. Ab Dragoš sedlo liefen wir weiter auf dem Forstweg durch jungfräulichen Bergwald. Eine Quelle am Wegesrand lud zum Waschen ein. Bei der Gelegenheit füllten wir auch gleich unsere Trinkflaschen, wer weiß wann sich die nächste Gelegenheit bieten würde. In Serpentinen schwang sich der Forstweg den Berg hinauf. Die Bäume wichen langsam zurück und gaben den Blick auf einen Felsgrat frei. Unterhalb fristete eine kleine Holzhütte ihr Dasein, wir mussten in Mrkalj klade sein. Dem Anschein nach war es eine verlassene Almwirtschaft.
In Lokva Demečišta (1680 m) hatte die Forststraße ihren höchsten Punkt erreicht. Ein Pfad zweigte nach rechts ab und in den Wald hinein. Eine Gedenktafel rechter Hand erinnerte an einen Ahmo. Ein Stück bergauf erinnerten uns Enzian, Primeln und Orchideen daran, dass noch Frühling war. Noch ein Stück höher blühten zartviolette Krokusse und die ersten Schneereste zeigten sich. Es war schon toll gleich drei Jahreszeiten an einem Tag zu erleben.

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Die großen Bäume hatten das Feld geräumt, Bergkiefern traten an ihre Stelle. Zartviolette Krokusse und die ersten Schneereste zeigten sich. (Foto: A. C. Groffmann)

Die großen Bäume hatten das Feld geräumt, Bergkiefern traten an ihre Stelle. Dahinter erhoben sich die Kalkwände des Maglić-Massivs und im Süden die Felsenfestung des Durmitor-Gebirges Montenegros.
Wir rätselten, wo und wie sich der Weg zwischen den Steilwänden emporschwingen würde. Wir folgten den Punkten. Es wurde steiler und steiler, bald zeigten sich die ersten Drahtseile. Nun wurde es anstrengend. Stöcke und Fototasche fanden ihren Platz im bzw. am Rucksack. Anne kletterte voraus und über 100 Kilo kämpften sich hinter ihr den Berg hinauf.
Restschnee verdeckte an einer Stelle die Kabel. Zum Glück waren es nur ein paar Meter, die wir so ungesichert queren mussten. Ich war mir sicher, ein paar Tage früher hätten wir den Aufstieg abbrechen müssen. Der Kalkstein war trocken und bot gute Griffe und Tritte. Bald neigte sich der Berg und wir stiegen auf einem steilen Grashang weiter hinauf. Wir setzten unsere Rucksäcke ab und packten die Stöcke aus. Hier waren sie wieder nützlich. Die Gratkante kam näher und näher, bald mussten wir den höchsten Punkt erreicht haben, dachte ich. Doch wieder einmal befanden wir uns zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Der höchste Punkt entpuppte sich als Bergsattel, bis zum Gipfel waren es noch rund 500 Meter und 50 Höhenmeter. Pause!

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Der Kalkstein war trocken und bot gute Griffe und Tritte. (Foto: A. C. Groffmann)

Bereits in Aufbruchstimmung, den Rucksack halb auf dem Buckel, hörte ich Annes Ruf des Entsetzens – ihr fehlte eine Sandale. Sie hatte die Schuhe draußen am Rucksack befestigt, nun hing nur noch ein Schuh dran. Wir suchten den Boden ab, doch da war nichts. Sie musste ihn irgendwo im Aufstieg verloren haben. Vermutlich als wir unsere Stöcke hervorkramten. Was sollte sie machen? Ohne Sandalen wollte sie nicht weiter, also ging sie auf die Suche. Ich erkundete derweil die Gegend. Vom Maglić kommend führte ein Pfad nach Süden, den sogar mein GPS anzeigte. Ich folgte ihm ein Stück. Rot-weiße Punkte tauchten auf. Laut der Karte führte der Weg zum Trnovačko jezero in Montenegro. Dort wollten wir sowieso hin. Warum nicht auf diesem Weg? Ich lief zurück.
Anne kam freudestrahlend den Hang hinauf, beide Schuhe baumelten wieder am Rucksack. Wie vermutet, lag er an der Stelle, wo wir die Stöcke abgeschnallt hatten. Glück im Unglück. Hätte sie den Schuh im steilen Fels verloren, hätte sie ihn abschreiben können.
Die Idee heute zum Trnovačko jezero zu laufen gefiel ihr auch. Doch auf den Maglić-Gipfel wollten wir trotzdem, aber ohne Rucksäcke. An einem Stein wies ein Schild darauf hin, dass die EU ein Projekt betrieb, um den Ökotourismus im Sutjeska Nationalpark zu entwickeln. Was auch immer darunter zu verstehen war.
Ohne Gepäck lief es sich deutlich besser, 10 Minuten und wir standen auf dem höchsten Punkt Bosniens und der Herzegowina. Tief unter uns schimmerte blaugrün das Wasser des Trnovačko jezero, eingerahmt von steilen Wänden. Anne verewigte uns im Gipfelbuch, dann ging es zurück.

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Abstieg zum Trnovačko jezero.

Der Weg führte links unterhalb des montenegrinischen Maglić vorbei und folgte dem Kamm bis zu einer Scharte. Auf einem schmalen Pfad ging es nun steil, sehr steil bergab in Richtung See. Ich lies Anne den Vortritt und machte noch ein paar Fotos. Dann wackelte ich hinterher. Loses Geröll rutschte unter den Schuhen, es lief sich nicht wirklich gut. Anne war schon weit unten als es plötzlich passierte. Kopfüber stürzte sie auf den Pfad. Trinkflasche und Stock sah ich ein Stück den Hang runterrollen. Ich hielt vor Schreck den Atem an. Wie konnte das passieren? Als ich bei ihr war, hatte sie sich schon wieder aufgerappelt.
„Alles okay.“ Sie war soweit in Ordnung. Ich sammelte Flasche und Stock ein, da sah ich die Bescherung. Ihr Trekkingstock war zerbrochen! Das war also der Grund des Sturzes. Sie wollte sich abstützen, da gab der Stock nach. „FIZAN – 158 Grams“ stand auf den Dingern. „Scheiß UL-Teil“ schoss es aus mir heraus. Kaum auszudenken was hätte passieren können, wenn wir in absturzgefährdeten Gelände gelaufen wären!
Ich gab ihr einen meiner Leki-Stöcke. Sie konnte laufen, wenn auch etwas unsicher. Langsam setzten wir den Abstieg fort.
Kurz vor halb sechs waren wir am Ziel. Nicht nur der Schreck, auch fast 10 Stunden steckten uns heute in den Beinen. Von der anderen Seite des Sees drang Hundegebell herüber. Ich vermutete eine Almwirtschaft. Wir suchten uns ein Stück Wiese und setzten die Rucksäcke ab. Ein paar Holzstümpfe dienten als Tisch und Hocker. Der Platz war schön. Vor uns der See dahinter der Gipfel des Maglić in der Abendsonne.

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Biwak am Trnovačko jezero mit dem Maglić-Massiv in der Abendsonne.

Wir waren uns nicht sicher, ob wir hier am Ufer des Sees zelten durften. Immerhin befanden wir uns im Naturpark Piva. So suchte ich erst einmal Trinkwasser und Anne brachte ihren Spirituskocher in Gang. Am Westufer sprudelte ein Bächlein in den See, Wasserprobleme hatte wir somit keine.
Anne hörte Stimmen aus Richtung Berghang wo wir abgestiegen waren. Bunte Punkte verharrten unterhalb der Felsen. Es musste eine größere Gruppe sein, die vermutlich auch vom Maglić kamen. Wir warteten noch mit dem Aufbau des Zeltes. Doch die Typen ließen sich Zeit, endlich am See angekommen, gingen sie erst mal baden. Sie sahen recht geschafft aus. Wir bauten das Zelt auf!
Die Gruppe hatte eine geführte Tour auf den Maglić gemacht, wie uns ihr Guide erzählte. Von Prijevor sind sie heute morgen los und wollen auch heute noch dorthin zurück. „Die Route war stark beschädigt.“ „Keine Seile!“ erklärte uns der Guide. „Climbing like spiderman“ sagte einer der Teilnehmer. Sah so die Förderung des Ökotourismus aus? Wir waren froh, dass wir nicht über den Maglić abgestiegen sind. Es war irgendwie Ironie des Schicksals, dass Anne ihren Schuh verloren hatte…

Kaffee und Sliwowitz

Die Nacht war sternenklar, der Große Wagen funkelte über unserem Zelt. Erst am Morgen zogen vereinzelt Wolken auf. Wie ein Spiegel lag der Bergsee vor uns. Wir ließen uns Zeit, aßen unser Müsli, bauten ab und packten die Rucksäcke.
Der Wanderweg führte an der Hütte vorbei von der gestern das Hundegekläff zu uns herüberdrang. Das Gelände umgab ein rudimentärer Holzzaun, an der Hütte selbst hingen die Fahnen der einzelnen Balkanstaaten. An einem Holztisch saßen ein junges Pärchen und ein älterer Mann. Wie eine Almwirtschaft wirkte das nicht.
Der Mann rief etwas und winkte uns zu, wir sollten zu ihm kommen. Der Jüngere konnte etwas Englisch. „He is the Ranger“ erklärte er uns, auf den Alten weisend.
„Wildzelten im Naturpark – jetzt hagelt’s Sanktionen“, schoss es mir durch den Kopf. Wir hockten uns zu den Dreien. Der Alte verschwand und kam kurz darauf mit einem Büchlein und einem Stift zurück. Wir mussten unsere Ausweise zeigen, er musste uns registrieren und außerdem kostete der Besuch des Naturparks Eintritt – 1 Euro.

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Die Ranger-Hütte am See.

Der Ranger verschwand erneut und brachte ein Kännchen Kaffee und eine Schnapsflasche. Anne bekam eine Tasse Mokka, ich ein Glas Sliwowitz und beide eine offizielle Eintrittskarte für den Naturpark Piva sowie eine Ansichtskarte vom Trnovačko jezero. Das war’s! Nicht mal die Campinggebühr (1,50 EUR) wollte er. Etwas ungläubig nuckelte ich an meinem Glas rum – auch das war der Balkan! Wir gaben dem Mann noch mal 2 Euro für Kaffee und Schnaps. Er freute sich und widmete sich wieder seiner Arbeit, dem Zaunbau.
Das Pärchen kam aus Foča. Sie hatten auch am See gezeltet. In Bosnien sehen sie für sich keine Zukunftsperspektiven und wie beim Taxifahrer spürten wir den Neid auf die Syrer, die in Deutschland leben dürfen.
Es war schon spät, wir mussten weiter. Hinter der Rangerhütte verschwand der Weg im Wald. An einer dicken Buche hing ein Grabstein. Seine letzte Ruhe in einem Naturpark zu finden, hatte etwas. Ich muss mir mal einen Platz im Schwarzwald suchen. Der Wald lichtete sich und wir erreichten den kleinen Bergsee Suva jezerina (1357 m).

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Wir erreichten den kleinen Bergsee Suva jezerina (1357 m).

Ein guter Platz, um das Zelt zu trocknen und sich selbst nass zu machen. Anne planschte bald im See herum, mir war das Wasser definitiv zu nass!
Hier trennten sich auch die Wanderwege. Nach rechts ging es hinauf zum Prijevor-Camp, links führte der Weg hinab zum Rastplatz Suha an der Straße M-20. Doch bis dorthin folgte ein ermüdender Abstieg durch das Tal des Baches Suški potok. Schilder wiesen darauf hin, dass wir wieder in Bosnien und somit im Sutjeska-Nationalpark wanderten. In etlichen Serpentinen schlängelte sich die Forststraße ins Tal. Unsere Wasserflaschen waren fast leer. Unter uns rauschte der Bach, doch ans Ufer zu gelangen war unmöglich, zu steil. Erst kurz vor der Straße, an einem Ansitz, erreichten wir den Bach – kurze Pause. Immerhin waren wir bald am Rastplatz, dort wollten wir dann länger verweilen und uns überlegen wie es weitergeht.
Der Rastplatz war eine Enttäuschung, keine Tische, keine Bänke nur ein Stück vollgeschissener Asphalt. Hier wollen wir nicht bleiben. Etwa 4 km talwärts zweigt laut Karte ein Wanderweg nach links ab zum Bergsee Donje bare im Zelengora Massiv. Das bedeutete für uns wieder einmal eine Stunde auf Asphalt zu laufen. Nach ein paar Metern zweigte rechts der Straße ein Pfad ab in ein kleines Seitental. Eine Gedenktafel mit Tisch und Bank erinnerte an ein Unfallopfer. Annes Kommentar: „Was dem Wanderer verwehrt wird, bekommen die Toten“. Kurz danach sprudelte frisches Quellwasser aus dem Berg. Trinkwasserproblem gelöst!
Die Sonne brannte und die Füße taten bald weh vom Laufen auf dem harten Blag. Am linken Straßenrand liebte sich ein Pärchen Panzerschleichen (Ophisaurus apodus), über einen Meter lange Viecher! Auf der anderen Seite warnten rote Schilder mit weißem Totenkopf vor Landminen. Wandern in Bosnien!
Endlich erschienen andere rote Schilder am Straßenrand – Wegweiser zum See Donje bare. Ein steiler Aufstieg begann. Immer wieder versperrten umgestürzte Bäume den Weg. Wir mussten querfeldein die Hindernisse umgehen. Es begann sich abzuzeichnen, dass wir den See heute nicht mehr erreichen würden. Kurz vor einem Bergbach verlief der Wanderweg eben, wir beschlossen hier zu zelten, auch wenn uns unzählige Schnaken stänkerten…

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Biwak auf dem Weg zum Bergsee Donje bare.

Wilde Tiere

Ärgerten uns am Abend die Schnaken, fuhr der Morgen noch stärkere Kaliber auf. Ich wühlte in meinem Fressbeutel herum, um an den Futternapf zu gelangen, spazierte doch in diesem ein Skorpion herum. Klein und schwarz, den Stachel nach oben gerichtet. Irgendwie wusste ich, warum ich eine Abneigung gegen alles habe, was mehr als 4 Beine sein Eigen nennt.
Jeden Beutel, meine Schuhe, den Rucksack alles schüttelte ich kräftig durch. Es blieb bei diesem einen Exemplar – vorerst.
Wir setzten unseren Aufstieg fort. Der Wald lichtete sich alsbald und wir betraten eine Bergwiese voller Blumen. Bergnelken, Kornblumen, Lilien, Orchideen und Stiefmütterchen leuchteten im Morgenlicht. Anne entdeckte wilden Majoran und Eisenkraut. Im Dunst erhob sich auf der anderen Seite der Maglić, hoch über der Sutjeska-Schlucht.

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Im Dunst erhebt sich auf der anderen Seite der Maglić, hoch über der Sutjeska-Schlucht.

Der Weg verschwand wieder in dichtem Laubwald. Der Waldboden leuchtete weiß. Blühender Bärlauch soweit man schauen konnte. Ein Genuss, wenn die Schnaken nicht wären. Erst als der Wald wieder lichter wurde und eine kühle Brise um unsere Nasen wehte, ließen die Biester von uns ab.
Hinter einer Anhöhe entdeckten wir den Bergsee. Laut unserer Wanderkarte gab es eine Berghütte am See. Irgendwie hatte ich mir den See ganz anders vorgestellt. So zwischen Bäumen und Gras ähnelte er einem Weiher im Stadtpark.
Drei Stunden hatte der Aufstieg gedauert. Gut, dass wir gestern nicht weiter gelaufen sind. Ein schmaler Pfad führte oberhalb des Sees bis zu besagter Berghütte. Sie war verschlossen – kein Bier, kein Kaffee! Von einer Terrasse unterhalb der Hütte, führte eine lange Steintreppe den Hügel hinauf. Auf der Terrasse blichen weiße Steine in der Sonne. Das ganze Ensemble musste mal so was wie ein Ferienobjekt gewesen sein. Vermutlich aus der Tito-Ära. Jetzt war es nur noch eine Ruine. Immerhin stand ein Holztisch und eine Bank auf der freien Fläche – mit Seeblick.
Der Blick auf’s Wasser reichte Anne nicht, sie wollte es hautnah erleben. Ich hielt mich dezent im Hintergrund. Es dauerte auch nicht lang und sie verließ den Teich wieder.
Zwischen den Steinen tummelten sich Molche und Wasserkäfer, im Schlamm Blutegel! Keine Minute dauerte es, da kroch schon so ein Blutsauger an meinem Wanderschuh hinauf. Wer weiß, was noch so alles in dem Tümpel hauste.
Wir gingen zurück zu unseren Rucksäcken. Was krabbelte da neben Annes Rucksack? Ein Skorpion! Größer und fetter, als der von heute Morgen. Wir zogen es vor weiterzulaufen. Immer die Treppe rauf, bis zu einer Infotafel. Dort fing es an zu regnen. Gegenüber auf der Wiese erinnerte wieder ein Betondenkmal an die Partisanenkämpfe der Dalmatinischen Brigade in diesem Gebiet.
Der Regen ließ nach, wir konnten weiter. Ab jetzt liefen wir nur noch auf Forststraßen talwärts. Unter uns wilde Schluchten. Ein Gewitterschauer jagte den nächsten. Nicht genug damit, dass ich mir einen Knoten in die Arme knüpfte, um den Poncho anzuziehen, das Ding ließ irgendwo im Brustbereich auch noch Wasser durch.

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Ein Gewitterschauer jagte den nächsten.

Laut Wanderkarte sollte es im Bereich „Savin grob“ einen unmarkierten Pfad hinunter zum Hotel „Mladost“ geben. Wir erreichten die Gedenkstätte, am Himmel kündigte sich das nächste Gewitter an, einen Weg fanden wir nicht. In strömendem Regen mussten wir der Straße bis in den Ort Tjentište folgen. Nirgends fand sich eine Stelle zum biwakieren. Pitschnass und müde erreichten wir nach insgesamt 11 Stunden das Hotel.
Das Zimmer war okay, das Duschwasser kalt! Mit der Spezialität des Hauses – Grillplatte – übernahmen wir uns heute gründlich. Wir schleppten uns noch die Stufen zum Zimmer hoch und fielen in die Betten. Morgen wollten wir nach Mostar, so der Plan.

Sarajevo

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Blick auf die Stadt kurz vor Sonnenuntergang.

Von Tjentište nach Mostar gäbe es keine Direktverbindung, erklärte uns der Herr an der Hotelrezeption nach dem Frühstück. Gegen 10 Uhr sollten zwei Busse fahren. Einer nach Sarajevo, der andere nach Trebinje. Von beiden Städten könnten wir weiter nach Mostar.
Da der Bus nach Sarajevo kurz vor 10 Uhr fahren sollte, entschieden wir uns für diesen. Falls der Verspätung hätte, könnten wir immer noch in die andere Richtung fahren. Die Bushaltestelle befand sich vor dem Lebensmittelladen (prodavnica). In den Bergen hingen immer noch Regenwolken.
Trotz 20 Minuten Verspätung, kam der Bus aus Trebinje nach Sarajevo zuerst. Nach einem kurzen Halt in Foča, ging es durch bis Sarajevo. Genauer gesagt bis nach Sarajevo-Ost (Istočno Sarajevo). Während der Fahrt änderten wir erneut unsere Reisepläne. Von Mostar wollten wir ursprünglich nach Diva Grabovica fahren und im Čvrsnica-Gebirge wandern. Von Sarajevo bot sich als Ausgangspunkt nun Jablanica an.
„Wollen wir uns ein Taxi teilen?“ fragte uns ein junger Mann auf dem Bussteig. Ein Finne, der sich in Sarajevo gut auskannte. Erst einmal erkundigten wir uns am Infoschalter nach einer Busverbindung in Richtung Jablanica.
Von hier würden keine Busse fahren, wir müssen zum zentralen Busbahnhof, erklärte uns der Angestellte. Mit dem Stadtbus könnten wir in die Altstadt von Sarajevo fahren. Die nächste Bushaltestelle befand sich etwa 400 m rechts am Boulevard „Mimara Sinana“. Die Straße hieß hier am Busbahnhof noch Srpskih vladara, denn wir befanden uns immer noch in der Teilrepublik Srpska. Erst auf dem Weg zur Bushaltestelle überschritten wir sozusagen die Grenze zur Föderation Bosnien und Herzegowina. Der junge Finne begleitete uns zur Haltestelle. Bus Nummer 103 fuhr in Richtung Altstadt. Unser Begleiter liebte die Stadt, aufgrund ihrer Geschichte und der Menschen die hier trotz verschiedener Religionen zusammenleben. Obwohl Korruption und wieder aufflammender Nationalismus dieses Zusammenleben immer schwieriger machen, wie er uns erzählte.
Mitten in der Altstadt, der Baščaršija, verabschiedeten wir uns vom Finnen. Da es recht schwül war, suchten wir das erstbeste Hotel auf, dass uns ins Auge fiel – Yildiz. Die Lage war gut, die Zimmer – na ja, für 2 Nächte würde es gehen.
Der Touri-Info waren die Stadtpläne ausgegangen und dem Restaurant „Epizentrum“ der traditionelle bosnische Eintopf. Es fing auch wieder an zu regnen und aufgrund des Ramadans war es abends vor unserem Hotelfenster dermaßen laut, dass an Schlaf nicht zu denken war.

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Am nächsten Morgen ist es wieder schön.

Der heutige Tag begann für uns mit organisatorischen Dingen. Die Sonne schien und vor dem Sebilj-Brunnen fütterten Kinder die Tauben. Eine Touristeninformation, die nicht nur Stadtpläne besaß fanden wir auf der Velika Avlija 2. Der Typ von „Info Bosnia Tours“ konnte uns auch sagen, wo wir eventuell Wanderkarten bekommen konnten. Auf der Straße Mula Mustafe Bašeskije, 63 gab es einen Bergklub. Dort sollten wir es versuchen. Den Bergklub (Planinarsko drušvo) „Treskavica“ fanden wir, er hatte geschlossen.
Unser nächstes Ziel, der Hauptbahnhof war auch geschlossen. Der Personenzugverkehr in Bosnien wurde eingestellt! Im Busbahnhof hatten wir mehr Erfolg. Busse nach Jablanica fuhren beispielsweise um 9:55 Uhr und 11:30 Uhr.
In einem Buchladen entdeckte ich ein Tito-Kochbuch. Alle Politik-Halunken der vergangenen Jahrzehnte waren darin vereint. Falls es das Buch am Ende unserer Reise noch gab, wollte ich es kaufen.
Zurück am Baščaršija-Platz hockten wir uns vor ein Café und schauten zu, wie sich Touristen mit Selfies verewigten. In der Ćevabdžinica „Sport“ gönnten wir uns eine Begova čorba (bosnische Hühnersuppe). Für unsere nächste Wanderung galt es auch neue Verpflegung heranzuschaffen. Der Konsum lag gleich neben unserer Unterkunft und leckeren Rotwein aus der Herzegowina gab es dort auch.
Auf der Rückseite unseres Stadtplans wurden unter anderem Speisen der typisch bosnischen Küche beschrieben und wo man diese bekommen könnte. So zum Beispiel Sarajevski sahan (ein Fleisch-Gemüse-Gericht, 10 KM) im Restaurant „Aščinica ASDŽ“. Jede Beschreibung war mit einer Nummer versehen, in diesem Fall eine rote Fünf. Wir drehten die Karte um, suchten die Nummer 5 und begaben uns auf die Suche nach besagtem Restaurant. Eine Kopfsteinstraße führte steil einen Hügel hinauf, vorbei an einem Friedhof und zu einer Art Festung. Nur unser Restaurant war weit und breit nicht zu sehen. Wir fragten eine Passantin, die war sich sicher, dass sich das Restaurant unten in der Altstadt befände. Ich prüfte noch einmal unsere Karte und verglich die Straßennamen, beides passte. Das Restaurant musste hier oben auf dem Hügel irgendwo sein. Wir rannten noch mal runter und wieder hoch, jeden Meter ein Blick auf die Karte werfend, alles stimmte. Das Restaurant blieb verschollen. Sichtlich entnervt wagten wir noch einmal den Kontakt zu Einheimischen.
Der Mann schickte uns erneut in Richtung Innenstadt. Ich zeigte ihm die Karte. Er schaute kurz drauf und begann zu Lachen. Es gab zwei rote Fünfer, wir waren dem falschen gefolgt. Schnell ein „Hvala“ murmelnd machten wir uns schleunigst aus dem Staub. Das war mal ein Paradebeispiel für dämliche Touristen.
Zwar fanden wir schlussendlich unser Restaurant, doch die standen dermaßen unter Stress aufgrund des Ramadans, dass wir mindestens eine Stunde hätten warten müssen. Alles wartete auf den Startschuss für’s große Fressen. Im Restaurant „Bosanska kuća“ fanden wir am Ende doch noch eine nette Einkehr mit bosnischer Küche…

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Der Sebilj-Brunnen auf dem Baščaršija-Platz am Abend.

Durststrecken im Čvrsnica-Gebirge

Es dauerte eine Weile bis unsere Wasserflaschen voll waren. Das Wasser am Sebilj-Brunnen rann recht spärlich aus dem Metallrohr. Es wird behauptet wer das Wasser trinkt, kommt zurück nach Sarajevo. Wir werden sehen.
Mit dem Bus um 9:55 Uhr wollten wir erstmal nach Jablanica und dann weiter ins Čvrsnica-Gebirge. Der Hauptgrund weshalb ich dort wandern wollte war das Hajdučka vrata (Heiduckentor) ein Felsenring am Hauptkamm.
Die Sonne schien, der Bus war pünktlich und eineinhalb Stunden später waren wir am Ziel.
Die Frage war nun, wie kommen wir am gescheitesten in die Berge. Im Busbahnhof hing eine Karte der Region. Ein Kommunikationsversuch am Infoschalter des Busbahnhofs schlug jedoch gründlich fehl.
„Wie kommen wir zum Heiduckentor?“ fragte ich. „Taxi“
„Gibt es hier eine Touristeninformation?“ fragte Anne. „No!“
„Und eine Wanderkarte?“ „No!“
„Eine Toilette?“ „No!“
Wir ließen Mister „No“ sitzen und suchten uns ein schattiges Plätzchen für’s Mittagessen. Die Terrasse eines Burek-Restaurants schien geeignet und wir bekamen die bosnische Spezialität frisch vom offenen Feuer.

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Mittagspause in Jablanica. Es gibt Burek direkt aus dem Ofen.

Da unsere Wanderung durch das Čvrsnica-Gebirge dem Fernwanderweg Via Dinarica (weiß) folgen würde, hatte ich mir daheim den Track auf’s GPS-Gerät geladen.
Ich schaltete mein Orientierungswunderding ein und wollte den Track laden, drückte auf „go“ – nix tat sich! Blöderweise hatte ich nicht daran gedacht, dass mein Teil nur Tracks mit einer begrenzten Anzahl von Wegpunkten darstellen konnte. Immerhin wurden die mitgespeicherten Routen-Wegpunkte angezeigt – ein Lichtblick. Ich suchte einen Punkt aus, eine Wasserquelle (Bukova spring), und ließ das Gerät arbeiten.
Anne traute der Sache nicht recht. Auch als an den Strommasten am Straßenrand wieder die typischen rot-weißen Markierungen auftauchten blieb sie skeptisch. Die Markierungen verließen die Asphaltstraße wir auch. Ab jetzt ging es auf einem Forstweg bergauf. Die Sonne brannte. Wir erreichten die erste Wegteilung. Rechts ging es zur örtlichen Müllkippe, links weiter den Buckel rauf. In einer Kurve stand ein Pkw mit Anhänger. Jemand hatte Holz geladen. In der nächsten Kurve entdeckten wir den „Jemand“ – bis an die Zähne bewaffnet. Eine Jagdflinte in der Hand, die andere auf dem Rücken und ein Dolch hing ihm am Gürtel. Rambo war nichts dagegen…
Andrej befand sich auf der Jagd, wie wir unschwer erkennen konnten und als Jäger schien er sein Revier gut zu kennen. „Es gibt kein Wasser oben“ versicherte er uns. Und um uns vom Wahrheitsgehalt seiner Worte zu überzeugen führte er uns kurzerhand zu einer Quelle an einer kleinen Hütte. Die Quelle war ausgetrocknet. Wir sollten mit zum Auto kommen. Er holte drei Wasserflaschen aus dem Wagen und gab sie uns. Wir füllten alle Flaschen auf und eine vom Jägersmann stopfte ich noch oben drauf. Nun hatte ich 4 Kilo Zusatzgewicht. Mit dem Hinweis, nicht das Wasser aus dem See zu trinken, entließ er uns.

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Der „Wassermann“ auf der Jagd.

Der Forstweg wurde nun steiler und ruppiger. Vom Regen ausgewaschene Furchen und Geröll ärgerten die Füße, Donnergrollen die Ohren. Die ersten Tropfen fielen, wir schlüpften in unsere Ponchos. Zumindest Anne, ich bekam’s wieder mal nicht auf die Reihe. Plötzlich hörten wir noch ein anderes Grollen – Motorenlärm. Ein alter VW ohne Nummernschild wühlte sich rückwärts den Berg hinauf, auf der Motorhaube hockte einer als Gegengewicht, wie es schien. Kurz darauf ein zweiter Wagen.
Nach einer Weile erreichten wir eine kleine Plattform. Dort standen die Rallyefahrer. Waldarbeiter, die mal die Sau rauslassen wollten. Volkswagen kam wieder mal recht gut weg bei den Vieren – trotz Dieselaffäre. Mittlerweile goss es in strömen. Der Forstweg endete hier und ein schmaler glitschiger Pfad verschwand im Wald. Laut meinem GPS waren es noch 1,3 km bis zum nächsten Wegpunkt, einer Schutzhütte (Mountain Hut Plasa). Nach einer halben Stunde Aufstieg waren es immer noch 1,3 km. Nach einer Stunde – 1,3 km. Anne verlor nun das letzte Fünkchen Vertrauen in moderne Technik. Dabei lag es ja nur daran, dass wir zwar Höhe, aber kaum Strecke machten. Nach zwei Stunden war ihre Geduld am Ende. Es war jetzt 18:30 Uhr. Sie war müde und ihre Füße taten weh. Wir suchten uns ein halbwegs ebenes Plätzchen und biwakierten wieder mal auf dem Wanderweg im Wald.

Regentropfen an den Zweigen glitzerten in der Morgensonne. Es dauerte noch eine Stunde dann sahen wir die Schutzhütte auf einer Wiese vor einem Geröllhang. Auf einem Schild an dem Häuschen steht: Planinarsko Društvo „Plasa“ Jablanica. Es gehört also einem Bergklub aus Jablanica und war verschlossen. Einen schönen Platz auf einem Bergrücken hatten die Bergfreunde für ihre Hütte ausgewählt. So schön, dass wir beschlossen heute hier zu bleiben und einen Ruhetag einzulegen. Im Westen fiel der Ausläufer steil hinab zur Diva-Grabovica-Schlucht tief unten floss die Neretva. Hinter der Schlucht erhoben sich steile Felswände und am Horizont lugte der höchste Berg des Čvrsnica-Gebirges hervor, der Pločno (2228 m). Im Osten streckten sich die Gipfel des Prenj-Gebirges in die Wolken.

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Ankunft an der Plasa-Hütte.

Doch die majestätische Berglandschaft war nicht der einzige Grund, weshalb wir hier blieben. In einem Plastikkanister hinter der Hütte wurde Regenwasser gesammelt. Wir hatten somit Koch- und Trinkwasser.
Einzig die Wegmarkierung war verschwunden. So sehr ich suchte, die rot-weißen Punkte konnte ich nirgends entdecken. Ein unmarkierter Pfad führte hinter der Hütte den Hang hinauf. Nach dem zweiten Müsli-Frühstück wollte ich den Pfad erkunden. Anne blieb mit ihrem eBook-Reader auf der Wiese und lies es sich gut gehen.
Der Pfad führte im Zickzack den Berg hinauf, oben blühte blauer Enzian, der Pfad war verschwunden. Ich folgte ein Stück querfeldein dem Hang bis ich wieder auf einen Pfad traf. Auch dieser hatte keine Markierungen. Immer am Saum eines Bergkieferdickichts entlang, stieß ich auf einen Pfad, der von rechts kam und fast mit einer Kreuzotter zusammen, die sich gemächlich ins Unterholz bewegte. Ab jetzt leuchteten wieder die rot-weißen Punkte von den Steinen, erst blass mit jedem Schritt weiter immer kräftiger.
Von Neugier gepackt, wollte ich wissen woher der markierte Pfad kam. Ich folgte ihm bergab bis auf eine Bergwiese wo ein provisorischer Wegweiser in Richtung „Plasa“ zeigte. Ich musste ein gutes Stück durch Kiefernwald, immer am Berghang entlang queren, bis ich beim Klohäuschen wieder die Schutzhütte erreichte.
Wir entschieden uns auch morgen direkt den Hang hinter der Hütte zu erklimmen. Unten herum zu laufen würde uns zu viel Zeit kosten. Bei Pilzpolenta mit Käsesoße warteten wir auf das obligatorische Abendgewitter.

Hin und wieder zurück

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Aufstieg von der Plasa-Hütte am nächsten Morgen.

Noch bevor sich die Sonne richtig fit gemacht hatte, stiegen wir den Geröllhang hinauf. Über der Diva-Grabovica-Schlucht waberte Morgennebel. Nur ab und zu erlaubte ein Wolkenloch den Blick zur Neretva. Mit uns stieg auch der Nebel auf und ein Stück hinter dem Gipfel hatte er uns umzingelt. Knorrige kahle Baumstämme wirkten wie Wesen aus einer anderen Welt.
Gut, dass ich den Weg schon kannte. So gelangten wir ohne Probleme auf den Wanderweg. Von der Umgebung links und rechts war nicht viel zu sehen, nur die rot-weißen Punkte wiesen uns die Richtung. Unser Weg wandte sich zwischen Geröllkuppen aus weißem Kalkstein in Richtung Westen. In Senken, die Dolinen ähnelten, warteten Schneereste auf ihr Ende. Kleine rote Blümchen leuchteten zwischen den Steinen. Ab und zu auch blauer Frühlingsenzian. Je weiter wir liefen, desto dünner wurde der Nebelschleier, bis er sich schließlich ganz auflöste. Wir befanden uns auf einer hügeligen Hochebene von Bergkiefern bewachsen.
Auf dem Display meines GPS-Gerätes erschien eine rot gestrichelte Linie, der Wanderweg aus der Diva-Grabovica-Schlucht. Auch das Hajdučka vrata – Heiduckentor war als Wegpunkt markiert. Wir liefen weiter. Immer wieder erschienen Karstphänomene in Form von tiefen Löchern im felsigen Boden. Bald erreichten wir den Crljenak-See – Frühstück. Der See hat keinen sichtbaren Zu- oder Abfluss. Das Wasser zu trinken wäre nicht ratsam, laut unserem Waidmann.
Weiter ging es mal hoch, mal runter. Auf dem GPS-Gerät erschien ein Wegpunkt: Mountain Lodge Vilinac, stand da. „Mountain Lodge“ das klang gut! Schäumender goldgelber Gerstensaft erschien vor meinem geistigen Auge, brutzelnde Balkanplatte. Ich legte einen Zahn zu. In einem Bergsattel erschien ein roter Wegweiser. „Hajdučka vrata 45 min“ stand da. Das Problem, der Pfeil zeigte in die Richtung aus der wir gerade kamen! Etwas ungläubig starrte ich auf den Wegweiser. Waren wir am Heiduckentor vorbeigelaufen? Offensichtlich! Warum ich Idiot nicht noch mal auf mein Gerät geschaut hatte, blieb mir schleierhaft. Nun gut, ein Bierchen in der „Mountain Lodge“ würde trösten.

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„Hajdučka vrata 45 min“ – wir sind dran vorbeigelaufen.

Wir stiegen voller Erwartungen auf der anderen Seite des Sattels nach unten. Ein Dach kam in Sicht. Doch statt einer „Mountain Lodge“ entpuppte sich das Etablissement als abgeschlossener videoüberwachter Blechschuppen! Ich wollte es nicht glauben. So musste sich der Zwerg Gimli im Film „Der Herr der Ringe“ gefühlt haben, als er Moria betrat!
„Lauf doch ohne Rucksack noch mal zurück“ schlug Anne vor. Zeit hatten wir genug. Ich überlegte nicht lang, setzte meinen Rucksack ab und marschierte in Richtung Heiduckentor. Es dauerte exakt 45 Minuten. Gleich in der Nähe wo der Wanderweg in die Diva-Grabovica-Schlucht abzweigt erhebt sich das Felsentor. Ich machte ein paar Fotos und lief wieder zurück. Insgesamt hatte mein Ausflug 1 Stunde und 45 Minuten gedauert.
Anne hatte unterhalb der Hütte eine Quelle entdeckt. Wir füllten alle Flaschen auf und nach einem Blick auf die Straßenkarte, beschlossen wir zum Pločno zu laufen, dem höchsten Berg des Čvrsnica-Gebirges. Ich konnte mich nicht erinnern, je mit einer Karte im Maßstab 1:200 000 gewandert zu sein.
Die Sonne schien. Der Weg führte durch einen ausgedehnten Kalksteinkessel. Bergkiefern wuchsen zu beiden Seiten des Weges. Doch auch Blutwurz, Frauenmantel, Gänsefingerkraut, Guter Heinrich, Johannisbeere, Sauerampfer und Wilde Möhre wuchsen hier. Zwischen dem Bodenbewuchs zeigten sich Siedlungsreste (Peharovi stanovi) in Form verwitterter Grundmauern. Oberhalb in den Felsen gähnten Höhlen.
Wo das Bergkieferdickicht zurückwich blühten auf den Bergwiesen blauer Enzian, Schachbrettblumen, Schlüsselblumen und mehrere Orchideenarten. Was es nicht mehr gab war Wasser.

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Biwak mit Dinner.

Auf einem Stück Wiese zwischen zwei Einsturztrichtern bauten wir unser Zelt auf. Für die Nudeln mit Tomatensoße und den Himbeerblättertee heute Abend, sollte das Wasser noch reichen. Da ich wieder mit einem Abendgewitter rechnete, baute ich aus Trekkingstöcken und Regenponcho ein Wasserauffangbecken. Dann hätten wir auch für Morgen ausgesorgt.

Rasende Engländer

Kein Tropfen Regen zeigte sich am Morgen in meiner technologischen Meisterleistung. Nun hieß es Wasser sparen! Die Sonne schien, die Blüten des blauen Enzians begannen sich zu entfalten. Zwischen Kalksteinkratern näherten wir uns dem Pločno. Deutlich war der Zickzackweg für den Aufstieg und das Gebäude auf dem Gipfel zu erkennen. Vor unseren Nasen tauchte ein Wegweiser auf. Links zeigte er zum Gipfel, rechts nach „M. L.“
Mit einem Abzweig hatten wir hier nicht gerechnet. Laut unserer Straßenkarte führte vom Gipfel des Pločno eine Schotterpiste hinab zum Blidinje-See. Wollten wir die wirklich laufen? Anne ärgerte sich, dass wir nicht über den Vilinac gelaufen sind. Doch auf einen Abstieg über Schotterpisten hatten wir beide keinen Bock. Wir entschieden uns für den Abstieg nach „M. L.“ Was das auch immer heißen mochte.
Wir ließen den Gipfel links liegen und folgten dem markierten Wanderweg nach Norden. Am Wegesrand wuchs wieder Guter Heinrich. Mit der gewonnenen Erkenntnis, dass dieser ein Spinatersatz war, tat ich mich an ein-zwei Blättern gütlich. Das Grünzeug schmeckte etwas mehlig aber nicht schlecht. Anne sammelte ein paar Blätter für’s Abendessen.

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Guter Heinrich im wilden Balkan.

Der Abstieg erwies sich als recht steil. Über uns türmten sich weiße Felswände in den Himmel. Bald standen wir erneut vor einem Abzweig. Auf einem Stein stand mit roter Farbe „M. L.“ Wir folgten diesmal jedoch nicht der ominösen Abkürzung, sondern wählten die linke Variante. Der See lag ja auch eher links von uns. Der Weg wurde noch steiler und endete schließlich wieder an einem Wegweiser. Dieser lüftete auch das Geheimnis der Buchstaben. „Planinarski dom Masna Luka“ stand dort. Eine Berghütte also. Ich hatte das Gefühl nicht wirklich etwas verpasst zu haben. Ab jetzt folgten wir auch wieder der Via Dinarica. Bis zum Blidinje-See sollten es noch 55 Minuten sein.
Häuser kamen in Sicht, wie es schien Wochenend- oder Ferienhäuschen. Unter einem Vordach machten wir Mittagspause, leichter Nieselregen setzte ein. Kurz nach den Häusern öffnete sich das Tal, eine weite grasbewachsene Hochebene breitete sich vor uns aus. Die Landschaft erinnerte mich an den Steppenaltai in Sibirien. Fehlten nur noch Trampeltiere und Skythengräber. Stattdessen weideten Schafe am Ufer des Blidinje-Sees und Gräber gab es auch. Doch dazu später.
Irgendwie rumorte es bei mir in der Magengegend. War der Gute Heinrich doch nicht so gut? Wir liefen bis ans Nordufer, dort gab es laut Wegweiser wieder eine Berghütte – Orlova Stina. Sie lag zwar direkt an der Straße aber an die Möglichkeit dort einkehren zu können, glaubten wir beide nicht mehr. So war’s auch, das Gebäude bot uns kein warmes Essen sondern die kalte Schulter.

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Die Hochebene am Blidinje-See und das Pločno-Massiv. (Foto: A. C. Groffmann)

Immerhin blies ein kräftiger Wind, ich konnte mein Zelt trocknen. Die Frage, die uns jetzt beschäftigte lautete: Wie würden wir hier weg kommen? Ob ein Bus fuhr? So vor uns hin grübelnd hielt ein schwarzes Auto mit kroatischem Kennzeichen. Es waren Engländer. Ein Rentnerpärchen auf der Suche nach dem Weltkulturerbe der UNESCO. Oder sollte ich besser sagen, auf der Jagd danach?
Irgendwo am See sollten sich alte Grabsteine befinden. Der Mann wusste nur nicht genau wo. Jemand hatte ihm gesagt, dass es in der Nähe eines Restaurants sein soll. Die Beiden wollten heute noch nach Sarajevo und weiter bis Višegrad, doch nicht ohne die Grabsteine! Wir könnten bis Jablanica mitfahren. Falls sie jemanden fragen müssten, der als Fremdsprache nur deutsch verstünde, könnten wir ja übersetzen. Ofensichtlich standen sie schon vor derart Problemen.
Während der Fahrt erfuhren wir, dass sie jeden Ort, der neu als Weltkulturerbe aufgenommen wurde, besuchten. Da hatten die Beiden einen vollen Terminkalender und keine Zeit. Eben aus Zentralasien zurück, düsten sie nun durch Bosnien um Grabsteine zu finden. In einer Woche wollten sie alle UNESCO-Kulturgüter von Bosnien, Kroatien und Serbien abklappern – eine ambitionierte Aufgabe.
Das Restaurant Hajdučke vrleti kam in Sicht, wir stoppten. Anne musste ihm auch noch sagen, dass ich russisch sprach… (Welch maßlose Übertreibung) Der Mann sprang hinaus ich folgte ihm als „Übersetzer“.
Schnurstracks lief er zur Theke und fragte nach den Gräbern. Die Dame konnte ihm nicht viel sagen und zeigte auf eine Kellnerin, die sich gerade mit einem Kollegen unterhielt. Der Engländer platzte mit seinem Anliegen mitten ins Gespräch der Beiden, die erschrocken aufschauten. Ich machte mich klein im Hintergrund. Immerhin erklärte sie uns den Weg. Der Typ stürmte aus dem Hotel ich hatte Mühe Schritt zu halten. Wir sprangen ins Auto und ab die Post. Auf einer staubigen Schotterstraße sahen wir schon von Weitem weiße Steine aus dem Gras schauen.

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Sie stammen aus dem 14. Jahrhundert, einer Zeit, bevor das heutige Bosnien unter die Herrschaft der Osmanen geriet.

Der Ort heißt Dugo Polje, die Grabsteine werden stećci genannt. Sie stammen aus dem 14. Jahrhundert, einer Zeit, bevor das heutige Bosnien unter die Herrschaft der Osmanen geriet. Dieser Ort gehörte zum Bezirk Drežnica. Das Gräberfeld besitzt 150 Grabsteine, 32 von ihnen weisen Verzierungen auf. Meist sind es Kreuze und geflochtene Seile, Mond und Sonne aber auch Menschen sind auf den Steinen abgebildet.
Der Engländer, überglücklich, wies seine Partnerin an was sie wie fotografieren sollte bevor er selbst zur Kamera griff. Auch ich fotografierte das Gräberfeld und ein paar der Steine mit den Männeken drauf. Dann ging es zurück zum Auto und wir fuhren zügig nach Jablanica.
Eine Hitzewelle schlug mir entgegen, als ich die Autotür öffnete. Wir verabschiedeten uns von den beiden rasenden Engländern und liefen zum Busbahnhof. Der nächste Bus nach Mostar fuhr um 16:30 Uhr, wir hatten noch eine Stunde zeit. Zeit für ein Bierchen oder auch zwei. Mein Magen hatte sich etwas beruhigt. Gegenüber der Kneipe parkte ein Auto mit Berliner Kennzeichen: B – IH …
Der Bus ist pünktlich und die Strecke nach Mostar grandios. Mitten durch die Schlucht der Neretva führt die Straße. Bei Diva Grabovica erhaschten wir einen Blick zum Kamm des Čvrsnica-Gebirges. Dort oben stand unser Zelt.
Bald wichen die Felsen zurück, Weinfelder und Granatapfelbäume traten an ihre Stelle, wir waren in der Herzegowina. Auf halbem Weg zwischen der Altstadt von Mostar und dem Busbahnhof buchten wir 3 Nächte im Vier-Sterne-Hotel Pellegrino. Mir ging es wieder schlechter, trotzdem wollte ich auf das Wahrzeichen der Stadt die Alte Brücke – Stari most. Im Restaurant Šadrvan gönnte ich mir am Abend nur eine Suppe und Joghurt-Gurkensalat (Satrica, 4 KM). Der Kellner konnte Deutsch. Auf Annes Kompliment antwortete er: „Ich hab in der Schule aufgepasst“. Lachte, und erzählte uns, dass er während des Krieges in Crailsheim lebte und dort auch zur Schule ging. Der Mond leuchtete am Himmel, die Minarette der Moscheen über der Neretva, auf dem Weg zurück zum Hotel.

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Sonnenuntergangsstimmung.

Mostar – geteilte Stadt

Einen Großteil der Nacht bin ich nicht aus der Hocke gekommen. Mit Anne kaufte ich Salzbrezeln und Coca Cola im Konsum, in der Apotheke Enterofuryl 200 (Wirkstoff: Nifuroxazid, 6 KM) gegen Durchfall. Wir waren uns sicher, ich musste mir irgendwas in Sarajevo eingefangen haben, den Guten Heinrich traf keine Schuld. Den Rest das Tages verbrachte ich in der Horizontalen und bescherte dem Coca-Cola-Konzern Rekordumsätze. Anne entdeckte Mostars Gegensätze.

Am Morgen ging es mir besser, richtig fit fühlte ich mich jedoch nicht. Ein Stadtbummel war aber schon in Ordnung. Auf dem Weg zur Alten Brücke bot uns ein Typ seine Dienste als Stadtführer an. Seine Antwort auf Annes Absage war nicht schlecht: „Ihr wollt nicht, dass ich Geld verdiene.“
Auf die Terrasse des Cafés „Luft“ unterhalb der Brücke hockten wir uns in den Schatten. Schon jetzt brannte die Sonne unbarmherzig auf die Stadt. Am Ufer der blaugrünen Neretva posierten Touristen vor den Smartphones ihrer Kollegen oder Partner. Die akrobatischen Verrenkungen sowohl der „Models“ als auch der „Fotografen“ waren zirkusreif.

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Touristenrummel am Ufer der Neretva.

Oben auf der Brücke posierte man auch, junge Männer, braungebrannt in Badehosen – Brückenspringer. Sie turnten so lange auf der Brüstung über dem Abgrund herum, bis sich genügend zahlungskräftige Touristen gefunden hatten, dann sprang einer von ihnen in den Fluss. Das war ihr Job. Ungefährlich war das nicht. Die Strömung war hier recht kräftig und der Sprung musste sehr präzise sein. Ein Spektakel war es allemal! Die bunten Touristen hielten sich ihre Smartphones nicht mehr gegenseitig unter die Nase, alle Arme streckten sich nach oben in Richtung Brücke. Und unten übten schon die Knirpse, in dem sie von den Felsen ins kalte Nass hüpften.
Der Bau der Alten Brücke (Stari most) begann 1556 unter der Leitung des osmanischen Architekten Mimar Hajrudin, im Auftrag seines Herrn Sultan Süleyman des Prächtigen.
Bis zum 9. November 1993 spannte sich der Brückenbogen über die Neretva. Dann kam das Ende des Jahrhunderte alten Bauwerks. Bosnisch-kroatische Einheiten nahmen die Brücke unter Artilleriebeschuss bis sie schließlich in die Neretva stürzte. Ein Amateurvideo dokumentierte das Ereignis. Der Film wurde in einem Buchladen auf der Ostseite der Brücke gezeigt. In einer Fotoausstellung im Helebija-Turm auf der Westseite der Brücke wurden Bilder aus Mostar während des Krieges gezeigt (Eintritt: 6 KM).

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Das Wahrzeichen der Stadt die Alte Brücke – Stari most.

Zwar wurde die Brücke wieder originalgetreu aufgebaut aber ein verbindendes Symbol ist sie nicht mehr, eher steht sie nun für die Teilung Mostars. Im Osten und um die Brücke herum leben (muslimische) Bosniaken, im Westen bosnische Kroaten. Serben gibt es kaum noch in der Stadt. Auf der Ostseite erheben sich die Minarette der Moscheen, im Westen die Türme der katholischen Kirchen, mit ihrem höchsten Vertreter, dem Turm der Peter-und-Pauls-Kirche.
Zwar wurde viel gebaut in Mostar, aber noch immer stehen Ruinen zerbombt und ausgebrannt im Zentrum der Stadt. Wie das Kulturhaus mit seiner Fassade deren Verzierungen denen der Grabsteine von Dugo Polje ähnelten. Oder der historische Bahnhof, den Mutter Natur schon fest im Griff hat. Es gibt auch neue Denkmäler, wie die Skulptur von Bruce Lee im Stadtpark.
Eine andere Sehenswürdigkeit von Mostar wurde zwar nicht zerstört, ist aber trotzdem vom Verfall betroffen – der Partisanenfriedhof. Unkraut wucherte zwischen den Grabsteinen, die kaum noch zu erkennen waren. An der Friedhofsmauer prangten Schmierereien faschistischer Symbole: Hakenkreuze und das Ustascha-U mit dem Katholiken-Kreuz. Auf den Wegen hatte jemand Rattengift gestreut.

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Unkraut wuchert zwischen den Grabsteinen, die kaum noch zu erkennen sind.

Für die Jugend schien es ein Ort zu sein, wo sie ihre Ruhe hatten. Auf der Friedhofsmauer saß ein junges Paar. Als sie uns sahen verließen sie den Ort.
Wir beschlossen noch einen Tag in Mostar zu bleiben, bis ich wieder richtig gesund war. Morgen wollten wir eine Exkursion zu Sehenswürdigkeiten der Umgebung starten.

Alle guten Dinge sind Drei

Heute stand ein wenig Kultur im Umland auf dem Programm. Buchen konnten wir direkt in unserem Hotel. Die Dame an der Rezeption ließ uns wählen zwischen einer Fahrt zum Derwischhaus (Tekke) in Blagaj an einer der größten Karst-Quellen Europas gelegen (30 EUR) oder einer Fahrt zum Derwischhaus, der mittelalterlichen Stadt Počitelj sowie den Kravica-Wasserfällen bei Studenci (60 EUR). Wir wollten natürlich alles haben…

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Der Komplex liegt an der Buna-Quelle, einer der größten Karst-Quellen Europas am Fuß des Velež-Gebirges.

Pünktlich um 12 Uhr erschien unser Fahrer, ein Taxi-Unternehmer der während des Bosnienkrieges als Flüchtling in Deutschland lebte, wir konnten Deutsch schwätzen. Unser erstes Ziel ist die Tekke in Blagaj. Der Komplex liegt unter senkrechten Felswänden am Fuß des Velež-Gebirges. Aus einer Höhle ergießt sich die Buna-Quelle (Trinkwasserqualität) ins Tal. Am Ufer warteten zwei Männer mit einem Schlauchboot auf Touristen, um mit ihnen in die Höhle zu fahren.
Derwische ließen die Tekke oder Tekija Blagaj im frühen 15. Jahrhundert errichten. Sie bot eine Bleibe für verschiedene Derwischorden, den Kadiri (Qādirīya), Khalwati (Halveti), Nakhshibedi (Naqschbandīya) und Rufai (Rifāʿīya). Sie lebten hier unter dem Motto: „Liebe die Geschöpfe des Schöpfers zuliebe“. Und sie lebten recht komfortabel, wie mir schien. Es gab Gebetsräume, Gästezimmer mit Balkon, eine Küche, ein Bad mit gläsernen Sternen in der Decke die im Tageslicht schimmerten und einen Waschraum. Sogar Fußbodenheizung kannten die heiligen Männer schon. Einer Legende nach, soll sich hier eines der sieben Gräber des Derwisches Sari-Saltuk befinden. Auch ein zweiter heiliger Derwisch, Achik-Pasha Sheikh, soll hier begraben sein.

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آن كلير

Anne bekam ein Kopftuch und einen Wickelrock, da ich lange Hosen trug, blieb ich verschont. Wir zahlten jeder 4 KM und durften nun eine Stunde lang die Wohnkultur der Derwische erleben.
Eine Stunde ist schnell rum, wir mussten zurück zum Auto. Unser nächstes Ziel war die alte Stadt Počitelj an der Neretva, die hier recht zahm geworden ist. Während wir dem Tal der Neretva folgten, erfuhren wir von unserem Fahrer, dass hier das Weinland der Könige sei – soviel zur Bedeutung des Wortes Herzegowina.
„Heute regieren korrupte Politiker das Land“, schimpfte unser Fahrer. „Egal wen man wählt, es ändert sich nichts!“ Laut ihm waren diese Leute für den Nationalismus im Land verantwortlich. Sie schürten den Hass. „Meinen Onkel haben die Serben während des Krieges erschossen“ erzählte er uns und fragte: „Soll ich nun alle Serben hassen?“ Korruption war das zweite große Problem in Bosnien. Es gibt eine Krankenkasse, ein Arztbesuch muss jedoch aus der eigenen Tasche bezahlt werden und die Löhne würden nicht pünktlich ausgezahlt.
Auch in Počitelj hatten wir wieder eine Stunde Zeit. Der Ort, im 15. Jahrhundert erstmals erwähnt, zieht sich steil einen Berghang hinauf. Die Schischman-Ibrahim-Pascha-Moschee dominiert das Zentrum des Ortes. Während des Krieges wurde auch sie verwüstet, wie der Rest der Stadt. Heute sah man davon nichts mehr. Lediglich dem Uhrturm fehlte die Uhr. An den Gassen aus Kopfsteinpflaster saßen Souvenirverkäufer. Am Straßenrand krabbelte eine Schildkröte. In den gepflegten Vorgärten der Häuser wuchsen Gemüse, Kräuter und Wein. Granatapfelbäume und Oleander blühten auf den Grundstücken. Oberhalb der Stadt ragten Festungsmauern in die Wolken. Vermutlich war der Name der Stadt auf die Festung zurückzuführen.

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Vermutlich war der Name der Stadt auf die Festung zurückzuführen.

Für den Ort war eine Stunde doch recht knapp bemessen, wir waren aber pünktlich am Auto und es ging zu unserem dritten und letzten Tagesziel.
Die Kravica-Wasserfälle sind ein beliebtes Naherholungsziel und ihr Besuch kostete wieder 4 KM Eintritt. Zwischen 26 m und 28 m stürzt sich der Fluss Trebižat auf einer Länge von 120 m in die Tiefe. Seit 1954 steht das Gebiet der Wasserfälle unter Naturschutz. Auf den Felsformationen aus gelb-grauem Kalksinter (Travertin) wachsen Moose, am Ufer Feigenbäume. Es gibt zwei Imbissbuden und öffentliche Toiletten. Die Brücke wurde bei einem Hochwasser zerstört, jetzt gab es eine Fährverbindung mit einem Ruderkahn. Anne ärgerte sich, dass sie ihre Badesachen nicht dabei hatte, ich vermisste mein Fotostativ. Wir hatten zwei Stunden Zeit, um dem Treiben zuzusehen und am Ufer zu spazieren. Doch auch zwei Stunden sind keine Ewigkeit uns blieb nicht mal die Zeit um die Kleinen Kravica-Wasserfälle zu besichtigen. Wir mussten zurück.
Mein Darm schien wieder mitzuspielen, so dass wir den provisorischen Plan, morgen um 11:10 Uhr mit dem Bus nach Split zu fahren, wieder verworfen. Stattdessen lachte mich ein neues Ziel auf dem Stadtplan von Mostar an – Rujište. Von dort könnten wir ins Prenj-Gebirge wandern. Rujište liegt etwa 22 km nordöstlich von Mostar und ist ein beliebter Ausflugsort für die Bewohner Mostars, besonders im Winter. „In Mostar schneit es selten, dort oben schon“ so unser Taxifahrer. Er würde uns morgen früh dorthin fahren. Wir vereinbarten einen Termin um 9 Uhr.
Im Restaurant Šadrvan gönnten wir uns eine Fischplatte. Unsere Tischnachbarn waren zwei Italiener, ein Paar, beide Mathelehrer. Sie kam vom Lago Maggiore, er aus Sizilien. Ein halbes Jahr lebten die Beiden im Norden die andere Hälfte im Süden. Im Sommer auf Sizilien im Winter am See…
Die Hoteldame hielt sich mit Infos über Rujište zurück. Wir sollten doch einen Bergführer engagieren. „Kann sein, dass da noch einiges rumliegt vom Krieg“ meinte sie. Sie sollte recht behalten.

Zabranjen Prolaz – Wandern im Prenj-Gebirge

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Punkt und Steinmann, Doppelt hält besser.

Das Taxi stand Punkt 9 Uhr am Hotel, nur der Fahrer war neu. Unser Fahrer von Gestern sei angeblich erkrankt. Egal, zügig erreichten wir Rujište. Am Hotel Snježna kuća endete die Fahrt. Vor dem Hotel hing an einer Holztafel eine Wanderkarte des Prenj-Gebirges, dort wollten wir hin und an den roten Wegweisern leuchtete uns das Symbol des Fernwanderwegs Via Dinarica entgegen.
Bevor es ernst wurde, wollten wir noch eine kleine Annehmlichkeit im Hotel zu uns nehmen. Auf einem Tisch am Eingang zum Restaurant lagen zwischen Prospekten und Magazinen zwei Karten vom Prenj-Gebirge und seinem südlichen Nachbarn dem Velež-Gebirge. Genau genommen waren es Mountainbike-Karten, die jedoch auch Wanderwege zeigten. Jetzt wollten wir es genau wissen. Der Oberkellner sprach deutsch. Wir fragten, wo es diese Karten zu kaufen gäbe. Das konnte uns der Mann zwar nicht sagen, aber wir durften die Karten behalten. Das nannte ich mal ein Schnäppchen…
So gestärkt und ausgerüstet begann unsere letzte Wanderung auf dieser Reise. Wir folgten wieder den Markierungspunkten und erblickten ein Pärchen mit Rucksack und Bergschuhen, die nicht wie Bosnier wirkten. Die Beiden kamen aus der Schweiz und hatten gerade ihr Wohnmobil an einer Hütte geparkt. Sie wollten einen kurzen Abstecher in die Berge machen. Da sie mit ihrem Tagesgepäck besser zu Fuss waren als wir verloren wir sie bald aus den Augen. Es dauerte nicht lang, da hörten wir wieder deutsche Worte. Ein Paar aus Freiburg, die mit einer vierundzwanzigköpfigen Gruppe der deutschen Wanderjungend gestern auf die Zelena Glava wollten. Mit 2155 m ist es der höchste Berg im Prenj-Gebirge. Leider verhagelte ihnen ein Unwetter den Aufstieg. In der Biwakhütte „Adnan Krilić“, Bijele Vode konnten sie übernachten. Wie der Zufall es wollte, waren Gestern bosnische Wanderer auf der Hütte, so dass sie offen war.
Vor uns erhoben sich bereits die weißen Kalkfelsen des Prenj. An einem Abzweig konnten wir uns aussuchen, ob wir links oder rechts weiterliefen. Beide Wege führten zur Hütte. Wir blieben auf dem rechten Weg der immer schmaler wurde und bald, links und rechts von gelben Plastikbändern umgeben war. Von einem Baum leuchtete ein rotes Schild mit einem weißen Totenkopf. „Mine! Zabranjen Prolaz!“ stand drauf – „Minen! Betreten verboten!“

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Zabranjen Prolaz! – Betreten Verboten!

Schon daheim hatten wir von den berüchtigten verminten Bergregionen in Bosnien gehört, nun standen wir mittendrin. Wenn’s einem jetzt im Darm drückt bleibt nur der Wanderweg, dachte ich mir. Da hier schon 24 junge Wandersleute gelaufen waren, setzten wir unseren Weg fort.
Hier im Prenj-Gebirge war richtig was los. Schon wieder begegnete uns ein Wanderpärchen. Diesmal mit Hund. Sie kamen von der Biwakhütte und hatten gestern der deutschen Wanderjungend Unterschlupf gewährt. Der Mann erklärte uns, wo es Wasser gab und dass wir bei Gewitterneigung nicht auf den Zelena-Glava-Gipfel gehen sollten.
Am Wegesrand wuchs wieder Guter Heinrich. Anne sammelte ein paar Samen, ich rührte das Kraut diesmal nicht an! Bald hatten wir die Hütte erreicht. Sie war verschlossen, doch davor auf einer Bank saßen die Schweizer. Wir hockten uns dazu – Mittagspause.
Die Schweizer befanden sich auf großer Weltreise, hatten schon Asien und Neuseeland besucht und entdeckten nun Osteuropa. Ich fand das interessant, als ich meine großen Touren in Kanada und Neuseeland unternahm, kam noch niemand auf die Idee mal eine längere Reise durch den Osten Europas zu machen.
Die Schweizer wollten in der Nähe der Hütte biwakieren, uns zog es noch ein Stück weiter. In einer Talsenke hinter der Hütte gab es das Wasser von dem die beiden Bosnier berichteten. Es handelte sich um eine Art Brunnen. Ein Loch im Boden war mit einem Blech abgedeckt. An einem Seil hing ein Eimer, mit dem wir dass Wasser schöpfen konnten. Mit vollen Trinkflaschen mühten wir uns die Anstiege hinauf.
Die nächste Wegteilung führte rechts zur Biwakhütte Jezerce, links zur Zelena Glava, wir folgten dem Gipfelweg. Da wir morgen vom Gebirge nach Konjic absteigen wollten, würden wir zwangsläufig über Jezerce kommen.

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Fotogene Kiefer!

Erst mal kamen uns zwei Einheimische entgegen. Das wir in Richtung Gipfel liefen, konnten sie nicht verstehen, dauerte dieser Weg doch mindestens eine Stunde länger, um nach Jezerce zu kommen. Am liebsten hätten sie uns zurück zum Abzweig geschickt. Mit malerischen Worten beschrieben sie die Schönheit der Jezerce-Hütte. Ein „Schneewittchen-Haus“ das auch nicht abgeschlossen war. Doch es half nichts, wir blieben bei unserer Entscheidung. Ich ließ mich nicht mehr von Berghütten oder „Mountain Lodges“ verführen. Zum Schluss zeigten die Beiden uns, wo wir noch mal Wasser finden würden. Dann gingen sie ihres Weges.
Je höher wir stiegen, desto schärfer blies der Wind. Für mich ein gutes Zeichen, trieb er doch die Wolken auseinander. Die Quelle fanden wir in einer Senke. Der Platz lud förmlich zum Biwakieren ein – wir blieben. Anne kochte einen scharfen Hirteneintopf zum Abendessen. Ich ärgerte mich über eine tote Spinne in meiner Trinkflasche…

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Feierabend!

Ein weißer Saum zierte die Blätter des Frauenmantels am nächsten Morgen. Auch das Kondenswasser am Zelt war in Bodennähe zu Eis erstarrt. Es war die bisher kälteste Nacht. Da sich rings um unseren Biwakplatz die Berge erhoben, würde es auch noch eine Weile dauern bis sich die Sonne zeigte.
Erst als unsere Rucksäcke wieder auf den Schultern drückten brachen die ersten Sonnenstrahlen durch die Kiefern. Der Wanderweg führte stetig bergauf bis an einen Abzweig. Ein Stein diente als Wegweiser. Links ging es nach Jezerce, rechts zum Gipfel. Wir stellten unsere Rucksäcke neben den steinernen Wegweiser und begannen mit dem Aufstieg. Eine Stunde, lautete die Zeitangabe an der Felswand.
Ein schmaler Pfad schlängelte sich am Hang des Nachbargipfels, dem Otiš, bis in einen Bergsattel. Zwischen Schneeresten fristeten noch ein paar lila Krokusse ihr Dasein. Nun folgte der finale Anstieg auf den Gipfel. Über Geröll ging es am Fels bergauf. Ein kurzes Schneefeld stellte kein großes Problem dar. Drahtseile sicherten die ausgesetzten Wegabschnitte. Nach 45 Minuten standen wir auf dem höchsten Punkt des Prenj-Gebirges. Dunst lag in der Ferne aber der Himmel leuchtete tiefblau und blasse Wolkenschleier verpassten ihm ein interessantes Muster.

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Am Horizont im Westen erstreckt sich das Čvrsnica-Gebirge.

Am Horizont im Westen erstreckte sich das Čvrsnica-Gebirge. Deutlich zeichneten sich Vilinac und Pločno ab. Und im Südosten glaubten wir den Maglić zu erkennen.
Direkt unter uns bewegten sich zwei Rucksäcke in Richtung Gipfel – die beiden Schweizer. Sie hatten an der Hütte biwakiert und wollten heute wieder zurück bis zu ihrem Auto. Gestern waren sie auch noch den beiden Bosniern begegnet, die uns unbedingt nach Jezerce schicken wollten. Sie klagten auch den Schweizern ihr Unverständnis ob der Tatsache, dass die beiden Deutschen einen Weg wählten, der eine Stunde länger bis zum Ziel brauchte. Wir haben bleibende Eindrücke hinterlassen, wie es schien.
Wir bannten unsere Gipfel-Eindrücke auf Sensoren und begannen den Abstieg. Eine Gruppe Tschechen ließ uns an der Kletterstelle ober halb des Schneefelds vorbei und bald standen wir wieder vor unseren Rucksäcken.
Der Abstieg nach Jezerce führte über steile Geröllwege und ausgedehnte Restschneefelder. Nach 1 ½ Stunden tauchte ein Dach über den Wipfeln der Bergkiefern auf, die Hütte. Sie war offen. Innen standen mehrere Kanister mit frischem Wasser. Wir konnten unsere Flaschen auffüllen und das Zelt trocknen. Leider fanden wir keine Quelle. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand das Wasser in Plastikkanistern kilometerweit durchs Gebirge schleppen würde. Jezerce bildet einen richtigen Knotenpunkt für Wanderwege. Gleich 4 zweigten hier ab. Der zur Zelena Glava, einer nach Bijele Vode, einer zur Berghütte Vrutak im Nordwesten und der Abstieg nach Konjic durchs Bijela-Tal.

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Biwak Jezerce, das „Schneewittchenhaus“.

Letzterer Weg war unser Weg. Da es noch recht früh am Nachmittag war, beschlossen wir noch ein Stück zu laufen, um nach 1 bis 2 Stunden irgendwo das Zelt aufzubauen. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Es sollte mehr als 4 Stunden dauern, bis wir einen Platz zum Biwakieren fanden.
Der Abstieg lang und steil. Geröllpassagen breiteten Anne Schwierigkeiten. Sie war immer noch unsicher wegen ihrem Sturz auf dem Abstieg zum Trnovačko-See. Auf halber Strecke grinsten uns wieder weiße Totenköpfe auf roten Schildern an. Es war mir ein Rätsel, wie jemand ein Gelände verminen konnte, wo ich ohne Seil keinen Meter weit gehen würde. (Erst später erfuhr ich, dass aufgrund von Starkregen und Erdrutschen, sich die Lage der Minen verändert hatte und heute keiner mehr genau sagen kann, wo die Dinger genau liegen.)
Endlich, nach insgesamt 1600 m Abstieg fanden wir ein Platz für unser Zelt, unten im Tal, auf einer Wiese voller krabbelnder, beißender und stechender Insekten…

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Blauer Himmel, Sonnenschein und im Hintergrund das Felsenpanorama des Prenj – perfekt!

Ein wunderschöner Morgen weckte uns, blauer Himmel, Sonnenschein und im Hintergrund das Felsenpanorama des Prenj. Am Dorfeingang erinnerte ein Kriegsdenkmal an gefallene Bosniaken. Neben dem Gedenkstein sprudelte Wasser aus einem Wasserhahn – Trinkflaschen auffüllen. Die Moschee sah sehr neu aus, Wohnhäuser waren teilweise immer noch zerstört. Bis Konjic laufen wollten wir nicht. Hinter dem Dorf hatten wir Glück. Ein schwarzer Geländewagen hielt und wir wurden in Konjic an der Bushaltestelle abgesetzt. Somit endete unsere letzte Bergtour in Bosnien.

Wissenswertes über Sarajevo

Der nächste Bus nach Sarajevo fuhr in einer Dreiviertelstunde. Anne genehmigte sich einen Kaffee, ich schlenderte zur Brücke über die Neretva. Sie wurde unter der Herrschaft Sultan Mehmed IV. 1682 errichtet und heißt, wie die Brücke in Mostar, „Stari most“. Von ihrem Baustil ähnelt sie jedoch mehr der Brücke von Višegrad.

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Die Brücke über die Neretva.

Auf dem Weg zur Brücke entdeckte ich auch einige stećci (Grabsteine der bosnischen Kirche) wie in Dugo Polje sowie eine Moschee (Vardačka džamija) mit einem Minarett, dem die Spitze fehlte. War es ein Kriegsschaden?
Unser Bus hatte etwas Verspätung und der Fahrer es nicht besonders eilig. Im Lotterie-Kiosk, neben dem Café gab es die Fahrscheine. Unsere Rucksäcke fuhren gratis.
In Sarajevo war der Sommer mit 31 ℃ angekommen. Da wir schon mal am Busbahnhof waren, kauften wir auch gleich die Fahrkarten für die Rückreise nach Zagreb und tauschten etwas Geld. Mit der Straßenbahn ging es in die Altstadt und diesmal in eine gescheitere Unterkunft. Das Hotel „Villa Orient“ war mit 50 Euro pro Nacht etwas Gescheites.
Die Aussicht auf Lammbraten und einen Rotwein (Hercegovačka Blatina, Jahrgang 2014 vom Mittellauf der Neretva, 12,65 KM) war verlockend, musste jedoch noch etwas warten. Kultur stand auf dem Programm. Genauer gesagt, eine kurze Stadtführung. Die Tourismusagentur Sarajevo Insider bietet jeden Tag eine kostenlose Stadtführung an. Wir mussten nur um 16 Uhr vor dem Agenturbüro in der Straße Zelenih beretki 30 aufkreuzen.
Von Muhamed „Mu“ unserem Stadtführer für die nächsten 1 ½ bis 2 Stunden konnte man einiges lernen. Zum Beispiel, dass Frauen immer recht haben. Unsere Stadtführung begann an der Lateinerbrücke (Latinska ćuprija), genau dort, wo der bosnische Serbe Gavrilo Princip den Thronfolger Österreich-Ungarns Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Frau am 28. Juni 1914 erschoss. Die Gemahlin von Franz Ferdinand soll ihren Mann den Vorschlag gemacht haben, dass es besser wäre Sarajevo zu verlassen und zurück nach Wien zu fahren, da sie sich nicht gut fühle. Sie fuhren nicht heim, der Rest ist Geschichte…

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Die Lateinerbrücke (Latinska ćuprija) über die Miljacka in Sarajevo. Hier ereignete sich das Attentat von Sarajevo, dass als Auslöser für den Ersten Weltkrieg gilt. (Foto: A. C. Groffmann)

die nächste Station waren die Ruinen der alten Karawanserei Tašlihan, gegenüber dem Hotel Europa. Das Besondere an dieser Herberge war die Tatsache, dass die Gäste die ersten drei Nächte freie Kost und Logis hatten. Schade, dass von dem Bau nur noch ein paar Ruinen zeugen…
Wir setzten unseren Weg fort durch die Zone 501, wie Muhamed die Strossmayerova-Straße mit ihren zahlreichen Cafés nannte. Warum 501? Nun, weil die Gäste in den Cafés für 500 Euro Klamotten auf dem Leib tragen und sich stundenlang bei einem Kaffee für einen Euro aufhielten…
Wir waren nun im habsburgischen Teil von Sarajevo. Auf dem Platz vor der Herz-Jesu-Kathedrale stoppten wir vor einem großen roten Farbklecks auf dem Boden. Diese Flecke waren uns schon beim letzten Aufenthalt in der Stadt aufgefallen. Sie tragen den Namen „Rosen von Sarajevo“, doch verbirgt sich nichts Liebliches dahinter. Hier starben Menschen während des Bosnienkrieges, erschossen von serbischen Heckenschützen oder getroffen von Artilleriegeschossen…
Der nächste Besuch galt der Synagoge, um zu zeigen wie multikulturell doch Sarajevo sei. „Es gibt keine Stadt auf der Welt, wo man eine Kirche, eine Moschee, eine Synagoge und eine Bierbrauerei im Umkreis von 150 m findet“ erzählte uns Muhamed.
Wir waren wieder im osmanischen Teil der Stadt. Auf der Straße Mudželeti Veliki Nummer 13 befindet sich die erste öffentliche Toilette der Stadt, erbaut wurde das Örtchen im Jahre 1530. Sarajevo hatte bereits eine Kanalisation, als man in den Metropolen des Westens noch seinen Dreck auf die Straßen kippte…

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Die erste öffentliche Toilette in Sarajevo wurde 1530 errichtet. (Foto: A. C. Groffmann)

Zum Schluss ging es ins Herz der Baščaršija, auf die älteste Straße der Stadt, die Schmiedegasse – Kazandžiluk. Heute sind es nicht mehr Kessel die geschmiedet werden sondern Kugelschreiber aus Patronenhülsen und vor allem Mokkasets.
Wichtig waren in früheren Zeiten die Wasserkrüge. Junge Frauen gingen mit dem Krug zum Brunnen um Wasser zu holen. Dort, wo sie unter sich waren, lüfteten sie ihre Schleier. Die Burschen lagen versteckt im Gebüsch und konnten nun ihre Wahl treffen. Sie merkten sich Form und Aussehen des Wasserkrugs und brauchten später nur noch dem Mädchen mit dem Wasserkrug folgen und wussten wer sich dahinter verbarg…
Im Nu waren zwei Stunden um, unsere Stadtführung zu Ende. Die Schmiedegasse mündet in die Bravadžiluk (Schlossergasse). Dort im Restaurant „Bosanska kuća“ wartete unser Lammbraten…

Visokos Pyramiden?

Unweit von Sarajevo liegt die Stadt Visoko und drumherum soll es etwas geben, das man in Bosnien nicht wirklich vermutet – Pyramiden. Und zwar die größten und ältesten Exemplare, die je entdeckt wurden. Das Behauptet zumindest ihr Entdecker der amerikanisch-bosnische Unternehmer und Hobby-Archäologe Semir Osmanagić.
Bereits gestern hatten wir die Tour bei „Info Bosnia Tours“ für 40 Euro pro Person gebucht.
Pünktlich um 9 Uhr trafen wir uns am Büro der Agentur. Yasmin (27) unser Fahrer war auch schon da. Auf der Autobahn ging es recht flott bis Visoko. Neben den angeblichen Pyramiden hatte Osmanagić mit seinem Team noch ein umfangreiches Tunnelsystem entdeckt, welches seiner Meinung nach die Pyramiden verbinden würde. Im Souvenirladen trafen wir den Chef persönlich, mit breitem Lederhut und hemdsärmlig wirkte er wie die bosnische Variante von Indiana Jones.
Unser Fahrer kümmerte sich um einen Tunnelführer. Leider war die deutsche Führung bereits belegt, so mussten wir mit Englisch vorlieb nehmen. Aus einer Wühlkiste durften wir uns einen Schutzhelm schnappen, dann ging es unter die Erde.

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Tunnel zur Pyramide oder von Schlamm und Wasser ausgespülter Kanal?

Die Haupttunnel ähnelten alten Bergbaustollen von diesen zweigten immer wider kleinere Tunnel ab, ein richtiges Tunnelnetz wie es schien. Ein Typ mit Schubkarre kam uns entgegen, er war damit beschäftigt, einen neu entdeckten Tunnel freizuräumen. Meist waren die Tunnel mit losem Sand und Gestein aufgefüllt.
Die Temperatur war angenehm, nicht so kalt wie in Tropfsteinhöhlen die ich bisher besucht hatte. Unser Guide erzählte etwas von Strahlung und Energien, die nach oben hin stärker würden. Die Luft hier unten soll sehr gesundheitsfördernd wirken, da es keine negativen Strahlungen gäbe. Was das war, erschloss sich mir nicht. Immerhin saßen auf einer Holzbank Besucher, die Augen geschlossen in Meditation versunken und frönten ihrer Gesundheit.
Ich machte mir derweil Gedanken, ob die Tunneldecke standhielt und einem nicht irgendwann auf den Kopf fiel…
An einem großen Gesteinsbrocken hielten wir. Unser Guide leuchtete mit seiner Taschenlampe über die Oberfläche und zeigte auf ein paar Kratzer – Hieroglyphen oder Runen prähistorischer Tunnelbewohner. Er zeigte auf einen anderen Stein, angeblich standen die im Energieaustausch wie Dioden. Man hatte versucht einen der Steine umzubetten da sei Wasser aus dem Boden getreten, schnell habe man den Stein wieder an Ort und Stelle gebracht.
Einige der Seitentunnel waren zur Hälfte mit Mauern verschlossen, lose aufgetürmte Geröllbrocken, die nur von den Tunnelmenschen erreichtet sein konnten. Warum und Wozu, dass waren offene Fragen. Sichtlich gerührt, zeigte unser Tunnelführer auf zwei Tunnel am Ende des Hauptganges. Diese seine nicht verschüttet worden, ein fehlendes Glied in der Beweiskette der Tunnelbauer. Was das nun genau beweisen sollte verstand ich nicht.
Endlich verließen wir das Mysterium und gelangten wieder ans Tageslicht, eine neue Gruppe Touristen stand schon in den Startlöchern. Ich kaufte mir im Souvenirladen ein Fläschchen wundertätiges Tunnelwasser (10 KM), Anne ein Osmanagić-Buch. Nun ging es hoch hinaus auf die Spitze des Visočica-Hügels oder der Sonnenpyramide?

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Die Pyramide der Sonne oder nur der Hügel Visočica bei Visoko?

Yasmin rechnete mit rund einer Stunde zu Fuß bis zum Gipfel. Von weitem sahen wir schon den Hügel, der tatsächlich einer Pyramide ähnelt. Wolken zogen auf und Donnergrollen erschütterte die Luft. Ja, ja ist gut ich gebe mir ja Mühe in ihm eine schöne Pyramide zu sehen…
An einem Gehöft unterhalb des Gipfels tankten wir noch mal Energie in Form frischen Holunderwassers. Der Anstieg zum Gipfel konnte sich sehen lassen, steiler war’s auf den Maglić auch nicht. Mauerreste auf dem Gipfel luden zu einer Pause ein. Yasmin wollte meditieren, nur 10 Minuten. Anne genoss die Stille, ich rannte nervös mal hier und mal dorthin. Kein Magnetfeld war zu spüren und Erleuchtung wollte sich einfach nicht einstellen. Immerhin hatte ich eine gute Sicht auf Visoko. Eine junge Frau mit Rasterhaaren und Blumen darin erreichte den Gipfel, stellte sich auf die Mauer und begann mit irgendeinem Bewegungsritual. Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit stiegen wir wieder hinab.
Dieses Herumschlendern schlauchte mich mehr als eine 10-Stunden-Wanderung im Hochgebirge. So war ich nicht böse, dass Yasmin die Dame mit dem Holunderwasser fragte, ob sie uns fahren würde. Sie tat es. Sie brachte uns zu der Stelle wo die Grabungen begannen. Mit zwei Bosniern begaben wir uns eine steile Treppe hinauf zu den freigelegten Flächen. Konglomeratschichten sollten beweisen, dass hier die Pyramide errichtet wurde. Amar, ein Angestellter von Osmanagićs Team erklärte die Bedeutung der Steine.

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Bausteine der Pyramiden oder abgelagerte Sedimente?

Die Grabungen an der Pyramide der Sonne mussten eingestellt werden da die Firma „Sarajevski Kiseljak“ um die Sauberkeit, der in der Nähe liegenden Mineralwasserquellen fürchtete. Die Pyramide des Mondes wurde Privatbesitz und durfte nicht mehr betreten werden. Die Zukunft der bosnischen Pyramiden ist somit ungewiss. Doch ob es nun welche sind oder nicht, spielt am Ende keine Rolle. Wichtig ist nur, dass genug Besucher kommen und Geld da lassen. Und das tun sie!
Unser Pyramiden-Ausflug dauerte länger als erwartet. Eigentlich wollte Yasmin uns noch die Quelle der Bosna zeigen. Dem Fluss, dem das Land seinen Namen zu verdanken hatte. Aber der Nationalpark schloss um 16 Uhr. So fuhren wir auf einen Aussichtspunkt oberhalb von Sarajevo. Hier saßen im Krieg die Serben und beschossen die Stadt, bis Nato-Bomber dem treiben ein Ende setzten.
Es war zwar diesig aber man konnte recht gut die verschiedenen Stilepochen Sarajevos erkennen, die osmanisch geprägte Altstadt, gefolgt von den Gebäuden aus der Zeit der Habsburger und schließlich Titos Plattenbauviertel.
Mit typisch bosnischer Küche ließen wir den tag im Restaurant „Aščinica ASDŽ“ ausklingen.

Superman doesn’t exist!

Heute wollten wir wieder in einen Tunnel, in den „Tunnel der Hoffnung“ der während der Belagerung von Sarajevo den Einwohnern als Flucht und Versorgungstunnel diente und somit die einzige Möglichkeit war, um in die Stadt zu gelangen oder sie zu verlassen.

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Das Haus der Familie Kolar in Butmir ist heute das Tunnelmuseum.

Es gab zwar diverse Angebote, geführte Tunneltouren zu buchen, doch wir wollten es auf eigen Faust versuchen. Vorher wollte ich aber noch in den Buchladen schauen, ob es das Tito-Kochbuch noch gab. Ich hatte Glück. Mit 71,90 KM war es nicht gerade billig, doch es war’s mir wert. Anne kaufte sich einen schönen Reiseführer von Bosnien (20 EUR).
Um zum Tunnel mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu gelangen mussten wir mit der Straßenbahn Nummer 3 nach Ilidža fahren. Von dort wäre es noch ein Stück zu Fuß.
Wir fuhren nicht mal bis zu nächsten Haltestelle, denn ein offensichtlich defekter PKW blockierte die Schienen. Der Fahrer empfahl uns zwei Haltestellen weiter zu gehen und mit der Nummer 6 zu fahren, die hatte das gleiche Ziel. Es klappte!
Bis zum Tunnel war es dann doch noch weiter als erwartet und vor allem heiß! Der Tunneleingang befindet sich in Butmir im Haus der Familie Kolar. Pro Nase mussten wir 10 KM (5,10 EUR) Eintritt bezahlen. Zuerst gab es eine Filmvorführung. Den Vorführraum betrat gerade eine Gruppe mit ihrem Reiseleiter. Wir hockten uns dazu. Der Film zeigte Originalaufnahmen von Sarajevo während der Belagerung und Sequenzen vom Tunnelbau und dessen Nutzung als Versorgungstunnel.

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Ein Originalstück des Tunnels rund 20 Metern lang, 1 m breit und 1,50 m hoch.

Danach hielt der Reiseleiter noch einen kurzen Vortrag. So wurden neben Benzin, Waffen und Lebensmitteln vor allem auch Zigaretten in die Stadt gebracht, Tabak war wichtig. Mit dem Beschuss des E-Werks und des Pressehauses begannen die Angriffe der Serben auf Sarajevo. Die Zerstörung der beiden Gebäude erfolgte aus taktischen Gründen. Fehlte der Strom, konnte nichts mehr produziert werden und mit der Zerstörung der Nachrichtenzentrale war Sarajevo faktisch von der Außenwelt abgeschnitten.
Die Bewohner Sarajevos konnten sich kaum noch auf die Straße wagen ohne Gefahr zu laufen von Scharfschützen erschossen zu werden. An der Belagerung war nicht nur Militär der bosnischen Serben beteiligt, es kamen auch „Kriegstouristen“ aus Russland. So erzählte der Typ, dass es Akademiker gab, die mal auf Menschen schießen wollten, um Krieg zu spielen.
Der Tunnel bot den Städtern die einzige Möglichkeit um ins freie Bosnien zu gelangen. Die Serben wussten von dem Tunnel, konnten ihn jedoch nicht exakt lokalisieren. Man versuchte ihn zu fluten, doch ergebnislos. Irgendwann gaben sie es auf, der der Aufwand offensichtlich zu groß war.
Auch nach dem Krieg gab es weiterhin Tote, aufgrund der Minen, die rings um Sarajevo lagen. Besonders für Kinder stellten die Minen eine große Gefahr dar. Um auf diese Gefahr aufmerksam zu machen, brachten US-Behörden und UNICEF Prospekte als Comics heraus. Zu sehen war Superman, wie er Kinder aus einem Minenfeld hilft. Das Ergebnis: Die Kinder liefen auf die Minenfelder, um Superman einmal zu sehen. Es kam kein Superman! „Superman doesn’t exist!“ schärfte der Reiseleiter seinen Leuten ein.

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Hier beginnt der 800 m lange Tunnel der während der Belagerung Sarajevos zur Versorgung der Menschen diente und als Verbindungsweg zum nicht belagerten Teil genutzt wurde.

Wir gingen gemeinsam mit der Reisegruppe in den Tunnel. Er beginnt im Haus der Familie Kolar und ist noch etwa 20 m lang. Der Gang ist etwa 1 m breit und 1,50 m hoch. Bei Gegenverkehr wurde es recht eng. Es war schon erstaunlich wie man dort in gebückter Haltung Material transportiert hatte.
Wieder im Tageslicht angekommen traten wir den Rückweg an. Zum Glück brauchten wir nicht laufen ein Fahrer bot sich an uns für 20 KM in die Altstadt zu fahren.
Da wir morgen die Heimreise antreten werden, musste ich noch unbedingt etwas Wichtiges eredledigen – einen Besuch beim Frisör. Für 15 KM (Haarschnitt 7 KM, Rasur 6 KM, Trinkgeld 2 KM) sah ich wieder wie neu aus. Sarajevo zu verlassen ohne bosnischen Kaffee ging gar nicht und zum Kaffee gehörte auch ein gescheites Mokka-Set. In der Schmiedegasse waren wir erfolgreich, ein handgefertigtes Kaffee-Set samt Kaffeemühle kosteten 45 EUR.

Heimreise

Heute hieß es für uns Sarajevo und Bosnien zu verlassen. Der Bus nach Zagreb fuhr um 9:30 Uhr. Dort hatten wir noch eine Übernachtung gebucht, morgen würde es mit der Bahn zurück nach Deutschland gehen.
Einige Kilometer hinter Visoko endete die Autobahn und somit der Fahrkomfort. Eine Zuckelei durchs Tal der Bosna begann bis kurz vor Derventa. Zum Glück war es nun nicht mehr weit bis zur kroatischen Grenze bei Slavonski Brod.
Der Himmel wurde immer grauer und als wir nach 6 ½ Stunden Zagreb erreichten regnete es in Strömen. Zum Glück hatten wir unser Hotel schon in Deutschland gebucht, es lag gleich gegenüber vom Hauptbahnhof, das Hotel Central.
Laut meinem Tito-Kochbuch befand sich in Zagreb das Restaurant Okrugljak, dass alle Gerichte, die in dem Buch aufgeführt waren anbot. Doch es lag zu weit außerhalb der Stadt. Wir waren müde und suchten nur noch eine Einkehr in der Nähe zum Abendessen. Der Herr an der Rezeption empfahl uns das Restaurant „Purger“.
Ich bestellte Bohneneintopf (ohne serbisch, 58 HRK), Anne Grillplatte (ohne Balkan, 110 HRK) wir waren ja in Kroatien!

Das Frühstücksbuffet im Hotel konnte sich sehen lassen, so umfangreich war es bisher nirgends. Na ja, bei 83 Euro Übernachtungskosten musste schon etwas geboten werden.
Wir schlenderten zum Bauernmarkt in der Innenstadt. Den Dolac, wie der Markt genannt wird, gibt es schon seit 1926. Was es nirgends gab, war hausgemachter Sliwowitz! Ach ja, ich vergaß wir waren in Kroatien…

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Seit 1926 gibt es den Dolac, der Bauernmarkt im Herzen von Zagreb.

Dafür herrschte in der Kathedrale Hochbetrieb – Priesterweihe. Wir schauten den Festlichkeiten zu. Bis hin zum Erzbischof war hier alles vertreten was Rang und Namen hatte. Am Ende der Zeremonie wurden die frisch gebackenen Priester von Mitgliedern ihrer Gemeinde herzlich empfangen. Schilder mit den Namen der Geminden wurden in die Höhe gehalten, damit jeder Hüter gleich wusste, wo seine Schafe waren. Und interessant, die jungen Priester wurden besonders von den weiblichen Gemeindemitgliedern am stärksten umringt…
Wir ließen den Priestern ihren Festtag und begaben uns auf Futtersuche. In einer Gasse entdeckten wir „Tolkien‘ House“. Ich konnte es mir nicht nehmen lassen auf ein Hobbit-Bier (20 HRK) vorbeizuschauen.
Pünktlich um 18:37 Uhr fuhren wir von Zagreb ab, über Zürich, und waren nach rund 18 ½ Stunden wieder daheim.

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