Bei Martha
Sommerzeit ist Insektenzeit! Mein linker Oberschenkel war jetzt rot und geschwollen, in der rechten Ellenbeuge hatte es sich eine Zecke gemütlich gemacht. Bei Anne steckte so ein Mistvieh im linken Unterschenkel…
Draußen regnete es wieder und es sah nicht so aus, als ob es demnächst aufhören würde. Wir liefen trotzdem weiter. Der Ziegengipfel Kozji Vrh ist nicht nur ein Hügel mit Kirche, so nennt sich auch die Siedlung hinter Prezid. Eine Ansammlung von verstreut liegenden Häusern, die meisten an der Hauptstraße D32. Eines der Häuser, nennt sich Pension „Gorski kotar“ oder wie auf meiner OSM-Karte: „Kod Marte“ (Bei Martha).
Obwohl erst 45 Minuten unterwegs, waren wir uns einig mal bei Martha vorbeizuschauen. Die Aussicht nach 5 Wandertagen auf Bett und Dusche war zu verlockend. Innen am Tresen hockten ein paar Dörfler beim Bier. „Ein Zimmer, ich muss schauen.“ sagte der junge Mann hinter dem Tresen und verschwand in der Küche. Unter unseren Ponchos bildeten sich kleine Pfützen. Kurz darauf gab er grünes Licht, wir konnten bleiben.
Mit 120 Knoten (16 Euro) pro Person war das Etablissement auch recht erschwinglich. Eine Stunde später saßen wir nach Cocos und Vanille duftend im Restaurant bei Schweinebraten und Krautrouladen mit Kartoffelbrei…
Am Nachmittag klarte es endlich auf und die Sonne ließ sich blicken. Von unserer Pension hatten wir einen schönen Ausblick auf den weiteren Tourverlauf. Na ja, außer Berge und Wald war nicht viel zu sehen. Am Horizont leuchteten weiße Felsen im Sonnenlicht. Werden wir dort langlaufen? Laut Erlebnisberichten im Internet von anderen Via-Dinarica-Wanderern würden uns jetzt Abschnitte erwarten weglos und ohne Markierungen. Ich war mir sicher, es wird spannend…
Das Abendessen übertraf noch den Mittagstisch. Der Tisch füllte sich mit einer Terrine Nudelsuppe, Wurstspießen, Ćevapčići mit Ajvar und Bratkartoffeln, Quarkkuchen mit Rosinen und einem alten Bekannten aus Mazedonien – T’ga za Jug, der Rotwein aus Tikveš.
Friedhofsverirrung
Mit einer offiziellen Hotelregistrierung in der Tasche, ging es am nächsten Morgen weiter. Sonnenschein begleitete uns die ersten Kilometer auf der D32. Nach 40 Minuten verließ die Via Dinarica hinter dem Weiler Gorači die Asphaltstraße und führte auf schmalem Pfad linker Hand in den Wald. Auf einem hölzernen Wegweiser ließ sich die Ortsbezeichnung Čabar entziffern.
Hin und wieder tauchten auch noch Markierungspunkte an den Bäumen auf, die sich allerdings mit der Zeit recht rar machten. Am Eingang einer Schlucht endeten die Markierungspunkte. Ein kaum erkennbarer Pfad führte links von der Schlucht den Hang entlang. Wir folgten ihm.
Nach ein paar Metern verlor sich der Pfad im Nichts. Umgestürzte Bäume versperrten den Weg und der Hang wurde so steil, dass wir hier nicht weiter kamen. Der einzig gangbare Weg führte durch die Schlucht. Obwohl mit unserem GPS-Track nicht identisch, entschieden wir uns für diese Option.
Die Landschaft strahlte eine gewisse Wildheit aus, an den Steilflanken der Schlucht verrotteten Baumstämme. Am Boden leuchtete Kalkstein weiß im Sonnenlicht und am Schluchtrand wuchsen Walderdbeeren in Hülle und Fülle. Wasser gab es jedoch nicht.
Ein markierter Rückeweg führte uns schließlich aus der Schlucht auf eine Wiese. Ein guter Platz, um unser Zelt zu trocknen. Leider hatten wir ja gestern keine Gelegenheit dazu gehabt.
Nicht weit von hier fließt der Čabranka Bach, der die Grenze zu Slowenien bildet. Bis zum Dorf Čabar war es nun nicht mehr weit.
Der Ort wirkte wie ausgestorben. Der einzige Lebensmittelladen hatte geschlossen. Wir hatten den 22. Juni den „Tag des antifaschistischen Kampfes“ („Dan antifašističke borbe“) – ein Feiertag. Am 22. Juni 1941 begann der Kampf mehrheitlich kroatischer Partisanen gegen die deutschen und italienischen Besatzer sowie die Einheiten des Kroatischen Staates.
Immerhin konnten wir am Dorfbrunnen unsere Trinkflaschen auffüllen. Vorbei an der Antonius-Kirche führte uns der Weg zum Dorffriedhof.
Umringt von Gräbern standen wir nun vor einem Scheideweg. Laut GPS musste es links weiter gehen, laut Markierung rechts…
Links stoppte uns die Friedhofsmauer und dahinter ein völlig zugewachsener wegloser Berghang. Rechts machte mehr Hoffnung. Wir folgten der Markierung zu einem verwilderten Forstweg, der schon nach kurzer Zeit in einen verwilderten Pfad überging. Nach ein paar Metern fehlte von der Markierung jede Spur und wir kämpften uns querfeldein durch dichten Buchenwald den Berghang hinauf. Zweige zerkratzten unsere Gesichter und zwangen uns kurze Pausen einzulegen, um nach einem gescheiten Weiterweg zu suchen. Ich war mir sicher, hier ist schon seit Ewigkeiten niemand mehr gelaufen.
Nach rund 40 Minuten erreichten wir eine schmale Asphaltstraße, die auf den Bergrücken führte. Laut Karte hatten wir den Weiler Vrhovci erreicht. Nun lief es sich angenehmer. Roma-Kinder sammelten im Wald Heidelbeeren, ansonsten war in dem Dorf der Hund begraben. Die Straße führte über den kompletten Bergrücken, senkte sich anschließend talwärts um in einem Dorf namens Tršce wieder in die D32 zu münden. In Tršce wurde der antifaschistische Kampftag ernst genommen. Vor dem Friedhof hatte sich Menschen angesammelt und der Dorfpfarrer hielt eine Ansprache.
Die Andreas-Kirche war somit zu, aber die Bar gegenüber hatte auf. Erst jetzt wurde uns bewusst, dass wir heute noch nichts gegessen hatten. Und hier gab es auch nichts! „Es gibt eine Pizzeria bei Čabar“ erklärte uns die Bardame. Dann blieben wir doch lieber bei Erdnüssen und Rosinen mit Schweppes Mandarin und Ožujsko pivo.
Es wurde langsam Zeit sich nach einer Möglichkeit umzusehen, wo wir übernachten konnten. Bis zum Dorfende war es nicht mehr weit. Der Wanderweg führte links hinauf in den Wald. Zwischen den Bäumen schimmerte eine Lichtung herüber. Bald hockten wir mit unserem Feierabendkaffee im Gras, umringt von summenden Schnaken und hinterlistigen Zecken. Im Kochtopf machte ein orientalischer Hirseteller Fortschritte und in der Thermosflasche der Abendtee Marke Kräutertraum.
Don Quijote de la montaña
Den zahlreichen Fliegen die es sich über Nacht zwischen Innen- und Außenzelt bequem gemacht hatten, bereiteten wir am Morgen die letzte Ruhestätte. Anne entledigte sich ihrer Zecken dann konnte es weiter gehen. Bis zum Dorf Kraljev Vrh (auch ein Königsberg) war es nicht weit.
Nach einigen Orientierungsproblemen entdeckten wir schließlich den richtigen Weg, es ging wieder bergab. Ab und zu öffnete sich der Wald erlaubte uns einen Fernblick bis nach Slowenien. Am Horizont erhob sich der Große Schneeberg. Interessantes zeigte sich aber nicht nur in der Ferne, auch in die Nähe lohnte zu schauen.
Links und rechts am Wegrand sprossen Pilze aus dem Waldboden. Steinpilze, Hexenröhrlinge und sogar Pfifferlinge füllten bald unsere Taschen. Antonius war uns gewogen.
Auf feuchten Rückwegen ging es immer weiter bergab bis zu einer Asphaltstraße. Diese endete auf der Sveta Gora – dem Heiligen Berg. Warum der Berg heilig war erfuhren wir auf dem Gipfel. Die Kirche dort, der Mutter Gottes geweiht, Svetište Majke Božje Karmels (Unsere Liebe Frau vom Karmel), war also eine Karmelitenkirche. Gotteshaus und Zisterne waren verschlossen, uns blieb nur die schöne Aussicht hinab ins Tal der Čabranka. Immerhin gab es auf dem Berg ein Gipfelbuch in das wir uns verewigen konnten. Wie es schien waren wir die ersten Wanderer auf der Via Dinarica in diesem Jahr. Doch wir waren nicht die einzigen…
Den heiligen Hügel herunter gestolpert kam – Don Quijote. So um die 70, die nackten Unterschenkel über den Barfußschuhen zerkratzt, der Rucksack baumelte ihm in ausgesprochener Schräglage über den Schultern, die Kameratasche in der Hand. Die Schnürsenkel flatterten ihm um die Füße und ein Großteil seiner Ausrüstung hing an den Rucksackaußenseiten. Etwas, dass nach ein paar Essensresten aussah rutschte aus einer Plastiktüte und plumpste auf den Boden, er merkte es nicht.
Mit starkem österreichischen Dialekt erklärte er uns, dass er den Weg und seine Wanderbegleitung verloren hatte. Jedes Jahr würde er ungefähr 8 Tage auf der Via Dinarica wandern und wollte jetzt unbedingt auf den Risnjak.
Auf die junge Frau müssen wir nicht lang warten. Saskia aus Berlin kam vor ein paar Tagen mit Flixbus nach Kroatien um auf der Via Dinarica zu wandern. In Rijeka begann ihre Tour, in Split soll sie enden.
Den Weiterweg zu finden erwies sich in der Tat als Herausforderung. Dort wo mein GPS uns hinschickte wuchs dichtes Buschwerk. Anne konnte unseren neuen Wanderpartner gerade noch von dem Vorhaben abhalten sich blindlings den Hang hinunterzustürzen, als ich endlich eine Lücke im Geäst erspähte. Ein kaum erkennbarer Pfad schlängelte sich zwischen dichten Baumbewuchs den Berg hinab und ab und an zeigten sich sogar wieder Markierungspunkte.
Weit kommen wir nicht denn die Sohle des rechten Schuhs unseres neuen Wanderpartners flattert beängstigend hoch und runter. Seine Ersatzschuhe sind nass. Wir machten Pause. Mit Hansaplast wurde der Schuh notdürftig repariert. Bei der Gelegenheit können wir gleich etwas essen. Nur Don Quijote überrascht uns auch jetzt. Wild den Rucksack absuchend stellt er schließlich fest, dass seine Marschverpflegung, ein paar Hühnerschlegel verschwunden sind. Mir dämmerte es, das was oben am Berg in den Dreck gefallen war, waren keine Abfälle es war sein Mittagessen…
Fast eine Stunde kostete uns der Abstieg vom „Heiligen Berg“. Wir waren alle froh, dass der Weg für die nächsten 15 Minuten über eine befestigte Straße führte.
Kaum erkennbar verschwand jetzt ein Pfad rechts den Hang hinauf. Es gab zwei Möglichkeiten: dem Pfad zu folgen und uns wieder durchs Unterholz wühlen oder der Straße hinab ins Tal der Kupa zu folgen. Anne kundschaftete die Wegbeschaffenheit aus. Wir warteten. „Der Weg ist besser als vorhin“ war ihr Resümee. Doch unsere beiden Begleiter entschieden sich trotzdem für die Straße. Wir wünschten ihnen viel Glück und vielleicht würden wir uns ja noch mal über den Weg laufen.
Der Pfad anfangs noch gut sichtbar verlor sich mit jedem Schritt mehr und mehr im Unterholz. Die ersten Baumstämme auf dem Pfad überkletterten wir noch mit Mühe. Bald jedoch lagen umgestürzte Baumstämme so zahlreich und dicht vor unseren Füßen dass es kein weiterkommen gab. Es ging weder vor noch zurück. Wir schlugen uns bis zur Talsohle durch, wo es etwas lichter war.
Der GPS-Track auf dem Display war verschwunden aber vor uns sprudelte ein Bächlein zwischen den Sträuchern hervor. Wir konnten unsere Wasserflaschen auffüllen. Laut Karte befand sich nicht weit von unserem Standort das Bergdorf Brezovci.
Und in Brezovci sollte es laut Karte auch einen Campingplatz geben. Auf verwilderten Forstwegen gelangten wir in den Ort. Leider bemerkten wir erst im Nachbarort, dass wir am Abzweig zum Campingplatz vorbeigelaufen waren. Es war ein hübsches Dörfchen. Rosen blühten in den Vorgärten und am höchsten Punkt, in Hrib (Skednari) erhob sich die Pfarrkirche St. Leonard.
Jetzt ging es hinab ins Tal der Kupa. Schon tauchten die ersten Wegweiser auf, mit dem Hinweis: „Izvor Kupe“ (Kupa-Quelle). Wir hatten unseren ersten Nationalpark erreicht, den Nacionalni Park Risnjak.
Am ersten Haus im Kupa-Tal war mächtig was los. Italienisch, Deutsch, Kroatisch drang zu uns herüber. An Holztischen saßen Männer in Tarnklamotten bei Bier und Schnaps, an der Hauswand lehnten Angelruten. Hier könnten wir mal nach Wasser fragen, dachten wir uns.
Das Haus war eine Berghütte und die Männer waren Angler aus Bosnien, Deutschland und Italien. Mit einem bosnischen Reiseveranstalter hatten sie eine Angelreise an die Una gebucht, doch auch ihnen hatte die Corona-Politik einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun mussten sie ihre Forellen an der Kupa in Kroatien statt an der Una in Bosnien angeln.
Der Hüttenchef der „Planinska kuća Kupari“ erwartete uns bereits. Saskia und Don Quijote waren schon vor einer Stunde hier und hatten uns bereits angekündigt. Statt Wasser gab es nun Bier und Fanta…
„Wenn ihr wollt, könnt ihr hier übernachten“ sagte unser Gastgeber. „22 Euro pro Person.“ Da ich bereits mein zweites Karlovačko pivo am Wickel hatte, viel die Entscheidung nicht schwer. Außerdem mussten wir noch unsere Pilze zubereiten. Auch dafür erwies sich der Ort als geeignet. Ich putzte die Pilze, Anne kochte Kartoffelpüree, grünen Salat gab’s aus dem Garten und unser Wirt brachte ’ne Flasche Graševina – Princ S Dunava 2018 (9,00 EUR).
Der Abend hielt noch eine Überraschung der besonderen Art für mich bereit. Als ich meinen Rucksack auspacken wollte, musste ich mit Schreck feststellen, dass mein Stativ verschwunden war. Vermutlich hatte ich es am Abstieg vom „Heiligen Berg“ verloren. Wenn also ein Wanderer auf der Via Dinarica zwischen der Kirche auf dem Heiligen Berg (Sveta Gora) und der Pfarrkirche St. Leonard in Hrib ein Stativ Joby Gorillapod SLR Zoom samt Kugelkopf Gitzo Sport findet, das war meins…
Izvor Kupe
Tau lag auf den Wiesen als wir am Morgen der Kupa stromauf folgten. Kleinere Bäche sprudelten direkt aus dem Fels kommend in den Fluss. Wieder ein Zeichen, dass wir uns in einer Karstlandschaft bewegten. Im Gebäude der Nationalparkverwaltung war noch kein Mensch, so sparten wir uns den Obolus für den Besuch der Kupa-Quelle.
Das Wasser der Kupa nahm eine türkisblaue Farbe an je weiter wir uns ihrem Ursprung näherten. Schließlich standen wir vor einem kleinen See den steile Felswände umgaben. Die Sonne ließ die Blätter der Bäume wie kleine Smaragde erstrahlen. Darunter leuchtete das Wasser des Sees in klarem türkis, Fische huschten unter der Oberfläche hin und her. Es war ein schöner Ort.
Als weniger schön entpuppte sich der weitere Wegverlauf. Ab dem Dörfchen Razloge ging es auf einer kleinen Asphaltstraße weiter. Ich hatte kein Problem mal ne Stunde auf einer Straße zu laufen, aber die Via Dinarica folgt auf 14 km bis zum Haupteingang zum Risnjak Nationalpark befestigten Straßen.
Nach 8 ½ km erreichten wir die Hauptstraße D32. Bis zum nächsten Ort Crni Lug (Schwarzer Hain) waren es noch rund 3 ½ km. Wir hatten keine Lust mehr noch einen Meter auf Asphalt zu wandeln und hielten das zweite Mal auf unserer Tour den Daumen raus. Das Glück war uns hold, schon nach wenigen Minuten hielt ein Straßenarbeiter mit Ziel Crni Lug.
Wir wurden vor dem Dorfladen abgesetzt. Leider war das Sortiment des Ladens alles andere als üppig. Immerhin bekamen wir Müsli und Erdnüsse. Auf das Wichtigste mussten wir jedoch verzichten – Instantkaffee!
Bis zum Nationalpark war es nicht mehr weit. Gegen 13:20 Uhr standen wir vor dem Infohäuschen wo es die Eintrittskarten gab. Hier erfuhren wir dass die Berghütte „Schlosserov dom“ unterhalb des Veliki-Risnjak-Gipfels nicht mehr bewirtschaftet wurde und somit geschlossen war. Schade, da biwakieren im Nationalpark verboten ist, blieb uns nur noch die Option hier im Nationalparkhotel zu übernachten und morgen unseren Aufstieg zu beginnen. Die Nationalparkdame verkaufte uns zwei Tickets (45 HRK/Person) mit 3 Tagen Gültigkeit. Normalerweise berechtigt ein Ticket zu einem zweitägigen Aufenthalt im Nationalpark, den Bonustag gab es weil wir die Via Dinarica liefen.
Im Hotel waren wir nicht nur die einzigen Übernachtungsgäste, ab 19 Uhr gehörte uns das ganze Haus. Wir besaßen einen Schlüssel zum Haupteingang, der sich zwar öffnen aber nicht mehr verschließen ließ…
Veliki Risnjak
Der Morgen begann mit O-Saft und Wildschweinwurst. Die Küche hatte uns zuliebe bereits um 8 Uhr aufgemacht. Gegen 8:30 Uhr waren wir wieder auf den Beinen. Noch schien die Sonne als wir wieder den Nationalpark betraten, doch laut Wetterbericht waren Gewitter zu erwarten.
Ein 6350 ha großes Gebiet um den 1528 m hohen Veliki Risnjak (Großer Risnjak) wurde bereits 1959 zum Nationalpark erklärt.
Neben dem Namensgeber dem Luchs (kroatisch: ris) leben in den Wäldern auch Bären und Wölfe. Der Weg zum Risnjak war blumengesäumt. Ährige Teufelskrallen, Feuerlilien und Türkenbund blühten zwischen kalkgrauen Felsgebilden.
Ein Schild wies auf das Vorhandensein einer ehemaligen Schutzhütte hin: Stara Lugarnica. Ab hier begann der Moravčev put – der Moravčev-Weg. 1899 fertiggestellt und nach dem Förster Moravčev benannt. Wir folgten dem Weg, der uns bis zum Gipfel des Veliki Risnjak bringen soll.
Graue Wolken zogen bedrohlich aus NW zu uns herauf. Hoffentlich würden wir es noch vor dem Gewitter bis zum Gipfel schaffen. Wir ließen unsere Rucksäcke vor dem verschlossenen Eingang der Berghütte Schlosserov dom zurück. So lief es sich angenehmer auf den letzten Höhenmetern bis zum Gipfel des Risnjak.
Ein wenig Kraxelei und wir standen auf dem Veliki Risnjak (1528 m), dem höchsten Punkt des kroatischen Berglands Gorski Kotar. Anne verewigte uns im Gipfelbuch, die Wolken wurden dunkler und bedeckten bereits die umliegenden Bergkuppen, wir stiegen wieder ab. Die Berghütte, wenn auch verschlossen, bot sich trotzdem für unsere Mittagspause an.
Als wir uns mit Nüssen gestärkt und von Zecken befreit hatten ging es weiter. Nach rund 40 Minuten erreichten wir die Gabelung Medvjeđa Vrata (Bärentor), der linke Weg führte zurück nach Crni Lug, der rechte nach Gornje Jelenje und der mittlere war unsere Via Dinarica, aber so steil und holperig, dass wir darauf verzichteten. Jeder Bär hätte sich da wohl die Haxen gebrochen.
Wir entschieden uns für rechts, irgendwie würden wir schon wieder auf den richtigen Weg finden. In einem Sattel zweigte ein kaum sichtbarer Pfad nach links und brachte uns wieder auf unseren Track.
An einer Wiese endete der Nationalpark. Ein gut markierter Wanderweg führte weiter bis auf eine Forststraße. Dort verloren wir unseren Weg. Laut GPS sollte es das Tal weiter hinab führen. Da war weder Markierung noch Weg. Wir blieben auf der Forststraße bis zu einer Schäferei. „Queen Sheep Farm“, stand am Eingang. Die Schafe waren schwarz – Romanov-Schafe. Eine aus Russland stammende Rasse, aus sibirischen Schafen und Mufflons gezüchtet, kälteresistent mit robuster Gesundheit, angeblich die Besten…
Die Tiere waren uns egal, aber wo es Schafe gab musste es auch Wasser geben. Und richtig, der Hirte füllte unsere Trinkflaschen auf. Nun konnten wir nach einem Biwakplatz Ausschau halten.
Wir fanden ihn hinter der Schaffarm auf einem Hügel. Der Jagdsitz am Waldrand und der von Wildschweinen durchwühlte Boden waren uns egal. Auch an die Zecken hatten wir uns gewöhnt. Kaum stand das Zelt, fing es an zu regnen. Zum Glück nur ein Schauer, so dass unser Feierabendkaffee vorm Zelt mit anschließendem Linseneintopf nicht ins Wasser fiel.
Brennnessel-Holunder-Saft
Der nächtliche Regen hing am Morgen an den Grashalmen und schon nach wenigen Minuten an unseren Hosenbeinen. Nasser Stoff klebte auf der Haut – ein widerliches Gefühl! Wir waren froh als endlich bei Ravno Podolje die Asphaltstraße auftauchte.
Ravno Podolje ist mit 928 m der höchste Punkt der Luisenstraße, die von 1803 bis 1812 erbaut wurde und die Küstenstadt Rijeka mit Karlovac (da wo das Bier herkommt) im Landesinnern verbindet. Die Straße trägt den Namen Marie Louises von Österreich, der Gattin Napoleon Bonapartes. Wir wandelten nun auf geschichtsträchtigem Boden, auch wenn dessen Bedeutung durch den Bau der Autobahn A6 Rijeka – Bosiljevo fast in die Bedeutungslosigkeit abrutschte.
Nach reichlich 2 Kilometern verließen wir die Luisenstraße auf einem Pfad der nach links in Richtung Wald führte. Bereits nach rund 250 Metern hatten wir Weg und Track verloren. Querfeldein durchs Dickicht stolpernd, fanden wir schließlich am „Mjesto Pogibije“ – „Ort des Todes“, einem Partisanendenkmal, Weg und Track wieder. Der Stein erinnerte an die zwei Partisanen, Saršon Vjekoslav und Tijan Franje, die am 12. November 1941 im Kampf gegen die italienischen Besatzer ihr Leben ließen.
Der Wald gedachte den Beiden auf seine Art, rings um das Denkmal blühten wilde Margeriten und Feuerlilien.
Bald tauchten Schilder auf die unser nächstes Ziel ankündigten, den Tuhobić 1109 m über der Adria. Ab jetzt war der Weg besser markiert und nicht mehr zu verfehlen. Zumindest für Wanderer die innerhalb der nächsten Tage auf den Tuhobić wollten. Denn am Fuße des Bergmassivs wurde massiv Holz geerntet. Schweres Gerät zerwühlte die Forstwege, Motorsägen heulten im Dickicht und frisch gefällte Bäume lagen kreuz und quer neben unserer Route im Wald. Ein Waldarbeiter gab uns grünes Licht, wir durften passieren.
Kaum hatten wir den Holzeinschlag hinter uns gelassen, bot sich uns ein anderes Waldbild. Der Pfad schlängelte sich durch einen Urwald. Zwischen bemoosten Kalksteinbrocken wuchsen Buchen jeden Alters. Junge Bäumchen mit frischen frühlingsgrünen Blättern, stattliche glatte Laubbaumriesen und tote mit Zunderschwamm bestückte Baumleichen bildeten ein imposantes Waldensemble.
Höher und höher schlängelte sich der Pfad und bald blieben die Bäume zurück und wir betraten eine mit Blumen übersäte Bergwiese. Der Wind pfiff uns um die Ohren und zerzauste Annes Haare. Bei mir hatte er keinen Erfolg, da gab’s nichts mehr zum zerzausen.
Ein Betonklotz markierte den Gipfel des Tuhobić. Die Sicht war gut, wenn auch etwas diesig. Vor uns lag die Adria mit Rijeka und der Insel Krk. Unter uns verlief der über 2 km lange Tuhobićtunnel der A6. Und hinter uns der Stausee Lepenica, eingebettet in die Hügel des Berglands Gorski kotar. Der Gipfel es Tuhobić war übersät mit Feuerlilien, wie kleine Flammen loderten die Blüten im Gras empor.
Sonne und Wind waren gute Voraussetzungen, um unser Zelt zu trocknen. Nach 45 Minuten hatte auch der letzte Kondenstropfen das Weite gesucht und wir konnten unseren Weg fortsetzen.
Weg war gut. Der Nachbargipfel des Tuhobić, der 1106 m hohe Jelenčić war eine Herausforderung. Ein Wegweiser im bewaldeten Bergsattel zwischen Tuhobić und Jelenčić verriet uns, dass wir auf dem linken Pfad in 2 ½ Stunden im Bergdorf Lić sein könnten, dem nächsten Ort auf der Via Dinarica. Unser Track führte jedoch über den Kamm. Bald fehlte von einem Pfad jede Spur. Dafür ging es durch schulterhohes Brennnesseldickicht. Ohne GPS wäre eine Orientierung wieder einmal unmöglich.
Ich tastete mich so gut es ging vorwärts, Meter um Meter. Den Jelenčić-Gipfel ließen wir rechts liegen und wendeten uns dem Abstieg zu. Etwas anderes begann uns Sorgen zu machen. Seit der Königinnen-Schäferei gab es keine Möglichkeit unsere Wasservorräte zu ergänzen. Wir hofften auf Wasser im nächsten Ort, doch bis dahin war es noch ein Stück durch unwegsamen Bergwald.
Wir mussten noch zweimal den Weg suchen bevor wir die Straße nach Fužine erreichten. Wasser gab es hier nirgends. Wir verließen die Via Dinarica und folgten der Straße in Richtung Fužine. Dort hofften wir nicht nur Wasser zu bekommen, sondern auch unsere Verpflegung aufstocken zu können. Besonders wichtig war unser Feierabendkaffee.
Nach wenigen 100 Metern tauchten erste Häuser auf: Benkovac Fužinski – ein Vorort der Gemeinde Občina Fužina. Vor einem Haus werkelte ein Opa herum. Ich fragte nach „voda“. Der Mann verstand, wir kramten unsere Trinkflaschen aus dem Rucksack, er schnappte sie und verschwand im Haus.
Seine Frau erschien und hielt einen Krug mit einer leicht rosigen Flüssigkeit und zwei Plastikbechern in der Hand. Auf unsere fragenden Blicke reagierend, zeigte sie erst auf einen Holunderstrauch und dann auf Brennnesseln am Straßenrand. Das Gebräu war also ein Brennnessel-Holunder-Saft, eisgekühlt und lecker. Kaum war der Becher leer wurde nachgefüllt. Erst als der Inhalt im Krug zur Neige ging bedankten wir uns freundlich und schulterten unsere Rucksäcke. Der Saft steht auf jeden Fall im nächsten Jahr auf meiner To-Do-Liste!
Der Weg nach Fužine war mühsam. Die Sonne brannte aufs Hirn, Füße und Rücken schmerzten. Wir beschlossen erst Morgen in den Ort zu gehen und wollten uns heute einen Platz für unser Zelt suchen. Wasser hatten wir nun genug. Nach 3 Kilometern schien ein Stück Wiese am linken Straßenrand geeignet zu sein. Abseits der Straße mit Panoramablick auf den Ort beendeten wir den Tag bei Kräutertee mit Marokkopfanne.
Waldelfenwiese
Das Nachtleben von Fužine überraschte. Bis weit nach Mitternacht gab eine Rockband Livemusik zum Besten. Die Bässe ließen fast meine Isomatte vibrieren – Corona-Party live.
Irgendwann kehrte dann doch Ruhe ein und ich konnte etwas schlafen, bis mich die feuchte Morgenkühle weckte. Wir ließen uns Zeit, die Läden waren sicher noch geschlossen.
Fužine wirkte irgendwie aufgeräumt. Aufgrund der Stauseen Bajer und Lepenica ist der Ort bei Touristen beliebt und da er an der Autobahn und Bahnlinie Zagreb – Rijeka liegt auch einfach zu erreichen. Das hier der Tourismus eine wichtige Rolle spielt, erkannten wir auch daran, dass viele mit Masken vorm Gesicht herumliefen.
Eine Oma erklärte uns den Weg zum Supermarkt. Das Sortiment an Lebensmitteln war deutlich umfangreicher als in Crni Lug. Der Cappuccino im Restaurant nebenan war eine Katastrophe!
Mit Käse-, Spinat- und Tomatennudeln, Müsli, Nüssen, Instantkaffee und 2 Liter Pfirsichsaft, setzten wir unseren Weg in Richtung Lić fort.
Auch das Dorf Lić gehört zur Gemeinde Fužine (Občina Fužina). Es ist deren ältester Teil. Auch hier gibt es einen kleinen Laden und es gibt einen Dorfbrunnen. Wir füllten nochmal unsere Trinkflaschen auf. Die nächste Quelle, die unsere Karte zeigte, würden wir erst morgen erreichen.
Das Dorf liegt am Rande einer Hochebene – Ličko Polje, die es nun zu queren galt. Aufgrund einiger Tümpel gesellten sich zur Mittagshitze auch noch lästige Schnaken, die uns ärgerten. Ein Lindenbaum und etwas Wind am Rande der Hochebene erlösten uns von den Plagen.
Die Via Dinarica führte nun wieder in die Berge, genauer auf einen Berg, die Viševica (1428 m). Das letzte Bauwerk dass wir passierten, bevor wir wieder in den Bergwald eintauchten war eine kleine Kirche. Die Kirche „Majka Božja Snježna“ wurde zur Ehren der Jungfrau Maria erbaut. Die heilige Dame wurde an dieser Stelle im Winter 1733 angeblich im Schnee gesehen. Wasser gab es hier jedoch keins.
Ab jetzt ging es wieder bergauf. Anfangs über Blumenwiesen, später unter schattigen Buchenbäumen. Ob es die Bäume waren, ich wusste es nicht. Jedenfalls hatte ich ab jetzt kein Satellitensignal mehr. Wie letztes Jahr am Korab streikte mein GPS. Zum Glück war der Weg gut markiert und die Richtung klar.
Viertel vor Vier erreichten wir eine große Wiese, laut Karte die Golac-Wiese (Livade Golac). Einen besseren Platz zum Übernachten würden wir heute nicht mehr finden. Unser Entschluss stand fest, wir blieben! Unter einer ausladenden Weißbuche fand sich ein schöner Platz für unser Zelt.
Als die Sonne hinter den Hügeln verschwunden war, erhoben sich Nebelschleier über der Wiese. Mal stiegen sie nach oben, dann senkten sie sich wieder, breiteten sich aus, sodass sie bald unser Zelt verhüllten, um kurze Zeit später wie von Geisterhand gesteuert sich wieder zurückzuziehen. Jetzt fehlten nur noch die Waldelfen. Jeden Moment müsste doch tanzend Tinúviel erscheinen und mit ihrem Gesang den Wanderer zu verzaubern. Doch es blieb still und so plötzlich der Nebel erschien, so plötzlich verschwand er auch wieder.
Wilde Barfußschuhwanderer
Bereits um halb Sieben waren wir wieder auf den Beinen und begannen den Aufstieg zur Viševica. Knapp 1 ½ Stunden dauerte es dann standen wir auf dem Gipfel. Die Sicht war nicht so toll, da es auch heute wieder recht diesig war. Der Veliki Risnjak war nicht zu sehen. Anne verewigte uns im Gipfelbuch, dann setzten wir unseren Weg fort.
Zu gern wäre ich auf dem Kamm weiter gelaufen, doch unser Track führte nach einem kurzen Stück nach links unten. Die nächsten 3 Kilometer ging es über breite Forstwege bis Javorje einer Wegkreuzung. Von unserem Biwakplatz auf der Golac-Wiese hätten wir bis hierher auch direkt laufen können, ohne den Umweg über den Viševica-Gipfel. Nun sei’s drum, laufen wirkt lebensverlängernd, so die Statistik…
Ab Javorje schlängelt sich ein Bergpfad recht steil hinauf in Richtung Bitoraj-Gipfel. Wir ließen den Gipfel jedoch links liegen und wandten uns nach rechts. Laut Karte sollte demnächst eine Quelle am Wegesrand auftauchen. Wasser war uns wichtiger als Gipfelruhm.
Es dauerte doch noch rund 2 Stunden bis das Quellensymbol im Display meines Navis erschien. Am Weg erschien jedoch kein sprudelndes Wasser! Das war nicht gut. Den nächsten Ort würden wir heute sicher nicht mehr erreichen. Wir begannen fieberhaft die Umgebung abzusuchen. Bisher hatten die Angaben auf unserer Karte gestimmt. Und tatsächlich in einem kleinen Hohlraum unter einem Felsblock entdeckten wir Wasser.
Wir mussten das kostbare Nass vorsichtig mit unseren Kaffeetassen aus dem Wasserloch schöpfen und in unsere Trinkflaschen füllen. Derweil konnte unser Zelt in der Sonne trocknen. Nach einer Stunde war das Zelt trocken und die Flaschen voll, wir durften weiter.
Bald mündete der Pfad in eine Rückegasse, die steil bergab führte. Hier wurde vor kurzem noch Holz geschlagen. Mühsam kraxelten wir über gefällte Bäume und abgesägte Äste. Der Boden war von den schweren Forstmaschinen dermaßen aufgewühlt, dass wir mehr stolperten als liefen. Da kamen mir die weglosen Etappen vorgestern wie Spaziergänge vor.
Die Rückegasse endete zum Glück nach einer knappen Stunde auf einer befestigten Forststraße. Hier stand einer der Übeltäter strahlend gelb im Sonnenlicht. Vorn mit Schieber, hinten eine Seilwinde für die Baumstämme und an den Rädern schwere Stahlketten. Da hält kein Weg stand. Wir hatten den Eindruck, dass die Slowenen schonender mit ihren Wäldern umgingen. Gesägt wurde da auch, aber der Zustand der Wege war wesentlich besser als hier.
Immerhin bot uns der Wald wieder ein paar Leckerlis. Am Wegrand wuchs Lakritzkraut – Süßdolde.
Mittlerweile hatten wir fast den Talboden erreicht, das Gelände wurde zusehends flacher. Dafür wurden die Wege matschiger. Im Schlamm zeigten sich viele Fußabdrücke. Von weitem sah es aus, als ob Wanderer mit Barfußschuhen vor uns gelaufen sind. Ich schaute mir die Abdrücke genauer an und kam zu dem Ergebnis, dass die Wanderer gar keine Schuhe anhatten und auch keine brauchten. Bärentatzen waren hervorragend an den Waldboden angepasst…
Große und kleine Tatzenabdrücke zeigten sich im Schlamm, es konnte noch nicht lang her sein, dass hier eine Bärin mit ihren Jungen entlanggelaufen war.
Großwild sahen wir jedoch keins, dafür ärgerten uns unzählige Schnaken. Es war an der Zeit, sich nach einem Biwakplatz umzuschauen aber jedes Stück Wiese schien schnakenverseucht zu sein.
Endlich erreichten wir eine schöne große Wiese auf einer Waldlichtung wo etwas Wind wehte. Einen besseren Platz würden wir nicht mehr finden und Anne wäre sowie so nicht mehr weiter gelaufen. Wir blieben.
Während wir unseren Feierabendkaffee tranken, brüllte im Dickicht ein Rehbock. So lange es kein Bärengebrumm war sollte es mir recht sein.
Morgen würden wir das Bergland Gorski kotar verlassen und ein neues Bergmassiv betreten – das Kapela-Gebirge. Unser zweiter Teil auf der Via Dinarica in Kroatien begann.