Das Abenteuer Balkan beginnt schon beim Fahrkartenkauf in Freiburg. Den Hauptbahnhof in Belgrad gibt es nicht mehr! (Ist die Save-Brücke nun komplett ins Wasser gestürzt?) Wir werden Belgrad auf dem Bahnhof „Beograd Centar“ (Београд Центар) erreichen. Nach Skopje fährt ein Zug vermutlich vom Bahnhof „Topčider“ (Топчидер). Doch wie kommen wir dort hin, reichen uns 53 Minuten…
Fahrt mit Hindernissen
Dass der ICE nach Basel diesmal von Gleis 1 abfuhr und nicht wie üblich von Gleis 3, erfuhr ich von einem netten Smartphone-Besitzer auf dem Bahnsteig. Die Lautsprecherdurchsagen im Zug funktionierten dann wieder: Auf Englisch informierte man uns, dass wir nur bis „Bäysel“ fuhren und dort der Anschlusszug von „opposait“ nach Interlaken fahren würde. Zum Glück tangierte uns das nicht mehr.
Dass die Interrailkarte mit Reservierungen nach Nordmazedonien mehr als das Zehnfache eines Billigfluges kostete, ließ in mir die Frage aufkeimen, ob ich noch Idealist bin oder einfach nur doof…
Im Schlafwagenabteil des Nachtzuges nach Zagreb, bei einer Flasche sizilianischen Rotwein, Oliven, Bergkäse und Paprika-Salami verschwanden die nagenden Gedanken – der Urlaub hatte begonnen.
Zagreb erreichten wir pünktlich, Belgrad mit 25 Minuten Verspätung um 18:07 Uhr. An sich wäre das kein Problem gewesen, denn der Anschlusszug nach Skopje fuhr um 18:35 Uhr. Neu war, dass unser Zug auf dem neuen Bahnhof – „Beograd Centar“ einfuhr und der Zug nach Skopje vom Bahnhof „Topčider“ abfuhr. Zu Fuß waren das etwa 3,5 km. Ob und wann ein Bus fahren würde, wussten wir nicht, uns blieb also nur das Taxi.
Das wusste auch der Taxifahrer. Zwanzig Euro kostete der Service! Wir erreichten fünf Minuten vor Abfahrt den Zug. Eine Zwangsübernachtung in Belgrad wäre erheblich teurer geworden.
Fünf Euro kostete der Luxus eines leeren Liegewagenabteils, einen Bakschisch den wir gern entrichteten. Der mazedonische Liegewagenschaffner wies uns noch recht eindrücklich darauf hin, alle drei Türverriegelungen zu betätigen. „Das hier ist Serbien!“ So sein Kommentar – wir waren wieder auf dem Balkan…
Mit 2 Stunden und 15 Minuten Verspätung erreichten wir Skopje (Скопје), seit dem 12. Februar diesen Jahres nun die Hauptstadt der Republik Nordmazedonien (Република Северна Македонија).
Ein Bus nach Tetovo (Тетово) fuhr in einer reichlichen halben Stunde. So hatte ich noch Zeit um Geld zu wechseln, aufs Klo zu gehen und mich nach einem Bus nach Belgrad für unsere Heimfahrt zu erkundigen. Denn die Zugverbindung von und nach Belgrad verkehrt nur noch 3 Monate im Jahr, von Mitte Juni bis Mitte September. „Um 23:15 Uhr, täglich“ sagte die Dame hinter dem Schalter. „1400 Dinar“, das waren rund 23 Euro.
Tetovo
Viertel nach Sieben, so früh am Morgen war Skopje noch nicht erwacht. Auf leeren Straßen fuhren wir in den Nordwesten des Landes nach Tetovo. Über der Stadt erhoben sich die Berge des Šar-Gebirges (Шар Планина).
Anne hatte in verschiedenen Bergdörfern EU-Projekte geleitet. Nun wollten wir das Gebirge erwandern. Nordwestlich von Tetovo in der Nähe des Bergdorfes Staro Selo (Старо Село) beginnt die erste mazedonische Traverse (Прва Македонска Трансверзала), ein Weitwanderweg, der kurz vor Ohrid (Охид) endet.
Durch ein Video inspiriert, fassten wir schon letztes Jahr den Plan diesen Weg zu laufen. Zudem wollten wir unbedingt den Korab besteigen. Letztes Jahr im Juni mussten wir aufgrund der Schneesituation unsere Tour im Korab-Gebirge (Кораб Планина) abbrechen. Jetzt, Anfang September sollte Schnee kein Problem mehr darstellen. Die Informationssuche war beschwerlich. Im Internet auf Wikiloc fand ich einen GPS-Track. Zusammen mit der digitalen Karte Adria Topo 3.0 waren dies unsere einzigen Orientierungsmöglichkeiten.
Im Busbahnhof erkundigten wir uns nach einem Bus in Richtung Staro Selo. Wir sollen nach einem Minibus Ausschau halten, der nach Jažintze (Јажинце) fährt, riet uns der Mann im Info-Büro. „Die Minibusse stehen immer an der Hauptstraße in der Nähe des Vero-Supermarktes.“
Einen Bus, der nach Jažintze fährt, fanden wir nicht. Da wir heute in Tetovo bleiben wollten, schlenderten wir die Straße in Richtung Zentrum entlang. Am Straßenrand hockten Obst und Gemüsehändler. Hamburger Weintrauben, Riesentomaten und diverse Paprikasorten hatten Hochkonjunktur. Pizza-Restaurants säumten links und rechts die Straße.
So verwunderte es uns nicht, dass das erste Hotel auf das wir trafen, Tivoli hieß. Fünfzig Euro kostete das Zimmer pro Nacht. Bis auf die Tatsache, dass uns die Tür der Duschkabine entgegen fiel und das Bett auseinanderzufallen drohte, war daran nichts auszusetzen.
Die Dame an der Rezeption überraschte uns mit ihrer Hilfsbereitschaft. Ihre Kollegin käme aus Jažintze. Sie würde mit dem Busfahrer sprechen, damit er uns morgen früh vor dem Hotel aufgabelte. Nun stand einem ausgiebigen Stadtbummel nichts mehr im Wege.
Viel hat Tetovo nicht zu bieten. In der Einkaufspassage dominieren Läden mit Gold- und Silberschmuck, sowie Stände mit albanischen Flaggen. Der osmanische Hamam ist eine Kunstgalerie und gegenüber vor der Bunten Moschee strömten aus Reisebussen türkische Touristengruppen…
Traditionelle Restaurants mit albanischer Küche sind spärlich. Italienische Küche ist angesagt. Erst im Restaurant Sedra gab es neben Pizza, auch Schopska-Salat, Ćevapčići und hausgemachte Bratwürste. Mit Piña Colada ließen wir den ersten Abend im Simple Café ausklingen. Ab morgen würde es keine Annehmlichkeiten mehr geben.
Der verlorene Vater
Im Weinkeller erwartete uns ein leckeres Frühstücksbuffet. Ein älteres Ehepaar war noch anwesend und es entspann sich sogleich eine Unterhaltung: Sie seien aus Deutschland zu Besuch in ihr Heimatdorf. Dort bauten sie ein Haus, aber jetzt fahren sie bald wieder nach Hause. In Deutschland beginnt für die Enkel die Schule. In Tetovo machten sie Urlaub.
Bald warteten wir vor dem Hotel auf den Minibus. Um 9:45 Uhr kam er wie versprochen und eine halbe Stunde später standen wir am Beginn der Traverse. Ein Schild am Abzweig nach Staro Selo zeigte den Verlauf der Traverse an. Der Weg führt über Mavrovo (Маврово). Wir wollten jedoch durch das Korab-Gebirge laufen.
Die schmale Asphaltstraße zog sich steil den Berg ins Dorf hinauf. Rechts tauchte ein kleiner Laden auf, die letzte Einkaufsmöglichkeit. Hinter dem Dorf gab es Trinkwasser aus einem Brunnen. Eine Tafel sowie ein Wegweiser zeigten den Weg in Richtung Ljuboten-Berghütte (2 ½ h) und -Gipfel (4 ½ h) und zum Bergsee Livaditza (Ливадичко езеро) (6 h) an.
Es ging steil aufwärts durch den Wald, mal auf dem Fahrweg mal auf schmalen Pfaden. Im Schatten der Bäume blühten Herbst-Alpenveilchen (Cyclamen hederifolium) und an sonnenbeschienenen Stellen Herbstzeitlose (Colchicum autumnale). Rosa und grün, mir gefiel die Szenerie, der perfekte Komplementärkontrast! Nach etwa 3 ½ Stunden ließen wir den Wald hinter uns, ein Schild kündigte die „Vila Ljuboten“ an. Die Hütte sah neu aus, war jedoch verschlossen. Wir setzten unsere Rucksäcke ab und hockten uns in den Schatten eines Schuppendaches.
Weiter oben am Hang hörten wir Stimmen. Irgendjemand rief nach jemandem. Auf das Gelände der Bergvilla fuhr ein Opel vor und zwei Männer stiegen aus. Ein jüngerer und ein älterer – Vater und Sohn. Der Vater sprach etwas deutsch. Ihnen gehörte die Hütte. Übernachten war nur mit vorheriger Anmeldung möglich. Bierkisten wurden ins Haus geschleppt. Immerhin stellte der Sohn das Wasser an, sodass wir unsere Trinkflaschen auffüllen konnten.
Oberhalb der Bergvilla stand ein weiteres Gebäude – die Berghütte Ljuboten (Планинарски дом Љуботен). Vor dem Hütteneingang sahen wir zwei Männer und eine junge Frau. Auf den Tischen vor der Hütte lagen Brot, Gurken, Paprika, Tomaten und Zwiebeln. Auf den Bänken standen Bierflaschen. Die Männer diskutierten, wir grüßten. „Deutschland?“ fragte der Jüngere. Die beiden Mazedonier lebten in Düsseldorf, wie sich herausstellte. Der ältere hatte bei Mannesmann geschafft und genoss jetzt sein Rentnerdasein. Die nächste Frage gefiel mir: „Wollt ihr ein Bier?“ Da konnte ich schwer nein sagen!
Bei der jungen Dame handelte es sich um eine Tochter, die ihren Vater und ihre Schwester suchte. Alle drei waren zum Gipfel des Ljuboten aufgebrochen. Die junge Frau verlor irgendwann den Sichtkontakt zu Vater und Schwester und kehrte zurück zur Berghütte. Wie das passieren konnte, war nicht in Erfahrung zu bringen. Die Sicht auf den Bergkamm war im Moment gut. Der Vater, vor Jahren nach England ausgewandert, lebte mit seiner Familie hinterm Kanal, deshalb sprach die Frau nur Englisch. Trotzdem hatte sie es irgendwie fertiggebracht, den beiden Deutsch-Mazedoniern die Situation zu schildern. Der Bruder des älteren Mannes und ein Freund hatten sich auf die Suche nach den Vermissten begeben. Deshalb die Rufe unten an der Bergvilla.
Kaum waren die Bierflaschen geöffnet, da kam die Rettungsmannschaft den Hang herunter, Vater und Tochter schienen wohlauf. Die erfolgreiche Bergrettung musste nun zünftig gefeiert werden. Alle packten ihr Essen auf den Holztisch. Wir sollten zulangen. Nach jedem Bissen Brot, Schafskäse und Paprika gab’s einen Schluck Rakija. Mir dämmerte, dass wir heute nicht mehr weiter laufen würden…
Anne schien das Gleiche zu denken. Wenig begeistert war sie, als die fröhliche Runde sich zum Aufbruch bereit machte und uns einen Sack voll Gemüse, Brot und Fisch als Wegzehrung zurückließ. Das Essen würde uns zwar nicht ausgehen doch Annes Rucksack nicht leichter…
Wir bauten unterhalb der Hütte unser Zelt auf. Statt Paella gab es heute Gemüsesuppe mit Paprikasalami. Als es dämmerte, erschien der Hüttenwirt und brachte Bier und Holz auf die Hütte. Ein Hirte trieb seine Schafe hinab zur Almstation, unterhalb der Hütte. In der Nacht blies der Wind heftig, so dass wir erst im letzten Moment den Hund bemerkten, der den Bergkäse aus dem Zelt stibitzen wollte. Das erste Loch im Innenzelt war die Folge…
Hirten, Schafe, Wanderschreck
In der Nacht erhellte ein fast voller Mond unser Zelt. Ich hatte schlecht geschlafen. Jetzt am Morgen steckte der Bergkamm im Nebel als wir uns schwer bepackt, bergauf mühten.
Anfangs folgte unser GPS-Track der Wegmarkierung in Richtung Bergsee Livaditza (oder Štrbačko jezero). Wir liefen nicht über den Gipfel des 2498 m hohen Ljuboten (Љуботен), sondern umgingen ihn über seine steinige Südwestflanke. Bei diesem Nebel hätten wir eh nichts gesehen. Langsam setzte sich die Sonne durch, doch da lag der Berg schon hinter uns.
Nach etwa 3 Stunden verließ unser Track den markierten Wanderweg. Wir waren unsicher: Sollen wir weiter der Markierung zum See oder doch dem Track folgen? Da wir nicht wussten, ob vom See ein Weg zum Hauptkamm führen würde, entschieden wir uns für den Track. Der folgte einem unmarkierten Saumpfad unterhalb des Hauptkamms nach Südwesten. Blaubeeren wuchsen am Wegesrand. Bis weit nach Osten dehnten sich die Hügelketten aus. Das Gras hatte sich schon herbstlich gelb verfärbt. Unter uns zogen Schafherden die Hänge hinauf. An einem Quellbach hockten wir uns ins Gras – Mittagspause.
Erstaunlich schnell kamen die Schafe in unsere Richtung und bald hatten uns auch die Schutzhunde gewittert. Mit tiefem Gekläff stoben sie den Hang hinauf. Die hier typische Hunderasse der Šarplaninac (Шарпланинец) gehörte meiner Meinung nach zur Sorte „Wanderschreck XXL“. Anne jedoch fand sie toll. Immerhin stoppten die Viecher in gebührendem Abstand, wenn wir sie laut anquatschten. Zum Abschied kläfften sie uns häufig schwanzwedelnd hinterher.
Die nächste Herde, der wir begegneten, ließen wir vorüberziehen. Als das letzte Schaf außer Sicht war, setzten wir unseren Weg fort. Doch bereits hinter der nächsten Biegung lag verborgen eine weitere Hundemeute dösend im Gras. Der erste Hund hob überrascht den Kopf und die Meute begann laut kläffend ihren Dienst. Zum Glück hockte der Hirte in der Nähe und rief seine Köter zur Raison…
In der Aufregung hatten wir unseren Track verloren. Ich zoomte auf meinem GPS herum und fand die violette Markierung ein Stück weiter im Norden. Querfeldein stolperten wir durch‘s Gelände, bis alles wieder passte. Nach einer Weile tauchte wie aus dem Nichts erneut eine Wegmarkierung auf. Vor uns erhob sich ein Gipfel, an dessen Nordflanke Skilifte zu sehen waren. Wir rätselten: Das musste der Piribeg oder Piribreg (Пирибрег) sein. Der 2524m hohe Berg an der Grenze zum Kosovo. Die Lifte gehören zum kosovarischen Skigebiet Brezovitza (Брезовица).
Wir waren schon 7 Stunden auf den Beinen und es war an der Zeit, einen Biwakplatz zu finden. Das Problem, es gab kein Wasser. Lediglich ein Tümpel, von Schafskötteln umsäumt, lag zu unseren Füßen. Dahinter führte ein Fahrweg von der mazedonischen Seite hinüber ins Kosovo. Anne setzte ihren Rucksack ab und ich suchte nach einer geeigneten Stelle für unser Zelt. Am Osthang des Piribreg, unweit des Fahrweges, fand ich ein Stück flache Wiese und eine Quelle.
Trotzdem konnten wir noch nicht das Zelt aufbauen. Kaum hatten wir den Platz erreicht, als eine Herde Schafe hinter uns auftauchte, mit ihnen selbstverständlich auch die Monsterhunde. Wir hockten uns auf unsere Rucksäcke und redeten auf die Köter ein. Die blieben stehen und bellten uns noch ein wenig an. Als sie erkannten, dass uns heute nicht der Sinn nach Lammbraten stand, legten sie sich ins Gras und ignorierten uns.
Der Hirte hatte seine Herde wohl aus Neugier hierher getrieben, um zu schauen, wer da mit Rucksack durch die Berge lief. Leider verstanden wir ihn nicht. Mit Handzeichen gab ich ihm zu verstehen, dass wir hier biwakieren wollten. Er lachte und schüttelte ungläubig den Kopf. Nach einer Weile trieb er seine Schafe den Hang hinab in Richtung Almstation. Nur mit Pfiffen dirigierte er die Herde und das klappte ausgezeichnet. Die Hunde leisteten uns noch ein Weilchen Gesellschaft, dann trollten sie sich.
Außer Trinkwasser hatten wir auch eine schöne Aussicht. Bei chinesischen Nudeln mit Paprika sahen wir zu, wie weit unten im Tal die Lichter der Ortschaften angingen. In der Ferne leuchtete sogar die Hauptstadt Skopje und am Himmel ein fast voller Mond…
Eine schlaflose Nacht
Morgens weckten uns die Strahlen der aufgehenden Sonne. Da wir schon am Vorabend die Thermosflaschen mit kochendem Wasser gefüllt hatten, konnten wir im Schlafsack hockend Müsli und unseren Frühstückskaffee genießen. Das war praktisch, da waren wir uns einig.
Der Weg zum Gipfel des Piribreg war breit und markiert. Wir hatten den höchsten Punkt schon fast erreicht, als etwas zum Vorschein kam, womit wir nicht rechneten. Aus dem Gras erhoben sich mehrere Zelte. Die ersten Rucksackwanderer auf unserer Tour! Es waren 9 Tschechen, die vor 3 ½ Tagen in Popova Šapka (Попова Шапка), einem Skiort in der Nähe von Tetovo, gestartet waren und bis zur Ljuboten-Hütte wollten. Auch sie freuten sich über den schönen Morgen, waren sie doch die meiste Zeit im Nebel gelaufen.
„Wir hatten uns schon gewundert, hier keine Deutschen zu treffen“ erzählte uns einer der Tschechen. Nun, hier waren wir – die Vorurteile bestätigen…
Der Tscheche zeigte uns am Horizont einen Berg in Pyramidenform. „Titov Vrv“ so sein Kommentar. Es ist der höchste Berg des Šar-Gebirges. Er lag auf unserer Route. Wir wünschten uns gegenseitig eine gute Tour, dann stiegen wir auf der anderen Seite des Berges hinunter. Vom Wanderweg fehlte jetzt jede Spur. Über Grasbuckel, die unsere Fußgelenke strapazierten, erreichten wir einen Sattel – Pause. Mein Navi meldete zu schwache Batterien, obwohl ich erst gestern neue eingelegt hatte. Ich dachte: Wenn das so weiter geht, werden sie nicht bis zum Ende der Tour reichen…
Langsam schoben sich Wolken vor die Sonne und bald schluckte uns der Nebel. Unser Track verließ plötzlich den Hauptkamm, dafür hatten wir wieder eine Markierung. Diesmal entschieden wir uns, der Markierung zu folgen. Es ging über ein paar Gipfel bis in einen Sattel, in dem auch der GPS-Track wieder auftauchte. Rechter Hand führte ein Pfad hinunter. Er war erstaunlich gut markiert und auch unser Track folgte ihm. Tief unter uns leuchtete blau ein See zwischen den Felsen. Es musste der große Jažinačko-See (Големо Јажинско езеро) sein. Ich stutzte: Stiegen wir jetzt in den Kosovo hinab.
Nach einer Weile kontrollierte ich wieder den Wegverlauf im Display des GPS-Gerätes und siehe da, unsere Route war verschwunden! Ich zoomte etwas raus und keine 50 m weiter links führte der Track erneut zum Hauptkamm. Also ging es wieder steil bergauf zurück. Anne stöhnte. Ich konnte aber unmöglich alle paar Meter auf das Gerät schauen. Warum der Track-Ersteller hier abgestiegen war, blieb uns ein Rätsel. (Daheim erfuhr ich, dass der markierte Weg ins Kosovo zum neuen Weitwanderweg High Scardus Trail gehörte, einer Erweiterung der Via Dinarica.)
Der Hauptkamm verengte sich zu einem schmalen Grat. Die Bergflanken mussten links und rechts steil nach unten führen, was sich auch bestätigte, wenn ein paar Nebelfetzen uns ein wenig Sicht gewährten. Höher und höher führte unser Weg bis zu einer Metallbox mit einem Gipfelbuch. Wir standen auf dem 2651 m hohen Peskowi (Пескови). Hier war es nicht nur neblig, sondern auch recht windig. Wir sahen zu, dass wir weiterkamen.
Tief unter uns bewegte sich ein Punkt, recht flott den Berg hinauf und trug einen Rucksack. Doch es war kein Wanderer. Der Mann grüßte. Dann kam die obligatorische Frage, woher wir kamen. Ich fragte nach Trinkwasser. Er wies hinunter ins Tal und stieg auf der anderen Seite des Bergkamms hinab in den Kosovo. Wenig später kam ein zweiter Mann, ebenfalls schwer bepackt auf dem Weg in den Kosovo.
Wir hockten uns in eine Grasmulde und beratschlagten, was wir machen sollen. Wasser gab es hier oben nicht. Für heute Abend würde es noch reichen. Allerdings fand ich das Plätzchen recht zugig. Immer wieder pfiffen kräftige Windböen vom Kosovo kommend über den Bergkamm. Ohne Rucksack ging ich auf Erkundungstour, ob sich nicht noch was Besseres finden ließe.
Nach einigen Metern führte der Pfad hinab in einen Sattel. Von oben sah es aus, als ob man auf der windabgewandten Seite sein Zelt aufbauen könnte. Wir stiegen ab. Kaum hatten wir den Sattel erreicht und einen halbwegs ebenen Platz für unser Zelt ausfindig gemacht, geschah etwas womit wir nicht gerechnet hatten – der Wind drehte! Wir saßen in der Falle. Auf der anderen Seite des Sattels war es zu steil und der nächste Gipfel zu weit. Es war schon spät und wir wussten nicht, ob danach noch mal ein Biwakplatz kommen würde. Uns blieb nichts weiter übrig, als hier das Zelt aufzubauen.
Jetzt konnte sich unser Steilwandzelt mal beweisen. Ich holte die „Crossbows“ raus. Laut Hersteller würden diese dem Zelt noch mehr Stabilität geben. Nun ja, es war ein Fehler, wie sich herausstellen sollte. Der Wind zerrte am Zeltstoff, aber mit vereinten Kräften brachten wir das Teil zum Stehen. Kaum lagen wir drin, donnerten die Naturgewalten dermaßen gegen die Zeltwand, dass der Gestängebogen über meiner Nasenspitze schwebte. Je später es wurde, desto kräftiger blies der Wind. An schlafen war nicht zu denken. Mit einer Hand hielt ich das Gestänge in Position, was gar nicht so leicht war. Mit der anderen Hand knabberte ich ein paar Nüsse, Kochen konnten wir vergessen…
Ich hoffte, dass der Wind später nachließ, so wie vorgestern. Doch weit gefehlt. Mittlerweile hatte sich bei mir ein Gespür entwickelt, wann die nächste Böe uns attackieren würde. Zunächst setzte ein pfeifendes Geräusch ein, was sich relativ harmlos anhörte. Wenn es jedoch in ein Fauchen überging, war Action angesagt. Danach herrschte oft Windstille. Das war der Moment, um die herausgerissenen Heringe wieder zu befestigen, oder zu pinkeln.
Noch eine schlaflose Nacht
Erst weit nach Mitternacht wurde es etwas ruhiger, um gegen 3 Uhr morgens wieder zuzuschlagen. Sollen wir absteigen oder weiterlaufen? Wir konnten die Dämmerung kaum erwarten. Sobald wir genügend Sicht hatten, krochen wir aus unseren Schlafsäcken und fingen an abzubauen.
Die Kreuzbögen waren komplett aus ihren Halterungen gerissen. Dort, wo sie auf dem Hauptbogen auflagen, hatten sie ein Loch in den Gestängekanal gerieben. Wir stellten fest: Bei Sturm waren sie nutzlos. Lediglich bei Dauerregen haben sie die Funktion, das Außenzelt auf Abstand vom Innenzelt halten.
Es war immer noch neblig, der Wind hatte etwas nachgelassen und an den Berghängen gegenüber dem Bistritza-Tal zeigten sich sogar vereinzelte Flecken in der Morgensonne. Wir beschlossen, die Tour fortzusetzen. Wir aßen nichts, sondern stiegen gleich hinauf zum Gipfel Gužbaba (Гужбаба) auf 2575 m. Von dort ging es über eine Art Plateau weiter. Wir brauchten Wasser! Aus dem Plateauweg wurde ein Saumweg. Etwas unter uns kamen ein paar dunkle Rinnen zum Vorschein. Ein Hinweis auf Wasser? Ich schnappte mir die beiden Thermosflaschen und stieg hinunter. Tatsächlich sprudelte ein dünnes Rinnsal aus dem Boden. Mühsam schöpfte ich Becher für Becher in die Flaschen, nach einer halben Stunde war ich wieder bei Anne auf dem Pfad.
Unterhalb des Konjuška-Berges (Коњушка) erreichten wir einen Sattel. Der Weg führte nach rechts und in einem großen Bogen um das Dojranska-Tal (Дојранска) mit dem Bergdorf Vejce (Вејце). Während der ethnischen Konflikte 2001, verübten dort albanische Rebellen der UÇK ein Massaker an mazedonischen Soldaten, was die Spannungen zwischen Albanern und Mazedoniern eskalieren lies. Nur knapp schrammte das Land an einem Bürgerkrieg vorbei.
Weiter ging es gemütlich über Bergwiesen immer auf der Grenze zum Kosovo in Richtung Kobilitza (Кобилица, 2528 m). Mächtig türmte sich der Berg vor uns auf und ich befürchtete schon, dass wir dort hinauf müssten. Doch der Pfad machte einen Bogen um die Ostflanke des Berges.
Der GPS-Track folgte wieder einmal weglos den Berghang hinab zu einer Almstation. Wir blieben auf dem Pfad und gelangten im großen Bogen südlich der Almstation wieder auf unseren Track. Über 8 Stunden steckten uns in den Beinen. Anne taten die Füße weh und wir hatten einen Sonnenbrand. Es war Zeit für den Feierabend. Am Waldrand bauten wir unser Zelt auf. Leider gab es auch heute wieder kein Trinkwasser. Das Bachbett, das von der Schafstation kam, war ausgetrocknet. Doch selbst wenn es Wasser geführt hätte, wir hätten es nicht getrunken, so vermüllt wie es dort aussah…
So war wieder sparsames Haushalten unseres restlichen Wasser angesagt: Ein Nachmittagskaffee musste trotzdem sein. Abends trieben die Hirten die Schafe und Kühe in die Almstation. Pfiffe und Gekläff drangen zu uns herüber. Wir kochten Reis mit Fisch. Wir hatten ja noch die Konserve von den Mazedoniern an der Ljuboten-Hütte.
Ein lautes Knurren weckte uns in der Nacht, es war gegen 1 Uhr. Irgendetwas schlich um unser Zelt. Es kam vom Waldrand her? Ein Bär? Nein, der knurrt nicht! Aus dem Knurren wurde bald ein Bellen. Weiß der Geier woher der Köter kam, er schien jedenfalls recht missgelaunt zu sein. In einigen Metern Abstand stellte er sich auf und bellte, was das Zeug hielt, bis gegen halb Drei Uhr morgens. Es war nichts zu machen. Dann hörte ich Stimmen, einer der Hirten redete auf das Vieh ein, dann war Ruhe. Doch nicht lang, um halb Fünf begann das Theater von neuem, jedoch nicht mehr ganz so dicht an unserem Zelt. Das war die zweite Nacht in Folge, in der wir nicht schlafen konnten, so hatte ich mir die Wanderung nicht vorgestellt…
Unter einem Dach mit der Opposition
Heute ging es abwärts. Unser Tagesziel war der Skiort Popova Šapka nördlich von Tetovo. Laut GPS-Track standen mehrere Kilometer auf einer Asphaltstraße an. Das war suboptimal. Dafür würde sich sicher eine Lösung finden. Jetzt mussten wir erst einmal ins Pena-Tal (Пена) hinunter.
Wir waren froh, dass der Weg durch schattigen Bergwald führte. Meine Nase sah schon etwas zerfranst aus aufgrund der gestrigen Schönwetterwanderung. Nach einer Weile hörten wir Schritte hinter uns. Ein Mann, etwa Ende 30, hatte den gleichen Weg. Vermutlich kam er von der Hirtenstation unterhalb der Kobilitza.
Farn und Brombeergestrüpp wucherten über den Pfad, der stellenweise sehr steil war. Der Typ hielt uns das Gestrüpp beiseite und zeigte uns die größten Brombeeren und Bäume mit kleinen roten Früchten – Kornelkirschen. Mit einer unverwechselbaren Geste gab er uns zu verstehen, dass hieraus Schnaps gebrannt wurde. Leider sprach er kein Englisch, so mussten wir uns der Zeichensprache bedienen.
Als er erfuhr, dass wir nach Popova Šapka wollen, hielt er an einem Aussichtspunkt und zeigte auf die gegenüberliegende Bergflanke. Auf gleicher Höhe sahen wir ein paar Gebäude, das war der Skiort. Unten aus dem Tal führte ein Fahrweg hinauf. Sehr gut, die Asphaltstraße konnte uns nun egal sein…
Der Mann hieß Lazim und versorgte die Hirtenstation Kobilitza mit allem, was nötig war. Er begleitete uns bis hinunter ins Tal zum Dorf Brodetz (Бродец), seinem Heimatdorf. Hier lud er uns zu sich nach Hause ein. Nein, erst mal ging es in die Dorfkneipe auf einen Kaffee und ein Glas Schweppes.
Sein Wohnhaus war gleich nebenan. Die ganze Familie stellte sich nun vor, Mutter, Frau, Kinder, Bruder mit Kindern… Seine Frau brachte Fladenbrot (Pita) mit Lauch und Schafskäse gefüllt, dazu gab es Trinkjoghurt und Kornelkirschensaft. (Es geht also auch alkoholfrei.) Der Nachtisch bestand aus Weintrauben, Gebäck und einen Mokka für jeden.
Zur Grundausstattung der Töchter gehörte ein Smartphone. Einer von Lazims Brüdern arbeitet zurzeit in Deutschland auf einem Gestüt bei Nürnberg. Bilder wurden herumgezeigt. Wir wurden nach Viber, WhatsApp und Facebook gefragt. Die Antwort war immer die gleiche – Kopfschütteln. Wir verkörpern in Persona die Rückständigkeit Deutschlands im Bereich der Digitalisierung, dachte ich mir…
Zu Fuß werden wir es heute nicht mehr bis Popova Šapka schaffen, außerdem lagen mir die öligen Pitas schwer im Magen. Lazims älterer Bruder würde uns hochfahren. Er kennt den Besitzer eines Hotels dort oben. Das Angebot nahmen wir gern an. In einer reichlichen halben Stunde waren wir in Popova Šapka.
Vor dem Hotel Arena packten Musikanten ihre Instrumente aus. Fein gekleidete Menschen diskutierten auf der Hotelterrasse. Eine Hochzeit? Wird das die dritte schlaflose Nacht?
Das Hotel war fast ausgebucht, doch wir bekamen noch ein Zimmer. Im Hotelbett lag vor mir eine langhaarige Brünette und die Nachttischlampe hing ein paar Zentimeter überm Nachttisch. Doch das Zimmer war mit 1000 MKD pro Nase recht günstig und die Bergsicht gut.
Der Ort ist eine Ansammlung von Hotels, einer Moschee und vis a vis einem Kloster, das, wie am Ohridsee, dem heiligen Naum gewidmet ist. Auch einen kleinen Lebensmittelladen gibt es. Batterien gab’s leider nicht. Im Restaurant Konak, gleich neben dem Kloster lässt es sich gut sitzen und essen. Die Speisen wurden uns von der Bedienung ins Deutsche übersetzt.
Zurück im Hotel erfuhren wir vom Kellner, der gleichzeitig an der Rezeption arbeitet, dass die Leute hier keine Hochzeitsgesellschaft sind, sondern einer Oppositionspartei Mazedoniens angehören – der „Besa Bewegung“ (Lëvizja Besa). Hier fand gerade eine Art Kongress statt. Wir werden also schlafen können…
Zum Tito-Berg
Der Pfefferminztee mit frischer Minze zum Frühstück war lecker. Heute sollte es vor allem in eine Richtung gehen – bergauf. Der Pfad führte ohne Umwege steil bergauf. Links und rechts des Weges wuchsen wieder leckere Blaubeeren, vor uns erhoben sich die Masten eines alten Skilifts. Popova Šapka schrumpfte, je höher wir stiegen. Die Kobilitza kam in Sicht und im Süden erhob sich der Titov vrv (Титов Врв), da wollten wir hin.
Wir konnten dem Track nicht immer folgen, aber das war kein Problem. Die Richtung war klar und es lief sich auch querfeldein recht gut. Der erste hohe Gipfel auf unserem Weg hieß Anteni (auch Ceripašina/Церипашина Планина) 2531 m hoch. Hier zog sich ein breiter Fahrweg hinauf. Unterhalb des Gipfels saßen 3 Typen auf ihren Enduros, einer versuchte gerade den Gipfel zu erklimmen, und legte sich vor uns hin.
Den Gipfel selbst verunstalten hässliche Antennenmasten, daher vermutlich auch der Zweitname. Von der anderen Seite stiegen drei Wanderer hinauf – Albaner wie sie von sich behaupteten. Ob albanische oder mazedonische blieb unklar. Dass wir weiter bis zum Korab wollten, schienen sie nicht recht wahrhaben zu wollen. (Das Ohrid unser Finale war, erzählten wir gar nicht erst.) Auf jeden Fall wünschten sie uns viel Erfolg und eine schöne Tour.
Leider gab es auch heute nur noch hinter Popova Šapka Trinkwasser. Unsere Flaschen waren gefüllt aber es wäre nicht schlecht, wenn wir in der Nähe einer Quelle biwakieren könnten. Der nächste Anstieg war steil. Der Gipfel des Karabunar (Карабунар, 2600 m) dagegen war flach und langgezogen. Von hier hatten wir einen tollen Blick zum Titov vrv. Uns trennte nur noch der 2704 m hohe Bakardan (Бакардан). Im Bergsattel zwischen Bakardan und Tito-Gipfel glaubten wir, ein Gebäude zu erkennen. Vielleicht eine Berghütte? Aber bei näherer Betrachtung erwies es sich nur als großer Felsen.
Es war schon spät und wir waren müde. Den Bakardan wollten wir uns für morgen aufheben. Außerdem erkannte ich eine dunkle Rinne am Westhang, vielleicht gab es dort Wasser. Wir blieben und bauten in einer Senke (Горна Лешицa) zwischen Karabunar und Bakardan unser Zelt auf. Leider führte die Rinne kein Wasser. Im Frühsommer vielleicht aber jetzt war alles trocken. Für heute hatten wir noch genug, aber morgen sollte unsere oberste Priorität der Beschaffung von Trinkwasser gelten. Dennoch: Den Feierabendkaffee leisteten wir uns. Zum Abendessen gab es Marokkopfanne, vor einem rot und orange glühenden Abendhimmel…
Das Gras rings um unser Zelt war am Morgen gefroren, immerhin befanden wir uns auf fast 2500 m. Der Aufstieg zum Bakardan war nicht so steil, wie wir anfangs vermutet hatten, der Abstieg dagegen schon. Nun lag Titos Gipfel (2747 m) vor uns. Im Sattel davor lag Baumaterial, und der Gipfelturm war teilweise eingerüstet. Hier wurde restauriert. Nach ziemlich exakt 2 Stunden standen wir gegen 9:15 Uhr auf dem höchsten Berg des Schar-Gebirges und gleichzeitig dem zweithöchsten Nordmazedoniens. Deutlich sahen wir unser nächstes großes Ziel, das Korabgebirge. Doch bis dahin mussten wir noch einige Kilometer und Höhenmeter bewältigen.
Der Abstieg vom Tito-Gipfel erwies sich als leicht, der vom Nachbargipfel, dem Mal Turčin (Мал Турчин, 2702 m), dagegen als ätzend…
Unseren Track hatten wir wieder einmal verloren. Spärliche Markierungen führten uns am Westhang des Mal Turčin (Kleiner Türke) entlang, um dann auch zu verschwinden. Im Schneckentempo wackelten wir über loses Geröll den steilen Hang hinab. Immer nach einer Markierung Ausschau haltend. Diese zeigte sich meist dann, wenn wir schon glaubten, falsch zu laufen. Doch wir schafften es mit heilen Knochen in den Sattel über dem Bach Slapska Reka (Слапска река) auf der Ostseite und dem Krivaschija-See (Кривошиското езеро) auf der Westseite des Sattels.
Wasser! Der Abstieg nach Westen war uns zu unsicher, denn vom Sattel aus konnten wir kein Wasser und keinen Weg erkennen. Aber in den Kessel des Krivaschija-Sees führte ein Pfad. Vom Türkenberg aus, sah der See wie ausgetrocknet aus, doch er führte lehmgraues Wasser. Den See speisten mehrere Quellen mit klarem Gebirgswasser. Wir entschlossen uns, hier zu biwakieren. Am gegenüber liegenden Seeufer entdeckten wir sogar eine Wegmarkierung. Sie war schon recht verblichen. Vermutlich führte ein Wanderweg von hier ins Pena-Tal.
Anne ging ihrer Leidenschaft nach, in jeden Tümpel zu hüpfen, der ihr in den Weg kam. Ich erkundete derweil die Umgebung. Etwas weiter westlich entsprang ein weiteres Bächlein und auch eine weitere Markierung konnte ich entdecken. Die Sonne schob sich hinter die westlichen Bergkämme, nur der Kleine Türke und Titos-Gipfel leuchteten noch im Abendlicht. Warum es nur einen Kleinen Türken gab und keinen Großen erfuhr ich später. Früher hieß der Tito-Gipfel – Golem Turčin, also Großer Türke. Der Berg wurde nicht umbenannt. Die Albaner jedoch nennen ihn immer noch Turk i Madh – Großer Türke. Beließ man es da etwa beim kleineren Übel?
Das Abendlicht verlosch. Wir beendeten den Tag bei Kartoffelbrei und Jägersoße mit Röstzwiebeln.
Verworrene Wege
Heute Morgen war sogar das Zelt gefroren. Die Sonne ließ auf sich warten, Tito versperrte ihr den Weg. So bauten wir unser Biwak ab, packten das Zelt ein, das einem feuchten Lappen ähnelte und machten uns auf den Weg zurück zum Sattel.
Der Wanderweg folgte dem Bergkamm, unser Track irgendwo hin. Wir blieben auf dem Kamm. Unter uns tauchten diesmal tatsächlich Hütten auf und die sahen nicht nach Hirtenbutzen aus.
Ein Wegweiser im nächsten Sattel wies auf den Berg Trpeznitza (Трпезница, 2590 m) und zum See Belo ezero (Бело езеро) jeweils 1 Stunde. Mein Navi-Display zeigte den Lila-Laune-Track wieder an. Wir liefen in Richtung Berg. Links, weit unten, glitzerte das Wasser des Belo Ezero in der Sonne. Der Pfad führte an der Westseite der Trpeznitza entlang in einen weiteren Sattel und dann hinab in den Kessel des Bogovinje-Sees (Боговињско езеро).
Nun ging es immer hart an der Grenze zum Kosovo nach Südosten. Der Weg war gut zu erkennen und vor uns lag eine weite Hügellandschaft – der oder das Kosovo. Nur links erhob sich eine schroffe Bergkette. Genau dorthin führte uns der Track. Steil ging es hinauf in einen Pass im Südwesten der Bergkette Ezerski Rid (Езерски рид). Auf einem Plateau führte uns der Track nun weglos vorbei am höchsten Berg des Kosovo der Rudoka e Madhe (2658 m) zu einem 2629 m hohen Grashaufen. Ob das ein Nebengipfel der Rudoka war, kann ich heute noch nicht sagen. Auch wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass wir gerade den höchsten Berg des Kosovo links liegen gelassen hatten…
Vom besagten Grashaufen hatten wir eine gute Sicht, unter uns grasten Schafherden, hinter uns zeigte sich der Tito-Gipfel und vor uns das Korab-Massiv. Es ging nun steil abwärts bis zu einer Stelle, wo ein Bächlein aus dem Hang sprudelte. Heute bauten wir unser Zelt im Kosovo auf. Unter Annes Tarp-Poncho, der jetzt als Sonnenschutz diente, genossen wir unseren Feierabendkaffee und abends eine Bio-Paella…
Weiter unten im Tal standen Zelte, als wir uns am Morgen auf den Weg machten. Anne grüßte von weitem, erwidert wurde ihr Gruß jedoch nicht…
Wir liefen querfeldein nach Süden über die Grasbuckel. Unseren Track hatten wir wieder verloren, dafür tauchte an den Steinen die Markierung auf. Nach einer Weile zeigte sich auch der Track wieder im Display. Dieses ständige Hin und Her nervte. Das dämliche Display zeigte nur die nächsten Schritte an, zoomte ich raus, verschwanden die Kartendetails. Ich wünschte mir wie früher eine schöne Papierkarte 1:50000, oder so.
Der Track verließ nach einiger Zeit den markierten Weg in Richtung eines Bergsattels. Anne wollte lieber der Markierung folgen. Nur woher wussten wir, dass diese dorthin führte, wohin wir wollten? Wir einigten uns, schließlich doch dem Track zu folgen, ein Fehler!
Der Pfad verlor sich im unteren Bereich des Berghangs und mit jedem Schritt wurde es steiler und steiler. „Das ist lebensgefährlich“ war Annes Kommentar dazu…
Nach einer gefühlten Ewigkeit standen wir schließlich doch in dem kleinen Sattel. Mein erster Gedanke war, dass es jetzt auf dem Kamm weiter ging. Doch der Track tat mir den Gefallen nicht. Er führte auf der anderen Seite des Sattels in einen Talkessel mit zwei ausgetrockneten Seen.
Wir querten einen gut erkennbaren Pfad, der zurück auf den Bergkamm führte. Dort oben sahen wir drei Wanderer zügig dahinschreiten. Das mussten die von heute Morgen sein. Dieser Anblick war Annes psychisches knockout. „Die sind schon lange am Korab, und wir stolpern hier im Nirgendwo herum“ schimpfte sie.
Weglos mussten wir am Ende des Kessels wieder den Hang hinauf zum Hauptkamm. Unter uns zogen drei Reiter auf dem zuvor von uns gequerten guten Pfad in den Bergsattel, wo wir die Wanderer gesehen hatten. Der Gedanke einfach den Pferdepfad zu nutzen kam uns zu spät.
Das einzige was mich nun noch bei der Stange hielt, war das schöne Wetter. Hätte es geregnet, wäre ich das Tal hinabgestiegen und hätte in Gostivar das erstbeste Hotel aufgesucht…
Oben angelangt, zog sich eine breite Fahrspur über den Bergrücken der Radika Planina (Радика Планина) und auch die Markierung zeigte sich bald. Wir hätten nur in den nächsten Sattel aufsteigen müssen und wären richtig gewesen. Hätte, hätte…
Auf dem Fahrweg lief es sich nun sehr angenehm. Weit schauten wir übers Land sowohl nach Nordmazedonien als auch in den Kososvo. Die drei Wanderer sahen wir nicht mehr. Hatten wir durch den Umweg so viel Zeit verloren?
Bald neigte sich der Weg hinab in eine weite hügelige Ebene. Unseren Track hatten wir wieder verloren, egal. Bevor es hinunter ging, wies ein Holzschild nach Mavrovo. Da wollten wir nicht hin. Wir begannen den Abstieg, von Zeit zu Zeit flatterten Vögel vor uns aus dem Gras auf. Manche kauerten regungslos in einer Wegfurche.
Unten angekommen informierte uns ein weiterer Wegweiser, dass wir uns an einem Ort befanden, der sich „Čafa e Kadis“ auf 1860 m nannte. Nur welchen der Wege wir jetzt einschlagen mussten, sagte er uns nicht. Anne studierte unsere Mavrovo-Karte, aber so recht schlau wurden wir beide nicht. So entschieden wir uns, schließlich dem Weg zu folgen, der in Richtung Korab führte. (Laut Wegweiser zur Torbeški Most/Торбешки мост – Torbeschen-Brücke.) Er war recht gut markiert.
Ich kontrollierte mein Navi und stellte fest, dass wir jetzt dem Track folgten, den wir letztes Jahr von Debar genutzt hatten. Er müsste uns auch zum Korab bringen. Also änderten wir die Richtung und vertrauten wieder unsrem Navi…
Vorbei an einem Bauernhof erreichten wir eine Straße. Rechts unter uns verlief ein Flusstal. Da es schon spät war und wir auch keine Lust mehr hatten, weiter zu laufen, wählten wir den nächsten Abzweig und stiegen hinab in das Tal. Direkt am Ufer fanden wir ein schönes Plätzchen für unser Zelt und auf der anderen Flussseite mündete ein kleiner Bach in den Fluss. So hatten wir auch Trinkwasser. Den Fluss zu furten, sollte kein Problem sein, er führte nicht viel Wasser.
Wir sonnten uns bereits vor dem Zelt, da kamen am anderen Ufer 5 Wanderer das Tal hinab. Drei hatten wir oben auf dem Radika-Bergrücken gesehen. Sie grüßten diesmal: „Ahoi“ – Tschechen also. Nur wo kamen die jetzt her? Die mussten doch schon viel weiter sein? Hatten sie sich auch verlaufen? Ein paar Meter von uns entfernt machten sie eine kurze Pause und liefen dann weiter dem Fluss folgend.
Ich schaute auf mein Navi und traute meinen Augen kaum: Auf der anderen Flussseite verlief unser Track, den wir oben am Kamm verloren hatten…
Beim Abendtee noch eine Überraschung: Aus der Richtung, in die die Tschechen gelaufen waren, kam ein Solowanderer das Tal hinauf.
Tilo aus Berlin wanderte „ultralight“ durch die Berge. In Mavrovo war er mit einem Kumpel gestartet und wollte bis Popova Šapka. Sein Gefährte war ausgestiegen, nun wanderte er alleine weiter. Neben unserem Zelt war noch etwas Platz, er baute sein Zelt auf und wir spendierten ihm `ne Tasse Tee. Das war mal sicher was anderes als nur kaltes Wasser. Ein Kocher ließ sich anscheinend mit der UL-Philosophie nicht vereinbaren…
Funklöcher am Korab
Morgenstund hat Gold im Mund, also brachen wir früh auf. Wir querten den Fluss, der hier Crni Kamen (Црни Камен) heißt und später den Radika-Fluss bildet. In dem Bächlein auf der anderen Seite füllten wir unsere Trinkflaschen. Tilo war schon auf dem Weg in die andere Richtung.
Bald machte der Crni Kamen eine Biegung und floss nun nach Südosten. Hier führte eine Straße ins Kosovo. An der Straße befand sich eine Schafstation, an der Schafstation bellten Schutzhunde, um harmlosen Wanderern zu zeigen, wer Herr im Hause war…
Zum Glück kam gleich der Hirte angerannt, um wiederum den Kötern zu zeigen, wer Herr im Hause war. Anne wollte ein Schaffoto machen, der Hirte fuchtelte mit den Armen herum und bedeutete, uns weiter zu gehen. Er schien keine Lust zu haben, seine Köter ewig in Schach halten zu müssen.
Wir stiegen hinab zum Crni Kamen, querten ihn an einer geeigneten Stelle und verließen somit das Šar-Gebirge. Der folgende Bergrücken, Projžaba (Пројжаба) genannt, gehörte bereits zum Korab-Massiv.
Ein breiter Fahrweg führte den Grasbuckel hinauf, defekte Strommasten säumten den Weg. Als der Weg auf die andere Seite des Buckels führte, zeigte sich das Korab-Massiv in seiner vollen Pracht.
Pause machen, fotografieren, genießen und der Blick aufs Navi – es sagte mir: „Satellitenempfang verloren“! Irgendwas musste immer schieflaufen…
Die Sicht war frei, weshalb dem blöden Ding die Satelliten entflohen waren, war mir ein Rätsel. Wir mussten weiter, trotz Funkloch. Der Weg gabelte sich nach ein paar Metern. Rechts ging es ins obere Štirovitza-Tal (Штировица), links ins untere Štirovitza-Tal. Dort bildet der Bach Crni Kamen mit dem Bach Adžina (Аджина) den Fluss Radika (Радика). Dieser strömt durch ein beeindruckendes Tal zwischen Korab- und Dešat-Gebirge im Westen, sowie Bistra-Gebirge im Osten und mündet bei Debar in den Debar-Stausee (Дебарско езеро). Einen der Höhepunkte in diesem Tal sollten wir später noch kennenlernen.
Jetzt vertrauten wir unserem Bauchgefühl und stiegen ab ins obere Štirovitza-Tal. An einer Quelle füllten wir unsere Trinkflaschen auf und siehe da, das Navi funktionierte wieder. Es hatte 1 ¼ Stunden gedauert, bis es erneut bereit war, mit den Satelliten zu kommunizieren. Immerhin hatten wir den richtigen Abstieg gewählt.
An einer geeigneten Stelle querten wir den Štirovitza-Bach und folgten nun einem Fahrweg Tal abwärts bis zur Polizeistation „Karaula Pobeda“ (Караула Победа). Ab hier liefen wir nun auf dem bestmarkierten Wanderweg der Tour. Polizisten zeigten sich keine, aber neben einem überdachten Picknickplatz stand ein Zelt. Es sah aus wie das von den Tschechen, gestern im Šar-Gebirge.
Steil ging es gleich hinter dem Polizeigebäude durch Buchenwald bis zu einer verlassenen Schaffarm (Belandja/Беландја). Wir stiegen noch bis in einen kleinen Sattel auf etwa 2100 m. Dort saß bereits ein älteres Pärchen – Engländer. „It took us 4 ½ hours to the top“ erklärte uns Brian stolz. Uns interessierte mehr, wie weit es noch bis zu einem geeigneten Biwakplatz sei. Unterhalb des Sattels wäre es zwar möglich, doch hatte der alpine Rasen etwas Schieflage. „45 minutes“ laut Brian.
Das klang nicht schlecht. Die Beiden verabschiedeten sich und stiegen weiter ab. Wenig später kamen wieder ein paar Leute den Berg hinunter. Es waren tatsächlich die Tschechen, wir hatten richtig vermutet. „1 ½ hours” lautete deren Antwort auf unsere Frage nach einem Biwakplatz. Hm, wir stiegen doch wieder hinunter und akzeptierten die Schieflage – kein Fehler! Das Teewasser war gerade heiß, als die ersten Regentropfen fielen. Es regnete den restlichen Abend…
Über, in und unter den Wolken
Ein netter Hirtenhund weckte uns am Morgen. Am Zelt zogen drei Schäfer mit einer kleinen Schafherde vorbei. Zu sehen gab es sonst nichts, es war neblig.
Unser Zelt ähnelte wieder einem nassen Waschlappen, wir packten trotzdem. Anne war überzeugt, dass der Nebel heute noch aufreißen würde. Ich weniger …
Nach etwa 40 Minuten wurde das Gelände flacher. Brian, der Engländer hatte recht, hier hätten wir zelten können. Nach ca. 90 Minuten gab es sogar Wasser, die Tschechen hatten also auch recht gehabt. Alles eine Frage des Blickwinkels. Neblig war es immer noch. An einer Felswand gedachte eine Tafel an den tödlichen Bergunfall eines Kroaten. Es war letztes Jahr passiert.
Etwas irritierte mich, ich sah einen Schatten, meinen Schatten … Anne hatte recht, die Sonne war tatsächlich im Begriff den Nebel aufzulösen. Noch ein paar Höhenmeter weiter und wir standen unter blauem Himmel, der Korab-Gipfel rechts über uns. Links funkelte ein kleiner Bergtümpel im Sonnenlicht. Nun war es nicht mehr weit und kurz nach 11 Uhr standen wir auf dem höchsten Berg Nordmazedoniens und Albaniens, dem Golem Korab (Голем Кораб/Maja e Korabit, 2764 m). Unter uns im Osten ein Wolkenmeer, aus dem Bergspitzen wie einsame Segelboote herausragten. Selbst Tito streckte sein Haupt durch die Wolkendecke. Aus Richtung Albanien zogen zwar immer wieder Wolken herauf, doch wir konnten mehr von der Landschaft erkennen.
Wir genossen den Augenblick. Ich schoss das obligatorische Gipfelfoto und nach 15 Minuten Pausen stiegen wir ab. Der Weg folgte nun dem Hauptkamm nach Süden, linker Hand Nordmazedonien, rechts Albanien. Von albanischer Seite mühten sich 4 Wanderer in einen kleinen Sattel. Deutsche, wie wir bald feststellten, die von Radomirë in Albanien gestartet waren.
Nur wo verlief unser Weg? Nach Albanien wollten wir nicht. Nach ein wenig Herumsuchen fanden wir den Abstieg. Der Weg führte ausgesetzt über felsiges Terrain. Das war uns zu heftig. Mit unseren großen Rucksäcken wollten wir nicht im Absturzgelände herumturnen. Wir traten den Rückweg an. Unser Alternativtrack bot tatsächlich eine Alternative an. Wir mussten zurück bis zu einem Wegweiser und von da aus ging es einen unmarkierten Saumpfad unterhalb der Felsen bis in den Bergsattel Qafa e Korabit. Leider steckten wir jetzt wieder im dichtesten Nebel.
Die Orientierung wurde trotz Navi immer schwieriger. Wir steckten mitten in einem Trümmerfeld aus Geröll bei einer Sicht von nur wenigen Metern. Ab und zu tauchte eine Markierung auf, doch diese führte nicht in die Richtung, in die wir wollten. Wir mussten zurück auf den Track! Ich schaute ständig auf mein Navi, um den Weg nicht wieder zu verlieren. Ab und zu tauchten Markierungen auf, meist waren sie schon recht verblasst. Doch wir wurden korrekt in das Duboka-Tal (Дубока) geleitet.
Kurz bevor der Pfad ins Tal hinunterführte, sprudelte von rechts ein Quell den Hang hinunter. „Wir sollten hier unsere Trinkflaschen auffüllen“ schlug Anne vor. Ich hätte sie lieber im Tal aufgefüllt, doch willigte schließlich ein, was sich im Nachhinein als gute Entscheidung herausstellte. Unser heutiges Ziel, der Duboka-Bach führte kein Wasser! Ich traute meinen Augen nicht. Letztes Jahr im Juni war es ein reißender Wildbach, unmöglich zu Furten. Jetzt war es nur eine trockene Geröllrinne…
Auf der ersten flachen Stelle bauten wir unser Zelt auf. Über 9 Stunden waren wir unterwegs, das reichte! Der Kreis hatte sich geschlossen, vor einem Jahr hatten wir von hier aus den Rücktritt angetreten, da noch zu viel Schnee in den Bergen lag. Nie und nimmer wären wir damals auf den Korab gelangt.
Morgen wollten wir absteigen und nach Debar trampen. Wir brauchten Proviant und Batterien für’s Navi. Und eine Pause schadete mit Sicherheit nicht!
Debar
Gras und Zelt waren am Morgen gefroren. Es war die bisher kälteste Nacht auf unserer Wanderung. Um 8 Uhr begann der Abstieg ins Radika-Tal. Der Korab-Wasserfall (Корабски водопад oder Пројфелски водопад) war verschwunden, lediglich dunkle Stellen am Fels zeigten an, dass es dort feucht war. Unten im Tal des ausgetrockneten Bergbachs erkannten wir unseren Biwakplatz vom letzten Jahr. Eine mächtige Schneebrücke spannte sich damals über den Bach.
Etwas höher stand auch jetzt ein Zelt. Doch Pferdesättel und Decken deuteten darauf hin, dass es sich nicht um einen Wanderer handelte. Wir lagen richtig, denn kurze Zeit später kam ein Einheimischer auf einem Pferdchen den Pfad entlang geritten.
Das wir zu Fuß vom Korab-Gipfel kamen, schien ihn zu beeindrucken, er hob anerkennend den Daumen. Sein Gesichtsausdruck sagte eher: „Die spinnen, die Deutschen!“…
Bald erreichten wir den Waldrand, nun ging es bergab. Berglauch fanden wir diesmal nicht, dafür noch ein paar Himbeeren und pinkfarbene Bärenscheiße. Die Viecher hatten sich mit Kornelkirschen vollgefressen. Am Birkenwäldchen teilt sich der Wanderweg: Links nach Bibaj (Бибај), rechts nach Ribnitza (Рибница).
Erst mal machten wir Mittagspause und bauten das Zelt zum Trocknen auf. Dann wählten wir den Weg über Ribnitza. Teilweise von Farn überwuchert, ließ er sich schlecht laufen. Da halfen auch die Bäume mit Kornelkirschen nicht, die am Wegrand wuchsen. Verschwitzt und zerkratzt erreichten wir schließlich den Picknickplatz am Dorfrand.
Das letzte Stück auf dem Fahrweg bis zur Asphaltstraße im Radika-Tal war dröge. Lkws mit Holz beladen, staubten uns regelmäßig ein. Endlich, nach insgesamt 7 ½ Stunden hatten wir es geschafft. Auto um Auto fuhr an uns vorbei, leider in die falsche Richtung. Nach Debar fuhr kaum jemand. Endlich hielt einer. Hoffnung! Doch der Fahrer hatte nur gehalten, um uns zu sagen, dass er niemanden mitnehmen könne. Er zeigte auf seine Rückbank, dort lag ein Baumstamm!
Nach einer dreiviertel Stunde hatten wir endlich Glück. Der Mann, ein Roma, sprach etwas Englisch. Er kam aus Skopje. Sein Sohn arbeitet in Kaiserslautern in einer Kaserne und seine Tochter in Tübingen bei einer Pizza-Kette. Jetzt überlegt er, auch nach Deutschland zu gehen, um als Fahrer zu arbeiten. Seine Motivation: „250 Euro hier, 900 in Deutschland!“ Außerdem wurden seiner Meinung nach Roma unter Tito nicht diskriminiert, heute war es an der Tagesordnung.
Gegen 17 Uhr erreichten wir Debar. Laut unserem Fahrer gab es nur 2 Hotels in der Stadt, Leon und Venec. Wir ließen uns am Venec absetzen, das kannten wir schon. Leider bekamen wir nur für eine Nacht ein Zimmer. Das hieß, wir mussten unsere Einkäufe gleich erledigen!
Zum Glück schlossen die Läden nicht schon um 18 Uhr. Und weil’s auf dem Weg lag, fragten wir auch gleich im Konkurrenzhotel nach freien Zimmern. Das Hotel Leon hatte zwar freie Zimmer für 47 Euro aber ohne Frühstück. Uns kam eine bessere Idee. Kurz vor Debar hatte es auf der rechten Straßenseite gedampft. Laut unserem Fahrer gehörte der Dampf zu den Thermalquellen von Kosovrasti (бања Косоврасти). Warum nicht mal einen Tag Wellness einlegen?
Im Restaurant Afrona bei Hähnchenspießen (Ražnjići Pule) und Tikveš-Rotwein (T’ga za jug – Sehnsucht nach dem Süden) aus dem Kühlschrank ging der Tag zur Neige.
Dampf und Schwefel
Meine Frühstückssuppe war im Vergleich zum letzten Jahr etwas dürftig. Anne hatte mit Omelett definitiv die bessere Wahl getroffen. Am Skanderbeg-Denkmal fuhren Minibusse und Taxis ab. Da würde sicher etwas bis Kosovrasti fahren.
Wir hatten Glück. Ein Taxifahrer stand neben seinem Auto. „Kosovrasti?“ „Da!“ Die Rucksäcke verpackt, und schon ging es los. Wir fuhren vorbei am Kloster des Heiligen Georgs dem Siegreichen (Св. Ѓорѓи Победоносец) in Rajtschitza (Рајчица) und an den Gipssteinbrüchen im Radika-Tal, die jetzt mit der Firma Knauf eine sogenannte deutsch-mazedonische Wirtschaftsvereinigung bilden. Dann ging’s über die Brücke am Beginn des Stausees und schon kurz danach sahen wir es dampfen. Grünlich-weiße Ablagerungen am Ufer der Radika und ein typischer Geruch nach faulen Eiern hießen uns willkommen.
Vor dem Hotel & Spa Kosovrasti setzte uns der Fahrer ab. Wir entrichteten unseren Obolus von 200 MKD (ca. 3,30 EUR) und betraten das Hotel. Ein Schild am Eingang verriet uns, das dieses Etablissement von 00:00 bis 23:59 Uhr geöffnet hatte. Also wenn’s dumm läuft, steht der Gast eine Minute vor verschlossenen Türen…
Das Hotel ist ein Kurhotel, was besonders an den Gästen deutlich wurde. Wir befanden uns in bester Gesellschaft mit lauter Omas und Opas. Dafür war es recht günstig. Für 1900 MKD (ca. 30 EUR) pro Nase gab es Vollpension (Frühstück 7 – 9 Uhr, Mittagessen 12 – 14 Uhr und Abendessen 19 – 21 Uhr), Thermalbad inklusive. Ein gelbes Armband war unsere Eintrittskarte für die Therme.
Wir konnten uns zwei Zimmer aussuchen, eins im zweiten Stock, das andere im dritten Stock. Wir entschieden uns für das höher gelegene Zimmer. Das hatte die bessere Aussicht, dafür lag es nordseitig und hatte keine Sonne – blöd zum Wäschetrocknen. Wir versuchten es trotzdem.
Das Mittagessen war etwas salzarm, aber ganz ok. Es gab Krautrouladen, hier Sarma (Сарма) genannt. Die Omas und Opas hatten den Speisesaal zum Großteil verlassen. Vor dem Hotel gab es eine Getränkebar, wo der Kurgast bei Alkohol oder Kaffee wieder etwas gegen seine Gesundheit tun konnte. Das mussten wir sogleich ausnutzen…
Nun wurde es Zeit für ein Bad. Das Wasser hatte eine milchig-graue Farbe, roch nach Schwefel und war dort, wo es ins Becken strömte mollig warm. Anne bevorzugte die Blubbereinheiten am Beckenrand, ich hockte mich lieber ins Warme. Wir waren fast allein im Wasser. Wenn ich mir so die Rutschen und Spielmöglichkeiten ansah, musste hier in der Hauptsaison die Hölle los sein. Nur die ständig dudelnde Pop-Musik war etwas lästig, nicht mal der Muezzin hatte gegen das Gedudel eine Chance. Bis 22 Uhr konnte man hier baden. Wir blieben aber nur bis es Zeit war, für’s Abendessen. Als die Sonne verschwunden war, wurde es auch recht frisch.
Hackfleischspieße und Hähnchenschlägel genossen wir zum Abendessen, im Anschluss Rotwein und türkischen Tee an der Bar. Der Tag hatte sich gelohnt, morgen würden wir frisch und munter den Buckel des Bistra-Massivs (Бистра Планина) hinaufrennen.
Bei Oma und Opa
Wir begannen nun den zweiten Teil der Traverse. Unser Tagesziel hieß Galičnik (Галичник), ein Bergdorf im Bistra-Massiv. Hier sollen noch Mazedonier leben, die der Volksgruppe der Mijaks (Мијаци) angehören, einem Hirtenvolk.
Um nach Galičnik zu wandern, mussten wir erst einmal irgendwie nach Janče (Јанче) kommen. Laut dem Typen an der Hotelrezeption, fährt kein Bus nach Janče. Das hieß, trampen.
Wir stellten uns also an den Straßenrand und warteten, und warteten und … Irgendwie schienen wieder alle in die falsche Richtung zu fahren. „Lass und nach Debar fahren“ schlug Anne vor. Von dort fuhr vielleicht ein Bus in Richtung Mavrovo. Gesagt, getan und nach einer reichlichen halben Stunde klappte es. Ein junger Mann, der seine Mutter im Krankenhaus besuchen wollte, nahm uns mit. „My German Girlfriend“ sagte er und klopfte mit der Hand auf das Lenkrad seines VW…
Minibus stand an Minibus am Skanderbeg-Park in Debar. Aber welcher fuhr jetzt in unsere Richtung? Da half nur fragen. Ich fragte den erstbesten Mazedonier, der in einem Minibus hockte. „Janče?“ Der Typ stieg aus und rief etwas die Straße entlang. Zwei Busse weiter hielt er an und diskutierte mit einem Busfahrer. Der Bus fuhr in Richtung Rostuša (Ростуша) und somit in unsere Richtung. Allerdings hatten wir noch fast eine Stunde Zeit bis zur Abfahrt.
Die Fahrgäste waren allesamt Bewohner der umliegenden Bergdörfer, was auch an ihren Gerätschaften zu sehen war, die sie mitnahmen. Eimer, Säcke usw. selbst ein Paprika-Grillofen quetschte sich in den schmalen Gang. Wir quetschten uns dazu, mit den Rucksäcken auf dem Schoß. Bequem war das nicht, aber wir würden ja bald aussteigen.
Nach rund 20 Minuten standen wir am Abzweig nach Janče. Ein Schild am Straßenrand wies auf ein Nobelhotel hin – Hotel Tutto. So etwas hätte ich hier gar nicht vermutet. Am Wegrand wuchsen Brombeeren süß und lecker. Eidechsen huschten über den Boden. Ein Opa am Dorfrand, ein Bündel Holz hinter sich herziehend, zeigte uns eine Wasserstelle. Zwei Stunden wären es noch bis Galičnik, so der Alte.
Am Horizont zogen dunkle Wolken auf und es dauerte auch nicht lang, bis die ersten Regentropfen fielen. Den Rest bis hinauf ins Dorf liefen wir in strömendem Regen. Es war das erste Mal auf unserer Wanderung, dass wir beim Laufen vom Regen überrascht wurden. Blöd war, dass meine Regenjacke nicht mehr dicht hielt. An den Schultern wurde es feucht und bald lief das Wasser unter dem T-Shirt an den Armen runter – heavy water on me!
Frierend und durchgeweicht erreichte ich Galičnik. Anne hatte ihren Poncho und war damit deutlich besser dran. Gleich am Dorfeingang gab es ein Hotel, es war verschlossen. Wir liefen weiter. Die Tür der Dorfkneipe stand einen Spalt weit auf. „Не работиме!“ war die klare Ansage der Dame im Gastraum – Wir arbeiten nicht! Jetzt begann ich mir etwas Sorgen zu machen. Hatte ich doch fest damit gerechnet, hier eine Unterkunft zu finden. Doch so wie es schien, würden wir am Dorfrand unser Zelt aufbauen müssen.
Hoffnung machte uns ein Mann mit Hund, der die Straße herunter uns entgegenkam. Hinter der Kirche sollte es noch ein Restaurant geben, dass auch Zimmer vermiete.
Das Restaurant hieß „Баба и Деде“, also „Oma und Opa“. Geführt wurde der Laden vom Enkel. Oma und Opa waren jedoch die letzten ständig im Dorf lebenden Galičniker. Wir hatten Glück, es gab Zimmer und sogar mit Frühstück für 15 Euro pro Nase und die Hofhündin hatte vier Welpen, wuschelige tapsige Fellknäuel. Kaum zu glauben, dass daraus mal Wanderschrecks werden…
Wir buchten gleich für zwei Nächte, da morgen die Regenwahrscheinlichkeit bei 80 % liegen sollte. Schweineschnitzel zum Abendessen war ein sicheres Zeichen, dass wir nun in der christlich geprägten Region Nordmazedoniens angekommen waren. Der Opa sprach ein paar Worte deutsch, hatte früher bei Daimler geschafft.
Unser Zimmer lag in einem Nebengebäude. Der Höhepunkt des Tages war für mich eine heiße Dusche, die ich ausgiebig nutzte. Unter der Bettdecke, mit einem Glas „Südsehnsucht“ beendeten wir unseren Wandertag…
Der nächste Tag beglückte uns wie versprochen mit Dauerregen. Anne machte sich schlauer mit der Lektüre der Nachdenkseiten, ich genoss derweil Vorzimmerbonbons der Geschmacksrichtung Orange oder Zitrone…
Zum Frühstück brachte uns Oma Pita-Brot, Joghurt und Kaffee. Der Opa saß im Restaurant mit einem Kännchen Rakija und ließ es sich ebenfalls gut gehen. Ein weiterer Gast gesellte sich noch zu uns. Der junge Mann kam aus Rosenheim und war von Mavrovo gestartet, morgen wollte er nach Janče absteigen. Inspiriert wurde er unter anderem durch einen Reisebericht auf den Outdoorseiten. Es war der Bericht unserer Mazedonientour im letzten Jahr…
Am Nachmittag klarte es zum Glück auf und laut Wetterbericht sollte es morgen wieder schön sein, das lies hoffen…
Bushwhacking light
Die Sonne schien und so ging es gut gelaunt weiter. Das erste Stück folgten wir der Straße in Richtung Mavrovo, doch bald bog der Weg rechts ab. Ein Holzschild wies am Waldrand nach Seltze (Селце), einem weiteren Mijak-Bergdorf.
Unser Track folgte jedoch nicht dem Pfad, sondern einem Fahrweg. Wir blieben zur Sicherheit auch auf dem Fahrweg. Brombeersträucher luden wieder zum Verweilen ein. Der Weg zog sich, zwei Stunden liefen wir bis die ersten Häuser und der Kirchturm zu sehen waren. Auch der Wanderpfad zeigte sich wieder. Wir hätten ihn doch laufen können.
Immerhin gab es hier reichlich Trinkwasser, eine kräftige Quelle sprudelte aus dem Hang etwa in der Dorfmitte. Seltze sah ebenso verlassen aus wie Galičnik. Nur an einem Grundstück parkte ein Auto. Eine schmale Asphaltstraße zog sich hinunter ins Tal des Seletschka-Bachs (Селечка Река). Nun ging es eben bis zum Tresontsche-Bach (Тресонечка Река). Hier stand wieder ein Schild mit dem Verlauf der Traverse. Leider ging es noch mal richtig hoch und runter. Der höchste Punkt lag auf über 2200 m – Babin Srt! Wir würden ihn vielleicht übermorgen erreichen.
Am Abzweig zum Bergdorf Rosoki (Росоки) verließen wir das Tal. Ein schmaler kaum auszumachender Pfad führte links hinauf in den Bergwald, direkt zu einer Bärenfalle…
Sie stand mitten auf dem Pfad. Zum Glück war sie leer. Wir folgten nun dem Saumpfad durch den Wald, aus dem Wald wurde Gestrüpp und aus dem Gestrüpp wurde eine undurchdringliche Wildnis. Anne hatte ein Loch in der Rucksackseitentasche und wir hatten uns verlaufen! An den Bäumen ließen sich noch ab und zu Markierungen ausmachen, aber gelaufen war hier schon lang niemand mehr. Wir drehten um.
Tatsächlich zweigte nach einer Weile ein Pfad links ab. Es war mir ein Rätsel, wie wir den übersehen konnten. Nun ging es besser. Bald öffnete sich der Wald. An Stelle des Gestrüpps dominierten jetzt richtige Bäume. Sogar eine Quelle sprudelte aus dem Hang zu unserer Linken. Mein rechtes Knie ärgerte ein wenig, bisher hatte ich keine Probleme.
Knapp drei Stunden dauerte unsere Hangtraverse, bis sich der Wald komplett zurückzog und wir auf einen Fahrweg traten. Ein Schild mit der Aufschrift „Kalina dupka“ stand am Wegrand. Der Pfad, der von dem Schild hinab führte, musste also zu einer Höhle führen.
Erst suchten wir uns jedoch einen Platz für unser Zelt. Wir fanden ihn neben einem Handy-Mast und einer Ameisenstraße. Unter uns sahen wir Häuser, die zu einem Dorf gehörten, zu welchem Dorf war uns im Moment noch nicht klar.
Nach dem Feierabendtee suchten wir die Höhle, fanden aber nur eine kleine Kapelle mit einer Quelle mitten im Wald. Wieder am Zelt, verschwand die Sonne gerade hinter den Bergen, der ganze Himmel glühte. Die Szenerie wirkte schön und bedrohlich zugleich. Wir löffelten unsere Tomatennudeln und tranken noch Rotwein aus Galičnik. Uns ging es gut…
Bratwurst in Gari
Für 80% Regenwahrscheinlichkeit, war es am Morgen erstaunlich sonnig. Das Bergdorf hieß Lazaropole (Лазарополе). Interessant war, dass es hier ein Hotel gibt. Hätte ich das gewusst…
Hinter dem Dorf ging es erst über Wiesen, dann wie gestern auf einem schmalen Saumweg durch den Bergwald nach unten. Am Wegrand wuchsen Kornelkirschen, am Boden lag Bärenscheiße und blühten Alpenveilchen.
Der Pfad endete auf einer breiten Schotterstraße, gegenüber am steilen Berghang klebten Häuser. Dort mussten wir hin. Es war das Bergdorf Gari, das letzte Mijak-Dorf auf unserer Wanderung und das erste im Stogovo-Gebirge (Стогово Планина).
Unser (mein) größtes Interesse galt dem Motel Topila, ein Schild wies schon am Dorfeingang darauf hin. Da die Sonne schien, hockten wir uns draußen auf die Terrasse. Die Dörfler hatten gerade ihren Rakija ausgetrunken und schlenderten zurück zur Arbeit. Ein Bauer hatte ein Huhn frisch geschlachtet und brachte es in die Küche. Die Haushunde im Schlepptau. Sehr zu empfehlen war die hausgemachte Bratwurst. Aber auch die gegrillten Paprikaschoten und der Schopska-Salat waren nicht zu verachten. Außerdem gab’s 0,5er Skopsko-Flaschen…
Ich hoffte ja auf etwas Regen, dann hätte ich einen Grund, hier zu bleiben. Doch den Gefallen machte mir der Wettergott nicht. So brachen wir immerhin gut gestärkt auf, in Richtung Babin Srt, mit 2242 m unser höchster Punkt auf dem Rest der Tour.
Wir schleppten uns den Forstweg im Tal des Garska Reka (Гарска река) hoch, bis der Wald hinter uns zurückblieb. Weite Weiden prägten nun die Landschaft und am Horizont erhob sich rechter Hand der felsige Gipfel des Golem Rid (Голем Рид) in dunkle Wolken gehüllt. Mit 2273 m ist es der höchste Berg des Stogovo-Massivs.
Der Weg führte durch eine Schafstation. Die Hirten waren noch in den Bergen. An den Gebäuden sammelte sich der Müll von Jahren, wie es schien. Hinter den Schafpferchen zweigte der markierte Weg nach links ab in Richtung Kamm. Mein Navi zeigte jedoch nach rechts und nach ein paar Metern querfeldein.
Wir hatten keine Lust mehr über bucklige Wiesen nach oben zu steigen. Zum Glück sprudelte in einer Senke eine Quelle aus dem Boden. Mit etwas Geduld fanden wir auch einen ebenen Flecken für unser Zelt.
Das Teewasser kochte gerade, als die ersten Tropfen fielen. Zum Abendessen kochen kamen wir nicht mehr. Nüsse knabbernd lagen wir in unseren Schlafsäcken und lauschten dem Regen, wie er aufs Zelt tropfte. Gebell und Geblöke sagten uns, dass auch die Hirten in ihre Butzen zurückkehrten.
In den Schwarzwald
Nebel breitete sich über den Bergen aus. Anne wollte dem markierten Weg folgen, ich lieber dem Navi. Immerhin hatte uns die Markierung schon zweimal in die Irre geführt. Na gut, das Navi hatte uns auch Umwege beschert. Schließlich folgten wir doch dem Navi querfeldein zum Kamm Golema Megdanica (Голема Мегданица) hinauf.
Wir hofften auf dem Bergkamm, die Markierung und den Wanderweg wieder zu finden. Doch dem war nicht so. Erst am Ende in einem Pass entdeckten wir einen halb zerfallenen Wegweiser. Ein Fahrweg führte über den Pass, doch unser Track querte ihn nur und zog sich dann querfeldein auf den vor uns liegenden Gipfel. Das musste Babin Srt sein. Da er allerdings in den Wolken steckte, begnügten wir uns mit seinem Südostsattel.
Ab jetzt hatten wir wieder Pfad und Markierung. Auf dem Bergrücken Ržanski Rid (Ржански Рид) ging es nun immer nach Süden. Wenn der Nebel nicht gewesen wäre, hätten wir eine schöne Sicht hinunter ins Tal gehabt. Im Westen das Tal des Schwarzen Drin mit dem Debarsee, im Osten das Sateska-Tal. Immerhin löste sich im Osten der Nebel etwas auf und wir sahen über rot-braune Bergrücken hinunter ins Tal.
Der Pfad mündete in eine breite Off-Road-Piste. Je weiter wir nach Süden kamen, desto besser wurde das Wetter. Vom letzten Grashaufen konnten wir in der Ferne bereits den Ohridsee erkennen. Im Westen erhoben sich die Jablanitza-Berge (Јабланица Планина). Wir erkannten Labuništa (Лабуништа), das Torbeschendorf am Osthang der Jablanitza-Berge, wo wir letztes Jahr abgestiegen sind.
Jetzt wollte ich nur noch ankommen. Irgendwie hatte ich keine Lust mehr auf die Berge, Ohrid wartete. Doch noch waren wir nicht am Ziel. Die Bäume unter uns gehörten bereits zum Bergmassiv Karaorman (Караорман), dem letzten Gebirge, durch das wir wandern mussten. Und Karaorman bedeutet übersetzt Schwarzwald, wir konnten uns wie zuhause fühlen…
Nun im Wald waren es nicht mehr Hirten, denen wir begegneten, sondern Holzfäller. Motorsägen dröhnten zwischen den Bäumen und eine nicht enden wollende Forststraße zog sich durchs Gelände. Da konnten uns auch die Brombeeren und riesigen Parasolpilze am Wegesrand nicht wirklich aufheitern. Der Rucksack drückte, die Füße brannten, es wurde Zeit für einen Biwakplatz. Wir fanden ihn auf einer mit Wacholder bewachsenen Bergwiese. Der Platz war windgeschützt und flach, nur Wasser fehlte. Dafür sahen wir am Horizont den Pelister (Пелистер) und das Galičica-Massiv (Галичица) und am Abend funkelte die Milchstraße über unserem Zelt…
Am Ziel
Heute wird unsere Wanderung enden. Über das Bergdorf Crvena Voda (Црвена Вода) mussten wir hinunter ins Sateska-Tal zur Straße, die auf unserer Karte als Autobahn A2 dargestellt wurde.
Wie damals am Korab schien die Sonne und unten im Tal lag Nebel. Am Horizont reckte der Pelister sein Haupt über die Wolkendecke. Steil ging es hinab durch den Wald bis zu einer Kirche. Der Bau war neu, aber warum stand er mitten im Wald? Ab jetzt ging es auf einem Forstweg weiter.
Der erste Mensch, dem wir begegneten, hatte einen Eimer in der Hand mit einem Parasolpilz darin. Nun, er würde den Eimer voll bekommen, da waren wir uns sicher. Am Wegrand standen Bäume mit Früchten, die an kleine Äpfel erinnerten. Doch nach Annes Gesichtsausdruck zu urteilen, waren sie so sauer, dass es einem die Schleimhäute zusammenzog…
Bald tauchten die ersten Häuser von Crvena Voda auf. Eine Oma stand auf der Dorfstraße und beäugte uns neugierig. Sie zeigte mit der Hand in Richtung Berge. Ich verstand „планинa“. Ja da kamen wir her. Sie begrüßte uns mit Handschlag und ich verstand „кафе“. Nun, das Angebot wollten wir nicht ausschlagen.
Die Oma quartierte uns bei ihrem Nachbarn ein, der gerade dabei war das Dach seines Wochenendhäuschens auszubessern. Wir bekamen Pelister-Wasser, Mokka auf dem Gaskocher zubereitet und natürlich selbstgebrannten Rakija…
So ließen wir unsere Traverse stilgerecht ausklingen. Das letzte Stück bis zu Straße war recht unspektakulär. An einer staubigen Baustelle endete die Tour. Ein verstaubtes Schild am Straßenrand zeigte nochmal den Verlauf der Traverse. Das war’s…
Es dauerte nur ein paar Minuten und schon hielt ein Auto. Der Fahrer hatte in Stuttgart in einer Gaststätte gearbeitet – Schwäbische Küche. Nun ist er 70 und lebt mit seiner Rente in Mazedonien.
Eine halbe Stunde später waren wir im Zentrum der Stadt des Lichts am Ohridsee. Diesmal hatten wir Glück und bekamen ein Zimmer für zwei Nächte im Hotel Aleksandrija, zwar in bester Lage aber mit Blick auf die Terrasse vom Nachbarhaus. Dort war man gerade fleißig dabei, Paprika zu grillen.
Ohrid
Drei Tage hatten wir nun Zeit zum Relaxen. Wir lernten die regionalen Weinspezialitäten, bei einer privaten Stadtbesichtigung Sehens- und Wissenswertes über Ohrid (Охрид), sehr gute und weniger gute Lokalitäten kennen und am Badestrand, wie kalt das Wasser des Ohridsees war…
Die erste Amtshandlung für mich war ein Barbierbesuch. Immerhin wollte ich mein Pensionärs-Image loswerden. Wir gingen auf den Basar. Es gab an jeder Ecke Barbiere. Die meisten warteten auf Kundschaft. Meine Wahl fiel auf einen Laden, wo schon ein paar Leute hockten. Der ältere Herr bot mir einen Platz an. An der Wand hing ein Porträt von Tito, neben einem Foto der Hagia Sophia. Nachdem der Bart ab war und mich der Meister noch ordentlich durchgeknetet hatte, sah ich wieder 10 Jahre jünger aus.
Nun war es an der Zeit, etwas zu Abend zu essen. Wir erinnerten uns an ein Restaurant, mit dem wir letztes Jahr recht gute Erfahrungen gemacht hatten – das Belvedere. Der Kellner war sofort zur Stelle, um die Bestellung aufzunehmen, so weit so gut. Doch dann nahm das Unheil seinen Lauf. Mit unseren Getränken rannte er zum Nachbartisch. Erst auf lautes Rufen, realisierte der Typ, dass er falsch war. Mit einem genuschelten „everybody is moving“ brachte er die Getränke. Niemand hatte sich umgesetzt!
Langsam wurde es voll um uns herum. Die Gäste an den Nachbartischen, bekamen einer nach dem anderen ihr Essen, wir nicht. Wieder mussten wir auf uns aufmerksam machen. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit kamen der Fleischtopf (Mutschkalitza/Мучкалица) für beide und gegrillte Paprika für Anne. Mein Fleischtopf war ok, Annes Essen war nur noch lauwarm, die Paprika hart und an den Enden verkohlt. Sie reklamierte, der Kellner nahm das Essen, um es aufzuwärmen.
Wieder musste sie eine Ewigkeit warten, der Typ hatte uns ein zweites Mal vergessen. Das konnte schon mal passieren, wenn man mit seinen Kollegen ein Raucherpäuschen macht…
Endlich brachte er auch Annes Essen, diesmal heiß.
Es gab keine Entschuldigung, stattdessen antwortete einer der Kellner auf meine Frage, ob wir zahlen könnten – „You must pay!“ Auf der Rechnung tauchte statt meinem Bier, ein Saft auf. Bis auf den letzten Dinar ließen wir uns alles herausgeben und verließen die Lokalität auf Nimmerwiedersehen!
Der zweite Tag in Ohrid stand im Zeichen des Weins. Um die hiesigen Weinspezialitäten kennen zu lernen, mussten wir nicht weit gehen. Die „Villa & Winery Mal Sveti Kliment“ lag nur ein paar Minuten hinter unserem Hotel in der Metodi Patčev (Методи Патчев) Straße 10. Wir hatten uns bereits angemeldet. 7 Weinsorten lernten wir an diesem Abend kennen.
Nicht nur der Wein, auch die Käse- und Wurstplatte waren nicht zu verachten. Alles in allem war es ein gelungener Abend. Eine Flasche Amfora (690 MKD) und eine Vranec Barrique (1590 MKD) wechselten den Besitzer. Immerhin war es löblich die nordmazedonische Wirtschaft zu unterstützen…
Für die letzten zwei Nächte in Ohrid mussten wir uns eine neue Bleibe suchen, das Aleksandrija-Hotel war ausgebucht. Wir fanden sie im Hotel Nova Riviera, hier hatten wir bereits letztes Jahr genächtigt. Das Zimmer war nicht nur günstiger, die Angestellten an der Rezeption vermittelten uns sogar eine Stadtführung. Zwar hatten wir ständig große Gruppen mit Führer durch Ohrid laufen sehen. Für Individualreisende schien es dagegen nicht so leicht zu sein, jemanden zu finden, der uns seine Stadt näher bringen könnte.
Jetzt hatten wir einen Termin um 14 Uhr bei der Agentur „Lale Tours“ für einen geführten Stadtrundgang – auf Deutsch! Eintrittsgelder waren nicht im Preis von 50 Euro inbegriffen, aber das waren in der Regel meist 100 MKD pro Sehenswürdigkeit.
Bis zum Beginn unserer Führung hatten wir noch etwas Zeit, um durch die Stadt zu bummeln. Und wie wir so bummelten, entdeckten wir noch eine Quelle mazedonischen Weines. Der kleine Laden führte Weine des Weinguts Popova Kula (Попова Кула) in der Varda-Region. Mit Demir Kapija Stanušina (rot, 390 MKD), Žilavka (weiß, 290 MKD) und 1 ½ Liter Selbstgebrannten verließen wir den Laden…
Unsere Stadtführerin hieß Nadeschda oder einfach Nadja und sie war Deutschlehrerin. Da heute der 30. September war, hatte sie sogar ihren Namenstag. Denn der 30. September ist einer Tochter der Heiligen Sophia gewidmet: Nadeschda – Hoffnung. Auch wir hofften auf einen interessanten Rundgang durch Ohrid.
Erst klärte sie uns über den Landesnamen auf. Makedonija bedeutet „Hohe Erde“, immerhin sind fast 80% des Landes Berge. Und auch zum Stadtnamen hatte sie etwas zu erzählen. Ohrid besitzt ja auch zwei Hügel. Der Festungshügel (Gorni Saraj) ist immerhin 785 m hoch. Rid (рид) bedeutet Hügel. Eine schwangere Frau musste täglich den Weg über die Hügel nehmen und jedes Mal stöhnte sie: „Oh rid“.
Dann erklärte sie uns, von was die Mazedonier bei einem Durchschnittslohn von 250 Euro eigentlich leben: den Renten der Alten und deren Häusern oder Wohnungen. Auch sie lebe im Haus eines Onkels. Ohne diese Segnungen aus Titos Zeiten, könnte ihrer Meinung nach, hier kaum jemand wirklich überleben.
Unser Stadtbummel begann am See bei der Statur „Mann mit Kreuz“. Warum der ein Kreuz in der Hand hielt, war mir bislang unklar. Nadja klärte uns auf. Am 19. Januar, angeblich der Tag an dem Christus im Wasser des Jordan getauft wurde, findet eine Zeremonie statt. Bei deren Höhepunkt ein Priester ein Kreuz in den See wirft. Wer es findet hat das ganze Jahr über Glück. Nun ja, Glück ist das Eine, aber es soll an dem Tag in jedem Lokal Rakija geben – kostenlos!
Der nächste Stopp an einem Schmuckgeschäft in der Zar-Samuel-Straße, war obligatorisch. Es ging um Ohrid-Perlen. Also original Ohrid-Perlen von der Familie Filevi. Nun die Geschichte war uns nicht neu. Chinaimporte werden mit Fischschuppenmix auf Hochglanz gebracht. Neu war etwas anderes, nebenan gab es noch einen Schmuckladen und dort wurden mazedonische Rubine verarbeitet. Echte Steine, die es nur in Mazedonien bei der Stadt Prilep gibt. Sie kommen dort im Marmor vor.
Das Haus der Händlerfamilie Robevi (Куќа на Робевци) ist heute ein Museum. Typisch ist der Stil, unten schmal oben breit (wegen der Grundsteuer). Und die Querbalken sollen das Gebäude erdbebensicher machen. Interessant, dass das Haus ein Baumeister aus Gari errichtet hatte. Die machen also nicht nur tolle Bratwürste…
Vorbei an der Sophienkirche, die Fresken aus der Zeit des Großen Schisma beherbergt, ging es nun den Berg hoch bis zu Ohrids Amphitheater. Das es am Berg angelegt wurde hatte seinen Grund – die Akustik. „Ließ man auf der Bühne eine Münze fallen, so soll das Geräusch bis zu den obersten Rängen zu hören gewesen sein“ erzählte uns Nadja. Zurzeit der Mazedonier diente das Theater der Kunst, erst die Römer bauten es für ihre Gladiatorenkämpfe um.
Ganz oben auf dem Hügel steht die Kirche der heiligen Maria Peribleptos, heute Sveti Kliment. Leider war sie geschlossen. Nadja empfahl uns die Kirche wegen ihrer Fresken zu besichtigen. Der Grundton der Wandmalereien war in Blau gehalten, der Farbstoff aus Lapislazuli. Ein Gramm Farbe kostete so viel wie ein Gramm Gold. Außerdem besitzt die Kirche wertvolle Ikonen. Es ist eine der wenigen Kirchen in Ohrid, die während der Osmanenherrschaft nicht in eine Moschee umgewandelt wurde. Verstaubt und von Spinnweben umhüllt, wurde der wahre Wert dieser Kunstwerke angeblich geschickt verschleiert.
Auf dem Nachbarhügel befindet sich Ohrids höchstgelegenes Bauwerk, die alte Festung. Der bulgarische Zar Samuel ließ die Festungsanlage auf Resten einer antiken Befestigung errichten. Heute streiten sich Mazedonier, ob Samuel nun Bulgare oder Mazedonier war. Sollte man zu dem Schluss kommen, das er Mazedonier war, dürfte Bulgarien sein Veto in Fragen der EU-Mitgliedschaft Nordmazedoniens einlegen. Nun haben die Mazedonier schon mühsam ihr Land umbenannt und schon lauert das nächste Fettnäpfchen. Die haben’s echt nicht leicht… (Und Dank der Dänen, Franzosen und Holländer sowieso…)
Von der Theologischen Universität, die in Plaošnik gebaut wird, war Nadja wenig begeistert. Immerhin gab es schon eine Uni in Skopje, wozu dann noch eine?
Die letzte Kirche, die wir besuchten, ist das Wahrzeichen von Ohrid schlechthin. Auf jedem Ohrid-Foto ist sie wohl zu sehen – die Kirche des Heiligen Johannes von Kaneo hoch über dem Ohridsee. Die Osmanen ließen die Kirche stehen, da, so heißt es, der Platz über dem See ohne sie trostlos wirken würde. Nun, unrecht hatten sie da nicht, die Türken…
Und einer Legende nach, kommen die Engel an diesen Platz, um sich auszuruhen. Nun die haben Geschmack, die Engel…
Am Seeufer ging es zurück. Nadja empfahl uns das Restaurant Kaneo, falls uns mal nach Fisch aus dem Ohridsee gelüstete. Nobelfische aus dem See kannten wir schon. Das Besondere an der Ohridforelle war nicht nur ihr rotes Fleisch, sondern auch die Tatsache, dass sie viel langsamer wächst als die klassischen Forellen. Allerdings dürfen die Fische im See nicht gefangen werden, zumindest nicht in Nordmazedonien. Der See gehört zum UNESCO-Welterbe, steht also unter Schutz. Die Abwässer werden in den Schwarzen Drin geleitet und fließen somit nach Albanien und in die Adria…
Wir im Fluge verging die Zeit. Wir standen wieder an unserem Ausgangspunkt und wussten einiges mehr über Ohrid.
Unser letzter Tag in Ohrid begann für mich traditionell mit einer Ohrid-Fischsuppe (Охридска рибена чорба) zum Frühstück. Dazu gab es eine Knoblauchpaste, Makalo (Макало) genannt.
Nach dem Essen wurde Geld ausgegeben! Wir gingen ins Schmuckgeschäft Filigran, auf der Zar Samuel Straße und wenig später steckte an Annes Hand ein silberner Rubinring.
Die Lapislazuli-Fresken in der Kirche der heiligen Maria Peribleptos wirkten in der Tat beeindruckend. Sie erinnerten mich an die Fresken des Klosters Voroneț in den Ostkarpaten. Nur hatte der Künstler bei einem der 12 Apostel den Heiligenschein vergessen…
Mittlerweile war es warm und trotz Sonnenschein und kristallklarem Wasser waren wir noch nicht schwimmen. Das musste sich ändern! Mit Handtuch und Badehose ging es an den Kaneo-Badestrand. Ein Schwan hielt am Strand Wache, im See sprangen kleine Fische, sehr zur Freude von Möwen und Haubentauchern. Trotz der Höhenlage auf 695 m war das Wasser nicht kalt, eher angenehm erfrischend und das am 1. Oktober.
Für den kleinen oder auch großen Hunger danach war es auch nicht weit bis zum Kaneo Restaurant. Mit Fisch begann der Tag, mit Fisch sollte er auch enden. Mazedonische Platte (Македонска Даска, 650 MKD) für den Anfang und danach Ohrid-Karpfen (Охидски Крап, 770 MKD) und Belvitzi-Fische (Белвици, 560 MKD). Bei Letzterem handelt es sich um eine endemische Fischart (Salmo ohridanus) aus dem Ohridsee. Dazu eine Flasche Župljanka (Жупљанка, 680 MKD), einen frischen serbischen Weißwein…
Heimreise
Am vierten Tag hieß es Abschied nehmen von Ohrid und von Nordmazedonien. Um 17:45 Uhr sollte ein Bus nach Belgrad fahren.
Der Bus fuhr jedoch nur bis Skopje, dort hieß es umsteigen. Der Nachtbus nach Belgrad war krachend voll, die Sitzplatzreservierungen nutzlos und der Fußboden klebte wie in einem Bierzelt auf’m Oktoberfest. Trotzdem erreichten wir pünktlich die serbische Hauptstadt. Es war 5:30 Uhr und es regnete!
In unserem Hotel konnten wir so früh noch nicht vorsprechen. Wir hockten uns in ein Busbahnhofsbuffet und schlugen mit Kaffee schlürfend die Zeit tot. Das Hotel Mint befindet sich in der Nähe des neuen Bahnhofs Centar oder Prokop. Das Taxi kostete diesmal „nur“ 10 Euro. Dafür waren wir gegen 7:30 Uhr am Ziel.
Wir durften ans Frühstücksbuffet und um 9 Uhr in unser Zimmer. Was macht man in Belgrad bei Regen? Da drängte sich ein Museumsbesuch förmlich auf. Nicht weit vom Hotel ist der Hajd Park (Хајд парк) und nicht weit vom Hajd Park befindet sich das Muzej istorije Jugoslavije, das Museum der Geschichte Jugoslawiens. Und auf dessen Gelände befindet sich Titos Grab und das seiner Frau Jovanka. Das war uns auf jeden Fall einen Besuch wert. (Eintritt: 400 RSD)
Den nötigen Proviant für unsere Heimreise bekamen wir im Aroma-Markt und Abendessen auf Empfehlung des Hotelpersonals im Restaurant Mydan. Das Steak war ausgezeichnet.
Der neue Bahnhof ähnelt einem Luftschutzbunker. Nur mit viel Phantasie vermutet man, dass sich unter der Betonfläche mit verrosteten Stahlarmierungen und kleinen Bäumchen, die dort wuchsen, ein Bahnhof befand. Aber dem ist so! Unser Zug stand am nächsten Morgen schon bereit und pünktlich verließen wir Belgrad. An der Bahnstrecke standen Bauarbeiter – Made in China und alle paar Meter flatterten rote Fähnchen mit chinesischen Schriftzeichen im Fahrtwind. Das Projekt „Neue Seidenstraße“ nahm also Gestalt an.
Wir erreichten pünktlich Zagreb, waren pünktlich in Zürich und Basel SBB und hatten ab Basel Badischer Bahnhof 10 Minuten Verspätung – wir waren wieder daheim!
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