Es regnet, alles ist grau. Wir sind erschöpft. Es hat viel geregnet in den letzten Tagen. Das war unangenehm aber auch schön. Das Drina-Tal war oft wolkenverhangen und lichtete sich mit dem Fortschreiten des Vormittags. Die Sonne löste die Wolken langsam auf, so dass sie zögernd den Blick auf die gegenüberliegenden Berge und das tief unten glitzernde Drina-Tal freigaben. Das ganze Tal schien zu dampfen und eine geheimnisvolle Stimmung breitete sich aus. Bis neue Wolken vor die Sonne zogen, es zu frösteln begann und das Tal erneute verschwand. Ein sich wiederholendes Schauspiel, das manchmal bedrohlich wirkte. Ich liebe diese Wolkenwechsel, das frösteln auf der Haut und die erneute Erwärmung.
Doch heute Morgen geht es zügig weiter, denn der Regen kündigt sich mit dunklen, aufdringlichen Wolken an. Wir laufen nun schon den ganzen Nachmittag und malen uns aus, bald in einem warmen und trockenen Zimmer zu sitzen. Das Dorf Mitrovac ist schon in Sicht. Wenige Tage zuvor haben wir dort unsere Wasserflaschen aufgefüllt, Proviant im einzigen Kiosk, eine Wanderkarte in der Nationalparkstation gekauft, in dem einzigen Restaurant einen Kaffee getrunken. Jetzt hoffen wir, dass es auch ein Hotel ist. Als wir ankommen wird unsere Hoffnung leider enttäuscht. Es ist ein Restaurant, nicht mehr. Der Kellner ruft einen älteren Mann herbei, der gerade sein Haus zu Ferienwohnungen umbaut. Wir stampfen durch die Baustelle und bekommen das einzige bewohnbare Zimmer gezeigt. Wir nehmen es dankbar an.
Die Suche fängt an
Am nächsten Morgen frühstücken wir im gegenüberliegenden Restaurant. Ein junger Kellner bedient uns und wir kommen ins Gespräch. Er entpuppt sich als Weinkenner und führt uns in die Geheimnisse der serbischen Weine ein. Sie sind feinsäuberlich in einem den Raum umlaufenden Regal aufgereiht. Wir sind völlig ahnungslos, aber interessiert. Es geht um die Reben, unterschiedlichen Produzenten, um damals und heute. Als die Rede auf den Muskát Krokán aus der Kellerei Gróf Rohonczy 1912 kommt, steigt unsere Konzentration, „Ein ganz besonderer Wein, den früher nur Tito trinken durfte und deshalb Tito-Wein genannt wurde. Heute kann ihn aber jeder kaufen“, erklärt er uns. Wir fragen neugierig: „Können wir ihn hier kaufen?“ „Nein, aber in dem Weinladen in Belgrad, wo ich im Winter immer arbeite schon“, antwortet der Kellner.
Wir sind neugierig und auf der Rückreise nutzen wir unseren Halt in Belgrad, um den Weinladen zu finden. Leider erfolglos. Offenbar gibt es ihn nicht mehr. Aber wir werden wieder kommen und weitersuchen.
Die Suche wird systematischer…
Seitdem waren wir öfter wieder in Belgrad, aber einen Weinladen mit dem legendären Tito-Wein haben wir nicht gefunden. Doch wir geben die Suche nicht auf. In Restaurants und Hotels fragen wir immer wieder nach dem Tito-Wein, alle scheinen ihn zu kennen, aber probieren oder gar kaufen kann man ihn nicht. Stattdessen erfahren wir viel neues über diesen Wein. Doch das reicht uns nicht, unsere Suche wird systematischer. Die Wanderreisen auf den Balkan schließen jetzt immer auch eine Weinverkostung mit ein. So melden wir uns am Ende unserer zweiten Reise nach Nordmazedonien in Ohrid zu einer Weinverkostung in der „Villa & Winery Mal Sveti Kliment“ an. Sie liegt nur ein paar Minuten hinter unserem Hotel in der Metodi Patčev.
Natürlich fragen wir nach dem Tito-Wein. Die Antwort ist nebulös. „Ja man kennt diesen Wein. Die Rebe kommt ursprünglich aus Georgien, aber kaufen: nein das geht nicht.“ Stattdessen probieren wir die unterschiedlichen lokalen Weine, die mit kleinen Käse- und Wursthäppchen serviert werden.
Sieben Weinsorten lernen wir an diesem Abend kennen. Es beginnt mit einem leichten rosé Sommerwein, einem Amfora, der, wie der Name schon sagt, nach römischer Tradition 5 Monate in Amphoren reifen durfte. Das lachsfarbene Pink und seinen Geschmack nach Kornelkirschen und wilden Erdbeeren verdankt der Wein u. a. dem speziellen Mikroklima, welchem die Pamid-Reben im Weingut Klimeštani (Климештани) im Sateska-Tal am Fuße des „Schwarzwaldes“ ausgesetzt sind.
Der zweite edle Tropfen ist ein trockener Weißwein – Rkaciteli. Ursprünglich aus Georgien stammend, holte Tito die Rebe ins damalige Jugoslawien. Der gelb-grünliche Farbton und der Zitrusgeschmack sind charakteristisch, jedoch nicht wirklich unser Ding…
Nummer Drei ist ein Cuvée, genauer, ein Ohridsko Cuvée, ein typischer Wein aus Ohrid. Blumig, fruchtig im Geschmack. Ein Verschnitt aus 6 Rebsorten, weißen und roten Reben. Die Grundlage bilden die Reben Pamid, Rkaciteli, Smederevka, Prokupec, Vranec und ein roter Muskateller.
Auch Nummer 4 ist ein Verschnitt – Klimenško Cuvée. Für unseren Geschmack dominierte die Säure etwas zu stark. Dann wird es interessant.
Der Vranec ist ein typischer Balkanwein. Die Rebe stammt aus Montenegro. Der trockene Wein ist kräftig rot mit einem Hauch purpur. Der Geschmack erinnert an rote Kirschen und Pflaumen. Auch dieser Vranec stammt aus dem Weingut Klimeštani.
Den geschmacklichen Höhepunkt bildet ein kräftiger Rotwein – Vranec Barrique. 18 Monate reifte der Wein in Fässern aus mazedonischer Eiche. Der rubinfarbene Tropfen schmeckte nach Schwarzer Johannisbeere, vielleicht auch Sauerkirsche und irgendwie rauchig. Alles in allem ein runder ausgewogener Rotwein, der nichts zu wünschen übrig lässt.
Wie bei einem Livekonzert gibt es für uns noch eine Zugabe – Ohridsko Crno. Der Rotwein aus dem Dorf Curilo bei Velgošti (Велгошти) ist ein typischer Ohridwein. Die Rebe Ohridsko Crno soll von der Stanušina-Rebe aus der Prespa-Region abstammen. Lichte Rottöne und ein Geschmack nach roten Johannisbeeren und Kornelkirschen dominierten.
Wir sind begeistert von den unterschiedlichen Reben und Geschmäckern und kaufen einige Flaschen. In Deutschland sind sie nicht erhältlich. „Warum nicht?“ Fragen wir die Kellnerin, die uns die Weine vorgestellt und deren Herstellungsvorgang erklärt hat. „Es gibt hier in Ohrid vor allem kleine Weingüter, die nur für den lokalen Bedarf produzieren. Die Weine der großen Kellereien werden meist europäischen Weinen beigemischt. Deshalb findet man kaum eigene mazedonische Marken.“
Schade. Nordmazedonische Weine, insbesondere jene aus der Ohrid-Region sind hervorragend. Die unterschiedlichen Sorten ergänzen die Fisch-, Fleisch- und anderen Gerichte durch ihren fruchtigen, manchmal erdigen herben Geschmack…
Zudem gibt es für mich kaum etwas Schöneres als nach einer langen Wanderung am Ufer des Ohridsees zu sitzen und beim Anblick der untergehenden Sonne einen leichten mazedonischen Sommerwein zu trinken. Zufriedenheit und Entspannung breitet sich dann aus, als würde die Landschaft mit dem Geschmack des Weines verschmelzen.
Vollgepackt mit mazedonischen Weinen kehren wir in unser Hotel zurück. Aber wir sind nicht ganz zufrieden, noch immer fehlt der Tito-Wein. Also besuchen wir in Ohrid die zweite Weinhandlung. Auch dort gibt es lokale Weine, wovon wir einige Flaschen kaufen. Dazu einen selbst hergestellten Rakija, „der garantiert nicht blind macht“, wie uns ein Mazedonier in bayrischem Dialekt versichert. Auch hier kennt man den Tito-Wein, aber auch hier gibt es ihn nicht zu kaufen.
Die Suche geht weiter
Es ist seltsam. Schon Jahre suchen wir nach diesem Wein. Jeder kennt ihn, erzählt davon, aber niemand verkauft ihn. Der Wein bekommt etwas Übernatürliches und Geheimnisvolles. Die Suche nach ihm ist zu einer fixen Idee geronnen, wird systematischer und konsequenter. Wir können nicht glauben, dass dieser Wein nicht zu finden ist. Wir möchten ihn unbedingt probieren und werden weiter suchen. Das nächste Mal im Osten von Nordmazedonien. Auch dort wird eine Weinverkostung fester Bestandteil unserer Reise werden.