Auch in diesem Jahr wollten Anne und ich wieder ein Stück Balkan kennenlernen. Da Anne früher in Skopje und Tetovo gearbeitet hatte und von der Landschaft noch immer begeistert war, stand unser Reiseziel schnell fest: wir fuhren EU-politisch korrekt in die EJRM (Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien) oder einfach nach Mazedonien – keine Frage!
Eine lange Zugfahrt
Wir entschieden uns für eine Anreise mit der Bahn. Das Interrailticket versprach eine gewisse Flexibilität, wir konnten ohne Probleme unseren Spiritus mitnehmen und ich konnte, wann immer ich Lust dazu hatte, auf’s Klo…
Mit 20 Minuten Verspätung erreicht der ICE Freiburg. In Basel sind es nur noch 15 Minuten. Die Schweizer lassen den Zug aber trotzdem nicht weiter nach Zürich fahren, dafür wurde uns von einer jungen Dame auf dem Bahnhof Minze-Tee (Ramseiers Huus-Tee gesüßt mit Obstsaft) gereicht – gratis! Mir kam es vor wie eine Entschädigung. Da sag noch mal jemand, die Schweizer nehmen nur…
Ein Interregio steht bereits abfahrbereit am Bahnsteig. Wir werden von der Schaffnerin freundlich darauf hingewiesen, unsere persönlichen Daten ins Interrailticket einzutragen (sonst waren 25 CHF fällig), dann geht es nach Zürich.
Dort steht schon der Nachtzug nach Zagreb bereit. Wir hatten uns den Luxus eines Schlafwagenabteils gegönnt, so können wir ungestört unser Abendessen genießen: Brot, Paprikawurst, Gurke, Oliven und Peperoni sauer eingelegt. Leider moderte meine Flasche Palinka daheim im Kühlschrank rum, ich hatte sie vergessen aber wir fuhren ja auf den Balkan…
Kurz vor der Ankunft in Zagreb am nächsten Morgen wechseln wir das Zugabteil. Die Schlafwagen werden auf dem Glavni kolodvor (Hauptbahnhof) abgekoppelt. Durch eintöniges Flachland Slawoniens zuckeln wir nun der Hauptstadt Serbiens entgegen und Kaffee gibt es erst wieder ab dem Grenzbahnhof Šid (Шид). Der Opa der den Kaffee verkauft ist der selbe wie letztes Jahr, der Preis jedoch ist um 0,20 Euro gestiegen. „Strong Serbian Coffee“ so der Mann. Es klingt wie eine Rechtfertigung…
Nach fast 6 ½ Stunden passieren wir die „Schlüsselstelle“ der Bahnstrecke Zagreb – Belgrad, die Save-Brücke und erreichen wohlbehalten die „Weiße Stadt“.
Wir haben eine halbe Stunde Zeit, der Zug nach Thessaloniki wartet schon auf Gleis 2 gegenüber. Die Liegewagenreservierung gibt es direkt beim Schaffner – 6 Euro pro Nase. So fahren wir halbwegs bequem in Richtung Mazedonien.
Unser Reiseziel in Mazedonien ist die Stadt Bitola (Битола/Manastiri) im Südwesten des Landes. Wir müssen in Veles (Велес/Velesi) umsteigen. Ein recht modernes Bähnle fährt um 7:48 Uhr von Veles weiter. So modern, dass ein Großteil der Fahrgäste es nicht fertigbringt die Klotür zu verschließen wenn sie ihr Geschäft verrichten müssen, was recht lustige Situationen während der Fahrt hervorruft…
Endlich, nach insgesamt rund 37 Stunden Bahnfahrt sind wir am Ziel. Die drittgrößte Stadt des Landes ist wichtig! Einst war sie Hauptstadt des Bulgarenreiches, später, Manastır genannt, ein wichtiges Verwaltungszentrum bei den Osmanen, Kemal Atatürk bekam hier seine Militärausbildung und noch heute gibt es konsularische Vertretungen verschiedener Länder in Bitola. Und es gibt eine Brauerei – Bitolsko (Битолско) heißt deren Bierchen…
Ich hatte mir ein paar Hotels in der Stadt als Wegpunkte auf’s GPS-Gerät kopiert. Das erste am Weg ist das Gala Garden Hotel. Sie sind dort nicht gerade auf Touristen eingestellt. Wir bekommen ein Apartment für 50 Euro. Angeblich sind alle anderen Zimmer belegt. Egal! Wir haben keine Lust länger herumzusuchen und buchen das Apartment. Es hat eine Badewanne, deren Funktionsweise selbst dem Hotelmanager nicht einleuchtet. So bleibt uns nur eine warme Dusche…
Heute ist Sonntag und am Sonntag hat in Bitola so ziemlich alles Wichtige zu: der Basar (es ist Ramadan), die Wechselstuben und Läden. Immerhin gibt es genug Bankautomaten, um etwas Kleingeld zu tauschen.
Nun zahlungsfähig, gönnen wir uns erstmal eine Kaffeepause und danach Kultur. Die Fußgängerzone ist sehr belebt, die Cafés und Restaurants voll. Am südlichen Stadtrand befinden sich die Reste des antiken Herakleia Lynkestis (Eintritt: 100 MKD).
Philipp II., der Vater von Alexander dem Großen ließ die Stadt etwa Mitte des 4. Jahrhunderts vor Christus errichten, nach dem er die Region Lynkestis (Land der Luchse) erobert hatte. Später führte hier die von den Römern errichtete Via Egnatia vorbei.
Wir sind fast alleine, die Rosen blühen, es ist schön. Eine richtig kleine Stadt mit Tempel, Badehaus, Theater und recht gut erhaltenen Fußbodenmosaiken. Bitola, Herakleia, Antike, Geschichte und Gegenwart ganz eng beieinander. Das ist der Balkan, das ist Mazedonien eingerahmt von einer wilden schönen Natur, die wir in den nächsten Tagen genießen werden.
Der Tag neigt sich seinem Ende entgegen, Zeit fürs Abendessen. Im Restaurant „Korzok“ gibt es lokale Spezialitäten: Bier (Битолско), Wein (Далвина Тивер Вранец) und Mineralwasser (Пелистерка). Letzteres liefert schon mal einen Vorgeschmack auf unser morgiges Ziel, das Baba-Gebirge im Nationalpark Pelister (Национален парк Пелистер). Direkt von unserem Hotel wollen wir in die Berge aufbrechen.
Nationalpark Pelister
Abends tobte ein ordentliches Gewitter über der Stadt und im Hotel eine Party. Vom Personal zeigt sich am Morgen nur eine Reinigungskraft, die sichtlich überfordert scheint, als wir den Wunsch nach unserem Frühstück äußern. So nach und nach trudeln schließlich die restlichen Hotelangestellten ein, noch etwas benommen. Den Koch schien das Partyfieber besonders stark erwischt zu haben. Aus glasigen Augen dreinschauend hockt er sich an den erstbesten Tisch, genehmigt sich eine Zigarette und schnauzt die Reinigungskraft an… Immerhin bekommen wir nun unser Frühstück.
Die Wechselstuben haben auf, wir tauschen jeder 300 Euro und lassen uns vom GPS in die Berge leiten. Unser Ziel ist das Bergdorf Brusnik (Брусник) am Fuß des Baba-Gebirges (Баба Планина). Hinter den Häusern der Vororte Bitolas steigt die Straße sanft an. Es geht vorbei an der Weinkellerei Čiflik (Чифлик Винарија). Wir kehren nicht ein, obwohl mich eine mazedonische Weinkellerei von innen schon interessiert hätte…
Nach 1 ½ Stunden sind wir in Brusnik. Hier endet unser GPS-Track, nun muss uns die Wanderkarte weiterhelfen. Ein Mann der an seinem Auto herumwerkelt fragt, ob er uns helfen kann. Er spricht ein paar Brocken Englisch und erklärt uns so gut es geht den Weg hinauf zum Pelister. Wir sollen über den Bach links, dann immer den Berg hinauf bis zu einer Hütte (Дом). Eigentlich wollten wir über den Kamm laufen. „Der Weg ist weit“ sagt der Dörfler. Wir würden erst am Abend oben sein.
An einer Quelle hinter dem letzten Haus trinken wir noch einmal und füllen unsere Flaschen auf. Rot-weiße Punkte markieren den Weg. An einer Brücke biegt der Weg nach links und entfernt sich vom Gebirge. Auf einem Stein weißt ein roter Pfeil geradeaus, wir folgen ihm und landen auf einem verwilderten Pfad im Dickicht. Nach ein paar Minuten zeigt ein Schild mit der Aufschrift „Неолица“ nach rechts den Hang hinauf. Was sich auch immer hinter „Neolica“ verbirgt, wir werden es herausfinden.
Anne ist sich sicher, dass wir falsch laufen. Sie hat recht, auf den Hauptkamm des Gebirges werden wir so nicht gelangen. Aber egal, so grob folgen wir der Beschreibung des Mannes aus Brusnik. Es geht links über den Bach und in Serpentinen einen Nebenhang hinauf. Immer wieder taucht der Schriftzug „Неолица“ auf. Und nach reichlich 4 Stunden lüftet sich auch dessen Bedeutung. Auf meinem GPS-Display erscheint eine Berghütte mit dem Namen „Neolica“. Es ist die Hütte, die der Mann erwähnt hatte.
Etwa 1 km vor der Hütte führte rechts ein markierter Wanderweg den Berghang hinauf (1 Stunde zu einem 1865 m hohen Gipfel). Ich vermute es war die erste Möglichkeit, um hinauf zum Hauptkamm zu gelangen.
Die Berghütte ist verschlossen aber es gibt eine Quelle, einen Tisch und Bänke sowie ein schönes flaches Rasenfleckchen und 4 ½ Stunden wandern sind genug für den ersten Tag, wir bleiben. Anne kocht einen Kaffee, ich packe meinen Rucksack aus.
Seit unserer letzten Balkantour haben wir unsere Ausrüstung ein wenig optimiert. So benutze ich zum Beispiel einen Feuerstahl zum Anzünden des Spiritus und wir sind stolze Besitzer eines neuen Zeltes, dem Tarptent Scarp 2. Mal sehen, wie sich das Teil bewährt…
Der Aufbau gestaltet sich noch etwas fummelig, doch als das Zelt steht, macht es einen guten Eindruck. Vor allem innen ist viel Platz. Mit den zwei Kreuzbögen ist es selbststehend, wir haben zwei Eingänge und zwei Apsiden und das bei gerade mal 2 ½ Kilo Gesamtgewicht. Mein Hilleberg Staika wog über 4 Kilo! Lediglich die Zeltunterlage hatte sich im Nachhinein nicht bewährt. Sobald der Untergrund etwas schräg war, rutschte der Zeltboden auf dem glatten Material.
Zum Abendessen gibt es Paella mit Tomatensoße, dann beginnt es zu regnen…
Zwei markierte Wege führen von der Hütte weg. Einer folgt dem Bergbach, der hier in einem Kanal läuft. Der zweite führt hinter der Hütte den Berg hinauf – unsere Richtung.
Der Wald liegt bald unter uns. Auf den Bergwiesen blühen Orchideen, gelbe und lila Stiefmütterchen sowie Stauden von Weißem Affodill (Asphodelus albus) und viele andere Blumen die wir nicht kennen. An einem verlassenen Hirtenweiler wuchern Guter Heinrich und Pfefferminze. Über den Hauptkamm ziehen bald wieder Nebelschwaden.
Ein Stück unterhalb des Kammes sprudelt noch mal eine Quelle aus dem Boden. Es sollte bis zu unserem Tagesziel, dem Golemo Ezero (Големо Езеро – Großer See), die letzte Möglichkeit sein Trinkwasser zu tanken.
Oben angekommen, zeigt sich kurz der Pelister-Gipfel mit seinem Sendeturm, dann bleibt er für den Rest des Tages hinter Wolken versteckt. Tief unter uns das Bergdorf Nizhepole (Нижеполе/Nijopolea). Dort sollen noch Aromunen leben eine Minderheit in Mazedonien.
Wir folgen dem Kammweg, der recht gut markiert ist. Immer wieder gilt es ausgedehnte Geröllfelder zu überqueren bis in einen langen Bergsattel zwischen dem Gipfel Skrkovo (Скрково, 2146 m) und einem ohne Namen 2202 m hoch. Plötzlich ist die Markierung verschwunden, nur ein gut ausgetretener Weg zieht sich den Berg hinauf in den Nebel. Wir suchen eine Weile nach der rot-weißen Punkten und Bändern, doch geben es schließlich auf und folgen dem Pfad, bis sich auch dieser im Nichts auflöst. Nun geht es weglos durchs Nebelgebirge. Erst am Muza-Gipfel (Муза, 2351 m) lichtet sich der Nebel und auch die Wegmarkierung ist wieder da. An der Mauer einer Ruine leuchtet uns der Punkt entgegen und hier biegt der Wanderweg nach rechts ab und führt hinunter zur Golema griva (Голема грива, 2195 m). Am Horizont erscheint der Prespa-See (Преспанско Езеро).
Ab jetzt ist der Weg breit und nicht mehr zu verfehlen. An einem Tümpel (Вирој) weiden halbwilde Pferde. Erste Firnfelder versperren uns den Weg, doch sie lassen sich problemlos überschreiten. Dort wo der Schnee vor kurzem geschmolzen ist, blühen unzählige Krokusse, meist violett, manchmal auch gelb oder weiß. Erste Bergseen kommen in Sicht und endlich, nach fast 9 Stunden erreichen wir unser Ziel, den Golem Ezero. Der Wind bläst kalt und auf dem Wasser schwimmen noch Eisschollen. Am Nordwestufer steht eine Berghütte, auch sie ist verschlossen. Eine Gedenktafel erinnert an den Bergsteiger Dimitar Ilievski – Murato (Димитар Илиевски – Мурато), der am 10. Mai 1989 am Mount Everest ums Leben kam, nachdem er den Gipfel erreichte. Hinter dem Gebäude ist es einigermaßen windgeschützt, wir bauen unser Zelt auf.
Am Horizont türmen sich Wolkenberge in den Himmel, doch es gibt kein Gewitter. Die Sonne verschwindet hinter den Bergen und wir hocken uns an den See und genießen die Landschaft und unser Abendessen – Marokkopfanne und Pfefferminztee (selbst gesammelt)…
Die Sonne scheint am Morgen, es ist Gipfeltag. Wir wollen auf den Pelister (Пелистер). Die Frage ist nur – wie? Den breiten Fahrweg versperrt ein steiles Firnfeld, ohne Steigeisen wäre es Leichtsinn sich dort hoch zu mogeln. An der Hütte führt ein schmaler Pfad den Berghang hinauf, vielleicht können wir auf diesem den Schnee umgehen. Nach dem Müsli-Blaubeerbrei-Frühstück gehe ich auf Erkundungstour, Anne geht sich waschen.
Der Weg ist eine Abkürzung und schneefrei. Zurück am Zelt, kontaktiere ich auch noch das Eiswasser im Bergsee, dann geht es weiter.
Wieder laufen wir über herrliche Krokuswiesen. Nach 40 Minuten zweigt rechter Hand der Wanderweg zum Malo Ezero (Мало Езеро – Kleiner See) ab. Wir bleiben aber auf dem Fahrweg, da sich am Hang gegenüber wieder steile Firnfelder abzeichnen. Im Sattel zwischen Partisanengipfel (Партизански врв, 2349 m) und Široko stapalo (Широко стапало, 2415 m) sollte der Seeweg laut Wanderkarte wieder die Fahrstraße berühren. Tut er aber nicht! Wir suchen und suchen und gehen dann querfeldein um den Široko-Gipfel herum. Immerhin haben wir aus dem Sattel einen schönen Blick auf den kleinen Bergsee und ab und zu auch auf den Pelister.
Im Tal unterhalb des Pelister treffen wir wieder auf die Wegmarkierungen. Sie führen zurück zur Fahrstraße. Wir hätten dieser also auch folgen können. Immerhin haben wir so etwas abgekürzt. Der Wind weht wieder recht kräftig, hinter einem Felsen machen wir eine kurze Riegel- und Brausepause.
Bis zum Pelister geht es nun die Straße hinauf. Wir hätten auch zum Gipfel trampen können. Hinter uns quält sich ein Pistenraupe den Berg hinauf. Es sind Arbeiter, die zur Sendestation fahren. Der Gipfel des höchsten Berges (2601 m) ist nicht schön. Ein Gedenkstein erinnert auch hier an den Bergsteiger Dimitar Ilievski – Murato. Das Gipfelbuch fehlt. Es ist kalt und windig, immer wieder ziehen Wolken auf. Wir sehen zu wieder hinunter zu kommen.
Wir wollen nach Malovište (Маловиште/Muloviști). Auch in diesem Bergdorf sollen noch Aromunen leben. Es zieht immer mehr zu und fängt an zu regnen. Wir schlüpfen in unsere Ponchos und folgen einem Saumweg über verbrannte Erde. Jemand muss den ganzen Hang abgefackelt haben, von den Wacholderbüschen zeugen nur noch verkohlte Holzreste. An einer Quelle lässt der Regen nach. Wir essen ein paar Nüsse, füllen die Flaschen auf und stellen fest, dass wir falsch sind. Laut Karte hätte ein Weg hinunter ins Tal führen sollen. Gesehen hab ich keinen. Egal, wir können auch über den Bergkamm laufen und später nach Malovište absteigen.
Der Weg führt in einen Sattel unterhalb des Gipfels Dva Groba (Два Гроба – Zwei Gräber, 2124 m). Unterhalb der „Zwei Gräber“ scheint auch unser Wanderweg samt Markierung begraben zu sein. Eine Herde Pferde grast im Sattel, neugierig schauen sie zu uns herüber. Wir schauen auch und schauen und schauen. Unseren Weg können wir nicht entdecken. Laut GPS bewegen wir uns schon eine Weile wieder im Niemandsland. Endlich erkenne ich an einem Felsen eine völlig verwitterte Markierung. Wir folgen der Richtung, doch der Grashang führt hinab ins Tal und zum Prespa-See. Dort wollen wir nicht hin, noch nicht. Wir gehen zurück in den Pferdesattel.
Tatsächlich finden wir nach einigem Suchen einen Trampelpfad, jedoch unmarkiert. Er führt immer an der Ostseite des Berghangs entlang durch Blaubeer- und Wacholdergebüsch. Nach einer geeigneten Biwakstelle Ausschau haltend, folgen wir dem Pfad bis er sich im Gebüsch verliert. Aber nach ein paar Metern erscheint aus einer anderen Richtung wieder ein Pfad. Das geht eine ganze Weile so, bis wir unter uns eine Quelle entdecken, hier ist Schicht im Schacht! Über 8 Stunden waren wir heute unterwegs. Kaum steht das Zelt, fängt es an zu regnen. Zum Abendessen gibt es nur Nüsse und Trockenfrüchte…
Nebel und Sonnenschein wechseln sich im Minutentakt ab. Erstmal versuche ich mich mit der Zubereitung des Morgenkaffees. Da ich nun auf den Kaffeegeschmack gekommen bin und nicht wie früher Tee trinke, habe ich Annes Lebensmittelvorrat durcheinander gebracht. Der Kaffee wird früher zur Neige gehen als geplant…
Weit hinten im Tal erkennen wir schon einige Häuser von Malovište. Wie wir dort hinkommen bleibt zunächst noch unklar. Über Tierpfade erreichen wir zunächst wieder den Gebirgskamm. Leere PET-Flaschen oder verrostete Konservendosen zeugen von menschlichem Dasein.
In dichtem Nebel erreichen wir den Gipfel Golema Čuka (Голема Чука, 2179 m). Hier stoßen wir wieder auf einen durchgehenden Pfad. Aus dem Wald erschallt der Lärm einer Motorsäge. Wir halten drauf zu. Im GPS-Display erscheint ein Forstweg, etwa 200 Höhenmeter tiefer.
Die ersten Bäume tauchen aus dem Nebel auf und dazwischen werkelt ein Waldarbeiter mit seiner Säge und zwei Rückepferden. „Malovište?“ frage ich. Er zeigt nach unten. Auf einem durch Pferdehufe völlig zertrampelten steilen Rückepfad steigen wir ab und gelangen auf den Forstweg, den mir das GPS schon weiter oben vorgegaukelt hatte.
Dort begegnen wir einem weiteren Waldarbeiter, der, wie er sagt, aus Malovište kommt. Jetzt ist die Richtung klar, wir brauchen nur den Hufspuren talwärts folgen. Schlamm und Pferdescheiße führen uns schließlich ins Dorf…
Wie zum Hohn steht am Dorfanfang ein nagelneuer Wegweiser. In Malovište leben Aromunen oder auch Vlachen genannt, eine Minderheit mit lateinischen Wurzeln. Viele Aromunen leben nicht mehr in dem Dorf. Die Häuser sehen teilweise verlassen aus. Die Kirche des Heiligen Paraschiva (Св. Петка) ist verschlossen. Ein Schild am Eingang suggeriert, dass sie mir EU-Mitteln restauriert werden soll. Die Mittel sind angekommen, nur hat sich der Ort nicht wie erwartet touristisch entwickelt. Grabkreuze auf dem Kirchhof sind fast zugewuchert. Eine alte Frau deutet auf den Kirchenbau und nennt den Namen „Св. Петка“. Stolz liegt in ihrer Stimme. Der ganze Ort macht auf uns einen eher ärmlichen Eindruck. Nur am Dorfrand, an der Asphaltstraße in Richtung Kazhani (Кажани) stehen ein paar neue Häuser.
Einen Bus nach Kazhani gibt es nicht, erklärt uns eine junge Frau. Wir müssen die 4 km zu Fuß gehen.
Wir entscheiden uns nach Resen (Ресен) zu trampen. In Kazhani stellen wir uns an die Straße (laut Karte ist es eine Autobahn) und halten den Daumen raus. Eine dreiviertel Stunde tut sich nichts, dann hält ein Typ aus Bitola, der nach Resen fährt.
Resen selbst löst bei uns nicht den Wunsch aus hier länger zu verweilen. Bei einem Kaffee mit Vanillegeschmack (Cappuccino) und einem Bierchen (Skopsko) überlegen wir unser weiteres Vorgehen.
Wir entscheiden uns, erstmal für unser leibliches Wohl zu sorgen. So geht Anne in den nächsten Laden, um Chips und Rotwein zu kaufen. Derweil spricht mich ein Typ vom Nachbartisch an. „Germany?“ „Yes.“ „You are hiking?“ „Yes!“ Als ich ihm erzähle, dass unser nächstes Ziel der Prespa-See (Преспанско Езеро/Liqeni i Prespës) ist, gibt er mir einen Tipp. Wir sollten nach Stenje (Стење) fahren. Der Ort liegt an der Westseite des Sees und soll recht nett sein. Von dort könnten wir auch direkt in die Berge des Galičica-Nationalpark (Национален парк Галичица) aufsteigen. Das klingt gut! Ein Hotel soll es in Stenje auch geben.
Ein Taxi ist schnell gebucht. 500 Dinar kostet die Fahrt mit Taxi-Erdoan. Der Fahrer hat 4 Jahre in Krefeld und 5 Jahre in den USA gearbeitet. Noch zu Titos Zeiten. In einer knappen halben Stunde sind wir am Ziel. Das Hotel heißt „Riva“, die Übernachtung mit Frühstück kostet 15 Euro pro Nase. Wir buchen für zwei Nächte.
Zum Abendessen bestelle ich „Dry Fish“, in der Hoffnung etwas aus dem Prespa-See zu bekommen. Der Kellner jedoch bringt einen Teller, auf dem sich ein Berg frittierter Sprotten türmt…
Morgen wollen wir Mazedoniens einzige Insel besuchen – Golem Grad. „No Problem!“ Unser Kellner ist gleichzeitig Reisebüroprofi und will uns ein Boot samt Kapitän organisieren.
Großstadtbummel
Um 10 Uhr soll es nach Golem Grad (Голем Град – Große Stadt) gehen. Der Kellner hat noch während des Frühstückkaffees alles arrangiert. Die Fahrt kostet 50 Euro, bezahlbar direkt beim Bootsführer. Der hockt bereits in Tarnklamotten mit seinen Kumpels am Nachbartisch und genehmigt sich einen Cocktail…
Wir trinken unseren mazedonischen Kaffee, der übrigens wie türkischer Mokka schmeckt, mit dem Unterschied, dass die Tasse voll ist! Dann noch schnell Sonnencreme auf die Haut schmieren und auf zum Strand. Unser Boot steht schon bereit. Wir klettern rein, der Mann wirft den Motor an und schon weht uns eine frische Brise um die Nase.
Stenje wird kleiner und kleiner und bald ist es hinter einer Kurve verschwunden. Dafür kommen wir ins Reich der Seevögel. Haubentaucher, Kormorane, Möwen, Reiher aber vor allem Pelikane gelangen ins Sichtfeld. Anne bekommt ihre Kamera gar nicht mehr von der Nase. Es ist beeindruckend den großen Vögel zuzusehen, wie sie elegant in der Luft schweben, immer höher ziehen sie ihre Kreise, bis es nur noch winzige Punkte am Himmel sind.
Bald erscheint am Horizont Golem Grad, auch Schlangeninsel genannt. Zwei Kirchen gab es hier – St. Peter (Св. Петар) und St. Dimitrija (Св. Димитрија) geweiht. Gebäudereste eines griechischen Hauses aus dem 2. Jahrhundert vor Christus geben Einblick in die Siedlungsgeschichte der Insel. Heute leben in den uralten Wacholderwäldern auf der Insel vor allem Vögel, Schlangen und Schildkröten (z.B. die Griechische Landschildkröte – Testudo hermanni).
Kaum ist das Boot am Ufer verankert, huscht bereits eine Wasserschlange unter dem Bootsrumpf hervor. Und auf dem Weg ins Innere der Insel lagern Schildkröten am Wegesrand. Unser Bootsführer will uns eine der giftigen Vipern (Vipera ammodytes) zeigen und hebt vorsichtig ein paar Steine an. Aber vergebens, die haben sich bei der Hitze wohl in tiefere Schichten verzogen. Zum Abschluss zeigt uns der Mann noch eine Höhle.
Auf dem Rückweg schauen wir uns noch die Kirche des Heiligen Ilija (Св. Илија) an. Sie liegt unweit des Dorfes Konjsko (Коњско). Nach fast 4 Stunden erreichen wir wieder Stenje. Wir schlendern noch ein bisschen am Seeufer entlang, hocken uns ans Wasser und schauen fliegenden Pelikanen und schwimmenden Ringelnattern zu. Anschließend, im Beach-Restaurant, gab’s für Anne wieder einen Vanille-Cappuccino.
Der Tag war ein tolles Erlebnis doch jetzt brauche ich etwas Handfestes. Fischsuppe als Vorspeise hört sich schon mal nicht schlecht an. Als Hauptgericht eine Fleischpfanne und dazu einen Serbischen Salat. Ich bestelle. Bis zum Salat geht alles gut. Ich: „One Serbian salad, please.“ Der Kellner: „No – Macedonian salad.“ Ich: „Serbian salad.“ Kellner: „Macedonian salad!“ Okay, überredet. Gut, dass ich keinen griechischen Salat bestellt hatte…
Anne bekommt heute den Teller frittierter Fischchen (Нивичка), einen Berg Pommes und Knoblauch-Peperoni. Zum Nachtisch muss noch ein Rakija her. Der Traubenschnaps schmeckt recht mild im Vergleich zu ähnlichen Produkten aus anderen Balkanstaaten.
Nationalpark Galičica
Die nächste Bergetappe stand auf dem Programm. Bereits während der Fahrt nach Stenje hatten wir am Straßenrand Wegweiser ausgemacht. Von dort wollten wir unseren Aufstieg ins Galičica-Gebirge (Галичица планина) beginnen. Ein Weg führt zum Bergdorf Leskoec (Лескоец), der andere in den Pass Lipova Livada (Липова Ливада) und auf den Magaro-Gipfel (врв Магаро, 2254 m). Über den Pass führt eine Straße, die den Ohrid-See (Охридско Езеро/Liqeni i Ohrit) mit dem Prespa-See verbindet. Wir entscheiden uns für den Pass- und Gipfelweg.
Bis zu einer Wiese ist der Weg sehr gut markiert, auch gibt es ab und zu Hinweisschilder am Wegesrand. Ab besagter Wiese bleiben Markierung und Schilder verschollen. Es beginnt wieder mal eine zeitaufwändige Sucherei. Erst als wir zum wiederholten Mal den Weg ein Stück zurückgehen entdeckt Anne neben einer Quelle das rot-weiße Band.
Doch wir haben uns zu früh gefreut denn der Weg führt in den Weiler Leskoec. Die rustikale Architektur der Bauernhäuser ist zwar interessant, nur wollten wir nicht hierher. Also wieder zurück!
Am letzten Wegweiser entdecken wir tatsächlich noch einen Richtungspfeil nach Süden, der jedoch schon arg verblichen ist. Seltsam ist, dass unser Ziel, der Magaro-Gipfel auch über den Weiler ausgeschildert ist. Wir wählen trotzdem den Weg nach Süden, da ihn auch unsere Wanderkarte zeigt.
Der Weg ist markiert aber arg zugewachsen und je höher wir steigen desto beschwerlicher ist es voranzukommen. Büsche und Sträucher stehen im Weg, Äste kratzen im Gesicht. Hinzu kommt die Mückenplage. Es macht keinen Sinn eine Pause einzulegen, schon attackieren uns die Biester.
Anne geht es nicht gut, sie hat Bauchschmerzen, kämpft sich aber trotzdem tapfer weiter durch die Wildnis. Das Positive: Schwertlilien und Zitronenthymian säumen den Weg. Nach 6 Stunden und 45 Minuten erreichen wir den Pass Lipova Livada und haben ein neues Problem. Es gibt nirgends Wasser! Seit der Quelle am Weiler Leskoec gab es nichts mehr. Für heute Abend reicht es noch. Wir suchen uns etwas Abseits vom Pass ein Plätzchen für unser Zelt. Da wir mit unserem Wasser sparsam umgehen müssen, greifen wir heute auf eine Alternative zurück. In meiner Faltflasche ist noch der Wein, den Anne in Resen gekauft hatte. So gibt es Vranec trocken und Erdnüsse zum Abendessen…
Unseren Plan, dem Kamm des Galičica-Gebirges nach Ohrid zu folgen müssen wir aufgrund des Wassermangels aufgeben. So folgen wir dem Wanderweg nach Peštani (Пештани). Der Ort liegt auch am Ohrid-See. Von dort werden wir uns neu orientieren. Doch vorher lockt noch der Magaro-Gipfel. Vom Lipova-Livada-Pass führt ein Rundwanderweg über den Berg. Wir beschließen ohne Gepäck aufzusteigen. Länger als 4 Stunden werden wir sicher nicht unterwegs sein.
Punkt 8 Uhr geht es los, zuerst bergauf durch den Wald. Vorbei an Wegweisern deren Schilder nicht mehr lesbar sind, da sie vom Sonnenlicht völlig ausgebleicht wurden. In einem Sattel teilt sich der Weg. Wir wählen links über ein Plateau. Erste Firnfelder kommen in Sicht, gelbe Krokusse blühen im feuchten Gras. Bald geht es nur noch über Altschnee. Das Firnfeld ist so lang, dass bei mir schon das Gefühl aufkommt, auf einem Gletscher zu laufen. Je höher wir kommen desto stärker und kälter bläst der Wind. Dafür bietet sich eine überwältigende Sicht. Vor uns leuchtet der Ohrid-See, hinter uns der Prespa-See. Nach 2 Stunden stehen wir auf dem 2255 m hohen Gipfel.
Der Abstieg ist etwas steiler als der Aufstieg aber dafür schneefrei. Bald stehen wir wieder an der Weggabelung. Erste Wanderer kommen uns entgegen. Es sind Tageswanderer, die ihr Auto auf dem Lipova-Livada-Pass geparkt haben. Nach insgesamt 3 ½ Stunden sind wir zurück an unserem Zelt. Alles steht noch an seinem Platz…
Wir bauen ab, packen die Rucksäcke und steigen steil ein paar Meter bis zur Straße hinauf. Anfangs folgt der Wanderweg der Straße, auf dem Asphalt leuchtet die Wegmarkierung. An einer kleinen Kapelle (Св. Горги) befindet sich der Aussichtspunkt „Koritski Rid“ (Коритски Рид) mit Blick zum Ohrid-See und dem Dorf Trpejca (Трпејца). Bald verlässt der Weg die Straße und es geht steil durch den Wald hinab. Der Wegweiser im Abzweig ist wieder nicht lesbar, eine homogene weiße Fläche leuchtet uns entgegen.
Bald kreuzt der Wanderweg erneut die Straße und ein Wegweiser, diesmal aus Holz, weist hinauf zum Aussichtspunkt Koritski Rid. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich der Korita-(Корита)-Picknickplatz mit einem Brunnen! Nicht nur wir genießen erst einmal das erfrischende Nass und füllen unsere Trinkflaschen auf. Es scheint, jeder der hier vorbeikommt – egal ob Auto- oder Radfahrer – an dem Brunnen einen kurzen Stopp einzulegen. Offenbar ist es weit und breit die einzige Möglichkeit, Wasser zu bekommen.
Erfrischt können wir jetzt den Rest des Weges bis Peštani in Angriff nehmen. Es geht meist durch Laubwald und somit angenehm schattig in Richtung See. Die Wege auf dem letzten Abschnitt sind Offroad-Pisten und recht wild. Der Boden hat eine intensiv rostrote Farbe. Nach 4 ½ Stunden sind wir in Peštani. Der Wanderweg endet nicht weit vom Hotel Goldener Ring (Златен Прстен). Wir bekommen Zimmer 15 für 17 Euro mit Frühstück.
Im Restaurant Kaj Mestono (Ресторан Кај Местоно) direkt am See genießen wir nach dem Abendessen den Sonnenuntergang und ein Gewitter auf der anderen Seite des Sees bei einem Glas Stobi Chardonnay…
Schon am Morgen ist es recht heiß, der Tag wird sicher anstrengend. Wir wollen zurück auf den Kamm der Galičica-Berge. Auf dem Weg liegt das Bergdorf Elshani (Елшани). Es gibt sicher von Peštani einen direkten Weg dorthin. Leider ist weder auf unserer Wanderkarte noch auch der Adria Topo ein solcher eingezeichnet. So laufen wir zurück bis an die Wegkreuzung an der wir gestern abgebogen sind.
Ein Saumpfad führt uns vorbei an Gärten und Weinhängen ins Dorf. Ein Schäfer bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, die Schilder sind wie immer nicht lesbar. Zu den ersten Häusern an denen wir vorbeilaufen gehört auch ein Gästehaus – „Risto’s Guesthouse“ steht auf einem Schild. Doch erstmal gehen wir ins Dorf.
An der Dorfkirche gibt es Trinkwasser, am Dorfplatz auch. Hier beginnt auch ein markierter Wanderweg, der in die Berge führt. Bevor es aufwärts geht, müssen wir aber einen kurzen Besuch in Risto’s Guesthouse machen. Als Spezialität serviert uns die Dame Kornelkirschsaft (сок Дрењак) – selbstgemacht (80 MKD). Als Zugabe gibt sie uns noch eine kurze Wegbeschreibung zum Kammweg.
Anne traut der Wegführung jedoch nicht so recht, also biegen wir doch auf den offiziellen Wanderweg ab, der vom Dorf aus beginnt. Anne mit 3 Litern Wasser im Rucksack, ich mit 4 Litern. Noch zweimal weisen uns Einheimische den rechten Weg, dann klappt es endlich selbständig…
Bis fast in Kammhöhe laufen wir durch Wald. Dann wird es felsiger und auch lichter. Wir genießen die Ausblicke auf den Ohrid-See. Die roten Dächer von Peštani bilden einen schönen Kontrast zum Grün der Baumwipfel und dem blauen Wasser.
Oben angekommen, führt der Weg durch Mischwald und über Bergwiesen. Leider mit dem typischen Problem von Karstregionen – einem permanenten Wassermangel. Nicht eine Quelle haben wir bis jetzt gesehen. Dafür ein Wandererpärchen das nach Elšani will und sich freut bis jetzt niemanden außer einem Fuchs begegnet zu sein. Ich glaube wir haben die Beiden gerade in die Realität zurückgebracht.
An einer Weggabelung zweigt unser Pfad nach Norden ab und führt bergab auf eine große Wiese mit Wacholderbüschen, Bovisten, zwei umgestürzten Wegweisern (die nicht mehr lesbar sind) und zwei Schmelzwassertümpeln. Es ist zwar noch nicht so spät doch wir wollen hier biwakieren. Anne gefällt die Wiese, sie duftet so schön.
Mein rechter Fuß schmerzt. Schuld sind die Wanderschuhe, wie mir scheint. Der Schaft drückt irgendwie kurz über dem Knöchel auf eine Sehne, die mich nun heftig ärgert. Das so was bei Schuhen auftritt, die nach Maß gefertigt wurden überrascht mich…
Nach einem kurzen Spaziergang, hocken wir uns vors Zelt und Anne kocht heute Pilzpolenta mit Sojagyros. Ringsherum ziehen dunkle Wolken auf und es donnert, unsere Biwakwiese bleibt vom Gewitter jedoch verschont. Dafür plagen mich wieder die Insekten – Ameisen am Boden und Mücken in der Luft. Es ist besser den Rückzug anzutreten und sich in den Schlafsack einzuigeln…
Der Mond schien groß und rund. Es war eine schöne Wiese, sie duftete nach vielen unterschiedlichen Kräutern und war ganz weich zu laufen. Mit „Tropical Müsli“ im Bauch verlassen wir unsere Wiese. Der Weg verschwindet bald im Wald und führt nach ein paar Minuten erneut auf eine Wiese und zur Wegkreuzung Čerešnana (Черешнана). Hier sind die Wegweiser zumindest teilweise zu lesen. Immerhin erkennt man den Hauptsponsor – KfW Bankengruppe. Das Geld für den Wiederaufbau der Wegweiser schien wohl eine Fehlinvestition gewesen zu sein…
Links geht es nach Gorno und Dolno Konjsko (Горно и Долно Коњско). Auf einem Schild an einem Baumstamm wirbt ein Restaurant des Dorfes mit einer Bierterrasse. Leider müssen wir geradeaus weiter…
Heute habe ich den rechten Wanderschuh nur in Knöchelhöhe zugebunden und es läuft sich deutlich besser. Wir wollen bis Rača (Рача) und von dort mit einem Bus nach Ohrid (Охрид) fahren. Kurz vor dem Bergdorf Velestovo (Велестово) zweigt ein Weg ab und führt nach unten zu einer Klosterkirche. Eine Gruppe Ziegen kommt uns entgegen. Als wir ihnen zu nahe kommen, springen sie den Berghang hinauf und schauen uns neugierig hinterher. Vom Weg haben wir eine schöne Sicht auf Ohrid und den See.
Erst als wir die Straße von Ohrid nach Velestovo erreichen wird uns klar, dass wir den Abzweig nach Rača verpasst haben. Da Ohrid nun zum Greifen nahe liegt, beschließen wir weiterzulaufen. Auch für Ohrid hatte ich daheim ein Hotel als Wegpunkt im GPS definiert. Ich lade ihn und wir lassen uns die letzten Kilometer von der Technik führen.
Am Hafen versucht man uns Bootstouren zu verkaufen. „How about an alpine boat trip?“ witzelt einer der Seeleute, als wir mit unseren Rucksäcken vorbeilaufen…
Das Hotel Aleksandrija (Хотел Александрија) ist ausgebucht. Das Restaurant Porta (Порта) nebenan vermietet auch Zimmer. Ein großes Interesse an Gästen scheint jedoch nicht zu bestehen. Wir warten doch nicht eine Ewigkeit auf den Manager, um dann über 50 Euro für ein Zimmer ohne Frühstück zu zahlen. Also gönnen wir uns erst einmal etwas Kaltes, es ist heiß und wir sind müde.
Am „Kej Maršal Tito“ (Кеј Маршал Тито) – ähm nein – jetzt: „Kej Makedonija“, (Кеј Македонија), versuchen wir es im Hotel Nova Riviera. „54 Euro mit Frühstück“ so die Dame an der Rezeption. „Und wenn wir drei Nächte bleiben?“ frage ich. Sie denkt kurz nach: „50 Euro!“ Wir buchen.
Auf dem Basar ist mehr los als in Bitola. Es wimmelt nur so von Touristen, viele kommen aus Holland. Im Restaurant Adana (Ќебапчилница Адана) lassen wir uns von einem Mazedonier der perfekt deutsch spricht überreden und essen etwas. Der junge Mann hat eine Zeit lang in Rostock gelebt.
Zur blauen Stunde machen wir es uns am See auf der Terrasse des Restaurants Kaneo Beach (Ресторан Плажа Канео) wieder bei einem Glas Chardonnay (180 MKD) gemütlich. Am Tisch gegenüber diskutieren Deutsche über die syrischen Flüchtlinge und die AfD…
Ohrid
Die Sache mit den Bootsfahrten hat uns keine Ruhe gelassen. Am Hafen wurden Fahrten zum Kloster St. Naum (Св. Наум) für 10 Euro pro Person (retour) angeboten. Zehn Uhr morgens ist Abfahrt. Viertel vor zehn sitzen wir auf dem Deck der „Aleksandrija“ (Александрија).
Die Fahrt dauert knapp 1 ½ Stunden und führt dicht am Ostufer des Sees entlang. Bekanntes und Neues zieht an uns vorbei. Peštani mit seinem Restaurant am See aber auch wilde Uferabschnitte mit Felsen und dichtem Bewuchs.
Das Wasser schimmert blaugrün und ist recht klar, stellenweise können wir bis zum Grund schauen. Kaum zu glauben, dass der See eine Tiefe von 300 m erreicht und 5 Millionen Jahre alt ist.
Kleine Fischschwärme flitzen im Sonnenlicht hin und her. Sind es Plašica-Fische (Плашица – Alburnus sp.)? Diese kleinen Fische, deren Bauchschuppen zur Herstellung der Ohrid-Perlen benutzt werden. Es gibt sie zuhauf, die Läden in der Innenstadt mit ihren Perlenketten in den Schaufenstern. Viele Perlen sind Imitationen, billiger Plastikkram, doch es gibt auch die echten. Importiert aus dem Indischen Ozean und in Ohrid mit der geheimen Substanz aus den Fischschuppen veredelt, um den besonderen unverwechselbaren Glanz zu erhalten.
Von weitem zeigt sich das Kloster Naum auf einem Hügel über dem See. Wir sind am Ziel. Seinen Namen verdankt es dem Heiligen Naum (Св. Наум), einem Schüler der Slawenapostel Kyrill (Кирилъ) und Method (Методиј), der das Kloster Ende des 9. Jahrhunderts gründete und dort auch begraben ist. Wie seine beiden Lehrer war auch der Mönch Naum an der Entwicklung und Verbreitung der kyrillischen Schrift beteiligt.
Die heutigen Mönche entwickeln eher handfeste Dinge. Auf dem Klosterbesitz befinden sich ausgedehnte Obstplantagen – Äpfel, Pfirsiche oder Zwetschgen. Am Klostereingang wird der Besucher zum einen darauf hingewiesen, wie er sich zu kleiden hat, wenn er das Kloster betritt und zum anderen, dass Pfaue beißen können. Denn auf dem Klostergelände leben zahlreiche Pfaue, die nicht zu überhören sind.
100 MKD kostet der Eintritt ins Kloster pro Person. Wir bekommen jeder eine gelbe Kerze, die wir in einem rußgeschwärzten Becken entzünden können.
Anne bemerkt, dass viele der umliegenden Gebäude 2005 erneuert wurden. Eine kurze Zeit nach den ethnischen Auseinandersetzungen in Mazedonien…
Im Restaurant Ostrov essen wir eine Kleinigkeit: Fischsuppe (170 MKD) und Ostrovo-Salat (220 MKD). Die zweite Attraktion in Sveti Naum sind die Ohrid-Quellen, Karstquellen aus dem Galičica-Gebirge. Sie sprudeln aus dem Bergmassiv hervor und bilden kleine Seen auf denen Touristen mit Ruderbooten gefahren werden. Als breiter Bach strömt das Wasser von den Seen in den Ohrid-See. Angeblich stammt das Wasser der Quellen aus dem 200 m höher gelegenen Prespa-See…
Um 15 Uhr fährt unser Schiff zurück nach Ohrid. Über den Bergen am Westufer des Sees auf albanischer Seite gehen wie vorgestern Gewitter nieder. Bei uns scheint die Sonne.
Zurück in Ohrid lernen wir bei einem Besuch der Touristeninformation Misho Yuzmeski kennen. Er hat einige Bücher über die Region geschrieben, unter anderem auch eins über den holländischen Schriftsteller und Journalisten A. deen Doolaard. Wir hören den Namen zum ersten Mal. Er hat den Balkan, insbesondere Mazedonien von den 30ern bis in die 80er bereist und viel darüber geschrieben. Der Mann soll in Holland sehr bekannt sein. Das ist auch der Grund weshalb hier so viele holländische Touristen sind, sagt uns Herr Yuzmeski.
Anne kauft das Buch über den holländischen Schriftsteller, es ist in Englisch. Der Tag neigt sich dem Ende entgegen, Zeit fürs Abendessen und das wird der Region entsprechend ausgewählt. Im Kaneo Beach bestellen wir Ohrid-Forelle! Das Stück 1400 MKD rund 23 Euro! Die Bestände der Ohrid-Forellen im See sind mittlerweile stark zurückgegangen, deswegen wird er gezüchtet. (Ich hatte schon ein schlechtes Gewissen und warf mir Dekadenz vor.) Der Fisch ähnelt äußerlich einer Forelle, innen einem Lachs. Sein Fleisch ist ganz rot und er schmeckt lecker! Das finden auch die umherstreifenden Straßenkatzen und belagern im Halbkreis unseren Tisch…
Zur blauen Stunde und bei Vollmond besuchen wir zum Tagesausklang Ohrids meist fotografiertes Bauwerk – die Kirche des heiligen Johannes von Kaneo (Црква Свети Јован Канео) (100 MKD).
Heute steht Sightseeing in Ohrid auf dem Programm. Das heißt viele frühchristliche Basiliken und Kirchen auf engstem Raum. Das Fort von Samuel, römische Überreste und vieles mehr. Es ist unglaublich wie viele Gebäude sich aus unterschiedlichen Epochen hier auf engstem Raum ballen. Und vieles ist noch gut erhalten und gut saniert. Dazwischen wandert man durch kleine Gässchen und Fußwege, kleine Wäldchen mit wilden Blumen wie Malven und Mohn. Die Stadt ist eine kleine Perle.
Wir beginnen mit der Sophienkathedrale (Света Софија) – (100 MKD). Hier wurde 1967 die kirchliche Eigenständigkeit (Autokephalie) der mazedonisch-orthodoxen Kirche erklärt. Infolge dessen wird die Kirche Mazedoniens von der restlichen orthodoxen Ökumene (Griechenlands und Serbiens) nicht anerkannt. Gemeinsamkeiten zwischen Staat und Kirche sind rein zufällig…
Anne, als ehemalige Studentin der Kunstgeschichte, erklärt mir den Kirchenbau. Im Innern der Kirche befinden sich schöne Fresken, und vier weitere Touristen. Einer fotografiert unterm Fotografierverbot, die andere reist die Kircheneinrichtung um…
Sehr zu empfehlen ist der Maulbeerbaum im Kirchhof. Die Äste hängen weit nach unten, sodass man bequem an die reifen Beeren kommt…
Jetzt geht es bergauf durch ein Wäldchen mit lila blühenden Malven und rotem Mohn über den Felsen, die Steil zum Ufer des Sees abfallen. Der nächste heilige Ort, den wir besuchen, ist die Ausgrabungsstätte Plaošnik (Плаошник) – (100 MKD) mit der Klosterkirche St. Kliment und Panteleon (Црква Свети Климент и Пантелеjмон). Plaošnik ist eine Baustelle. Hier soll wieder eine Universität errichtet werden. Jetzt blüht noch roter Mohn zwischen ionischen Säulen und den Fundamenten einer frühchristlichen Basilika. Am Rande des Areals steht ein muslimisches Grabmahl – Sinan Ҫelebi 898/1493 steht drauf. Leider wissen wir nicht wer der Mann war, der dort begraben liegt. Bereits zwei Mazedonier boten sich uns als Kirchenführer an. Wir schauen uns aber lieber nur etwas um und genießen die Sicht auf den Ohridsee.
Ganz in der Nähe Plaošniks befindet sich die Festung – (60 MKD), unser nächstes Ziel. Zar Samuel lies die Festung im 11. Jahrhundert auf dem Hügel der Stadt errichten als Ohrid kurzzeitig zum bulgarischen Reich gehörte. Hier erwartet uns eine lohnende Rundumsicht.
Von der Festung geht es hinab in die Altstadt von Ohrid durch ein Stadttor und auf Kopfsteinpflaster erreichen wir die Kirche des Heiligen Konstantin und Helena (Црква Свети Константин и Елена). Sie ist verschlossen und auf dem Gehweg zur Kirche leben Giftschlangen! Das Vieh vor meinen Füßen ist so schnell im Gras verschwunden, dass ich nicht mal sagen kann wie giftig die war…
Nun haben wir genug von Kirchen! Wir steigen hinunter zum Hafen und hocken uns am Stadtplatz unter die Sonnenschirme eines Cafés. Bei Skopsko (90 MKD) und Schweppes (80 MKD) beobachten wir dickbäuchige, blumenhosige und andere Gestalten und unterhalten uns mit einem mazedonischen Australier.
Mit Schweinesteak und Aleksandrija Cuvée (rot) lassen wir den Tag im Restaurant Belvedere ausklingen. Unser Resümee: Ohrid ist eine schöne Stadt und es war sicher nicht unser letzter Besuch…
Via Egnatia und Jablanica-Berge
Wir verlassen Ohrid nach einem ausgiebigen Frühstücksbuffet. Wir verlassen es nicht irgendwie. Nein, ganz zur Region passend wollen wir der Via Egnatia, der alten römischen Handelsstraße, nach Struga (Струга) folgen. Ich hatte mir daheim extra einen Track auf mein GPS geladen.
Das aus der alten Römerstraße heute eine viel befahrene Asphaltstraße geworden ist, ist ernüchternd. Wir beginnen unsere Wanderung an einem Schild neben unserem Hotel mit der Aufschrift: „Римски пат Via Egnatia – Антички град Лихнид“ (Römerstraße Via Egnatia – Antike Stadt Lychnidos). Lychnidos – „Stadt des Lichts“ wurde Ohrid in der Antike genannt. Dann lassen wir uns von unserem GPS führen, durch die Altstadt von Ohrid, über den Festungshügel hinab zum muslimisch geprägten Teil der Stadt und hinaus auf die Straße nach Struga. Erst ist es ganz interessant durch das nicht so touristisch herausgeputzte Ohrid zu laufen, aber als wir auf der vielbefahrenen Straße landen wird es nervig. Es ist heiß und die Autos rasen gefährlich nah an einem vorbei.
Eine Weile laufen wir am Straßenrand aber irgendwann wird es uns zuviel, wir halten den Daumen raus. Wir brauchen nicht lang warten bis jemand hält. Allerdings geht es nur bis zum Krankenhaus etwa einen Kilometer hinter der Stadt. Von hier ist es nicht weit zu den Höhlenkirchen des Heiligen Erasmus (Пештерска црква Свети Еразмо) und der Heiligen Ekaterina (Пештерска црква Света Екатерина). Die Erasmuskirche ist zu und auch die Ekaterinenhöhle können wir nur durch die Gitterstäbe inspizieren. Immerhin gibt es neben der Schnellstraße eine heilige Erasmusquelle an der wir unseren Wasserbedarf befriedigen können. Kurz hinter der Quelle haben wir ein zweites Mal Glück. Ein Ehepaar mit Enkelin nimmt uns mit bis nach Struga.
Wir sind schneller als geplant an unserem Ziel. Auch Struga ist ganz nett, wenn auch nicht so herausgeputzt. Bei Bier und Schweppes planen wir die nächsten Schritte. Hinter Struga erhebt sich das Jablanica-Gebirge (планината Јабланица) und am Fuß der Berge das Dorf Vevčani (Вевчани) – genau dort wollen wir hin. Ob es einen Bus gibt finden wir leider nicht heraus. Fahrpläne fehlen und so wirklich weiß auch niemand Bescheid. Die Orte sind in kyrillisch auf die Busse geschrieben und es dauert eine Weile bis man sie schnell genug lesen kann. Das nutzen die privaten Fahrdienste aus. So war es auch bei uns. Ein junger Mann behauptet, dass kein Bus nach Vevčani fährt, aber er könne uns hinbringen – 400 MKD (6,50 EUR) will er dafür. Immerhin spricht der Typ etwas deutsch, weil er Verwandtschaft in Deutschland und Österreich hat. Wie so viele in Mazedonien. Mit Deutsch kommt man hier am besten durch.
Und so erfahren wir, dass Vevčani ein besonderes Dorf ist. Schon am Abzweig von der Hauptstraße fahren wir durch eine Art Tor mit der Aufschrift: „Вевчани“.
„Wir sind nun in der Republik von Vevčani“ erklärt uns der Fahrer. Natürlich ist die Republik Vevčani (Република Вевчани) kein neues Land auf dem Balkan, sondern dazu da, Touristen in die Region zu locken. Aber immerhin gibt es eigene Pässe und eine eigene Währung. Jedes Jahr im Januar findet in dem Dorf Karneval statt. Mit Masken ziehen die Dörfler durch die Straßen. Die wichtigste Tugend der Besucher zu dieser Zeit sollte eine gewisse Trinkfestigkeit sein, erzählt unser Fahrer. Wir sind sozusagen im Mazedonischen Rheinland angekommen…
Die lokale Küche soll hier recht gut sein, so führt uns der Weg erstmal ins nächste Restaurant – Domakjinska Kukja (Ресторан Домаќинска куќа). Es gibt Quellwasser, Gurkenjoghurt (Таратур) (140 MKD) und hausgemachte Bratwürste (300 MKD).
Schwieriger gestaltet sich dagegen die Zimmersuche. Der Kellner empfiehlt uns die Villa od Alula (Вила од Алула). 2400 MKD (40 EUR) soll ein Zimmer kosten. Dort gibt es jedoch keine Zimmer. Wir sollen kurz warten, es würde jemand kommen, der weiter unten am Fluss Zimmer vermieten würde.
Wir warten und warten und warten aber es lässt sich niemand blicken. Schließlich haben wir die Faxen dicke, wir schultern unsere Rucksäcke, füllen am Dorfbrunnen noch mal unsere Trinkflaschen auf und laufen in Richtung Berge.
Weit kommen wir nicht, an einem Kassenhäuschen sollen wir 20 MKD Eintritt zahlen. „Erheben die hier Wegezoll?“ frage ich mich. Doch unser Wanderweg führt über das Gelände der „Vevčani Quellen“ (Вевчански Извори) – Karstquellen die aus einer Höhle am Fuß der Jablanica-Berge hervorsprudeln.
Der Wanderweg führt auf der anderen Seite des Vevčani-Bachs steil bergan durch Wald. Wir folgen ihm bis zu einer Wiese unterhalb von Jankov Kamen (Янков Камен), einer weiteren Karstquelle.
Nach dem Abendessen ist Zeit um die Erlebnisse des Tages in meinem Tagebuch festzuhalten. Doch der Beutel mit dem Tagebuch ist nicht im Rucksack, ich suche und suche, kann aber nichts finden. Blöderweise ist in dem Beutel auch mein Interrailticket! Ich muss beides unten in Vevčani vergessen haben, als wir essen waren. Dort hatte ich mein Tagebuch und den Fahrschein zuletzt in den Fingern gehabt. Ich bin mir nicht sicher, was für mich der größere Verlust ist. Mir wird nichts weiter übrig bleiben, als morgen früh wieder ins Dorf abzusteigen…
Ich hatte schlecht geschlafen, schon im Morgengrauen suche ich meine Klamotten zusammen, um abzusteigen. Als ich meine Isomatte beiseite schiebe, leuchtet mir die Tüte mit Fahrschein und Tagebuch entgegen…
Vermutlich hatte ich deshalb so schlecht geschlafen. Der Stress ist augenblicklich vorbei und nach dem Frühstück können wir unseren Weg wie geplant fortsetzen.
Der Weg führt weiterhin bergauf bis in das Bergdorf Gorna Belica (Горна Белица). Wie Malovište ist Gorna Belica ein aromunisches Dorf, sein vlachischer Name war Bela di Supra.
Mit einer Höhe von 1450 m ist es eines der höchstgelegenen Dörfer Mazedoniens. Die Bewohner waren Bergbauern und Hirten und das Dorf war im 18. Jahrhundert ein wichtiges Handelszentrum. Hier gründete Ende des 9. und Anfang des 10. Jahrhunderts der Heilige Kliment von Ohrid (Св. Климент Охридски) seine erste Schule, in der er unter Anderem die von ihm mitentwickelte Schriftsprache, das Altkirchenslawisch, lehrte.
Gorna Belica wurde zu einer Feriensiedlung mit neuen Häusern umgebaut. Da wir außerhalb der Saison sind, treffen wir nur wenige alte Dorfbewohner an, die offensichtlich die Häuser für den Sommeransturm herrichteten.
Auf einer Infotafel sind Wanderwege in den Jabalnica-Bergen aufgeführt. Blau markiert: Višni (950 m) – Tri Silka (1950 m) – Čumin Vrv (2125 m) – Krstec (1900 m) – Crn Kamen (2257 m) – Labuništa (850 m), Gelb markiert: Radolišta (750 m) – Višni (950 m) – Čumin Vrv (2125 m) und Rot markiert: Vevčani (850 m) – Gorna Belica (1450 m) – Krstec (1900 m) – Crn Kamen (2257 m) – Vevčani (850 m).
Wir entscheiden uns erst einmal für den rot markierten Weg. Vom Dorf haben wir eine schöne Sicht hinab zum Ohridsee. Leider ist es etwas diesig. Kurz hinter dem Dorf teilt sich der Weg. Links geht es zum Čumin Vrv (Чумин врв), wir folgen dem roten Weg zum höchsten Berg des Massivs, dem Crn Kamen (Црн камен – Schwarzen Stein).
Ab etwa 1700 m tritt der Wald zurück und somit auch die Mücken. Wir betreten ein alpines Hochtal. Zum ersten Mal sehen wir Schachbrettblumen und leider auch noch viele Firnfelder. Auf dem Weg zum Gipfel des Crn Kamen müssen wir deswegen Umwege in Kauf nehmen. Vom Hauptkamm sehen wir unter uns den Bergsee Vevčanska Lokva (Вевчанска Локва) in der Sonne funkeln. Eine Gruppe Wanderer tief unter uns. Hinunter kommen wir nicht aufgrund der steilen Firnfelder. Den Gipfel erreichen wir zur Mittagszeit. Da von Albanien her dunkle Wolken aufziehen und es in der Ferne donnert, bleiben wir nicht lang.
Wir folgen dem Kamm weiter zum nächsten Bergsee, dem Podgorecko Ezero (Подгорецко езеро). Wieder zwingen uns die Firnfelder zu Umwegen. Querfeldein laufen wir in großem Bogen zum See. Hier bleiben wir. Anne geht im See baden ich laufe drumherum auf der Suche nach Trinkwasser und einem geeigneten Biwakplatz.
Oberhalb des Sees sprudelt eine Karstquelle aus dem Berg. Unser Zelt bauen wir wind- und sichtgeschützt hinter einem Felsen auf, dann gibt es den obligatorischen Nachmittagskaffee…
Dass wir an einer viel begangenen Route biwakieren merken wir bald. Vom gegenüberliegenden Pass kommt ein Mann mit einem kleinen drahtigen Pferdchen den Berg hinab. Das Pferd ist voll bepackt mit Säcken. Neugierig schaut der Typ zu uns hinüber, geht am See vorbei und macht oberhalb des Westufers eine längere Pause. Nach einer Weile steigt er auf zum Hauptkamm in einen Sattel und verschwindet in Richtung Albanien. Es dauert nicht lang und die nächsten Reiter traben auf ihren Pferdchen heran, alle vollgepackt. Durch die grauen Säcke auf den Holzsätteln schimmern gelbe Plastiktüten. Auch sie erklimmen schnurstracks den Hauptkamm und verschwinden in Albanien. Nennen wir sie mal „Händler“, so biwakieren wir offensichtlich an einer wichtigen albanisch-mazedonischen Handelsroute – Via Albanica…
Als es zu dämmern beginnt haben wir endlich Ruhe. Wir löffeln unsere Marokkopfanne und trinken Pfefferminztee (selbst gesammelt). Morgen wollen wir weiter über den nächsten Pass im Norden und von dort absteigen, in der Hoffnung in Labuništa (Лабуништа) wieder in die Zivilisation zu gelangen.
Anne wäre noch gern am See geblieben. Es ist auch ein schönes Eckchen diese Jablanica-Berge. Doch wir folgen unserem Plan und steigen über den nächsten Pass hinab zum Labuništer See (Лабунишко езеро). Eigentlich befinden sich in dem Bergkessel zwei Seen. Der erste scheint jedoch nur zur Schneeschmelze Wasser zu führen. Im Moment hat er jedenfalls soviel Wasser, dass unser Weg mitten durch den See führt und wir gezwungen sind im Bogen drumherum zu laufen. Eine Schneebrücke bedeckt den Abfluss des Sees und trägt auch dicke Wanderer…
Ab dem See führt eine Fahrstraße ins Tal, die aufgrund von Restschneefeldern noch nicht befahren wird. Es geht vorbei an Labuniško Bačilo (Лабунишко Бачило), einer Hirtensiedlung und Lenšita (Леништа) einer Feriensiedlung wie es aussieht.
Nun folgt ein nicht enden wollender Abstieg auf der Schotterpiste. Die Sonne brennt, die Füße auch bald. Die ersten Menschen treffen wir kurz vor Labuništa. Es sind Wanderer und einer von ihnen ist ein mazedonischer Schweizer, der schon ordentlich schwitzt. Immerhin hat er den längsten Teil des Aufstiegs noch vor sich. Jetzt, nach vierzig Jahren Arbeit in der Schweiz, wollte er sein Land entdecken. Er war begeistert, wir konnten es nur bestätigen: Mazedonien ist ein schönes Land mit unglaublich schöner Natur und wechselvoller Geschichte.
Der Abstieg war lang und mühsam und es ist sehr heiß. Da kommen uns viele Fantasien nach gutem Essen, Bier und anderen kühlen Getränken. In Labuništa, einem Dorf mit überwiegend mazedonischen Muslimen, sogenannten Torbeschen, ist jetzt an einem Vormittag im Fastenmonat Ramadan nichts los. Alle Cafés sind geschlossen. Auf dem Dorfplatz weht die albanische Flagge. Vor einem Laden hocken ein paar Männer im Schatten stumm, ohne Getränke, wartend. Einer begrüßt uns auf Deutsch: „Hallo“. Wir kommen ins Gespräch. Der Mann arbeitet schon seit 13 Jahren in Deutschland, in einem Gestüt bei Stuttgart als Hufschmied.
„Aber die Syrer, Merkel gut, Deutschland gut, aber in Österreich verdient man mehr.“ Auch in diesem mazedonischen Bergdorf weiß man, dass Deutschland mittlerweile zu einem Niedriglohnland verkommen ist – zumindest für gute einfache Arbeit. Wir könnten uns hier etwas zu trinken kaufen. Wir kaufen Schweppes. Außerdem würde gleich ein Bus nach Struga abfahren. Leider lehnen wir es ab, da wir nach Debar wollen und das ist gerade die andere Richtung und dieser Bus fährt von der Hauptstraße. „12:20 Uhr“ sagt der Hufschmied.
Also weiter geht’s durch den Ort und noch drei Kilometer zur Hauptstraße. Im Dorf sitzen viele Leute am Wegesrand, manche grüßen uns ungefragt auf Deutsch, denn irgendeiner in der Verwandtschaft arbeitet immer im deutschsprachigen Raum. Labuništa scheint ein sehr wohlhabendes Dorf zu sein, überall stehen neue Häuser, manche sind schon verputzt, andere unverputzt, wenige noch Rohbauten. Eine große blaue Moschee befindet sich in der Mitte. Alles sieht sehr gepflegt aus, ganz anders als in Malovište oder Vevčani.
Die Sonne meint es wirklich gut heute und der graue Asphalt unterstützt sie noch. Anne sinkt erschöpft in den Schatten eines Baumes als wir endlich die Hauptstraße erreichen. Die Zeit ist reif aber es kommt kein Bus, zumindest keiner der nach Debar fährt.
Wo die Straße aus Vevčani auf die Hauptstraße mündet ist ein Bushäuschen. Eine Frau mit vier Taschen buckelt über die Straße, sie will nach Struga. Der Bus kommt und fährt frech an der Dame vorbei. Ein Bus nach Debar kommt nicht. Wir beschließen mit dem nächsten Bus ebenfalls nach Struga zu fahren. Auch der wäre uns fast vor der Nase weggefahren.
Der Fahrer will kein Geld, wir sollen uns hinten hinsetzen. In Struga bezahle ich, 20 Dinar kostete die Fahrt.
Jetzt brauchen wir erstmal eine Erfrischung. Wir treffen auch unseren Taxifahrer wieder. Er ist sich nicht sicher, ob heute am Sonntag ein Bus nach Debar fährt. Er nennt uns die Zeit. Wir hocken uns an den Straßenrand und schauen bei jedem Bus der hält nach dem Fahrziel. Ein Bus nach Debar kommt nicht! Schließlich fahren wir mit dem Taxifahrer zum Busbahnhof. Das kostet fünfmal soviel, als die Fahrt von Labuništa nach Struga!
Noch eine Stunde am Busbahnhof warten, um 17:20 Uhr kommt der Bus. Es ist eine schöne Strecke entlang des Schwarzen Drin und dem Debarsee (Дебарско езеро). Frauen in traditioneller Kleidung steigen zu. In Debar (Дебар/Dibër) steigen wir aus. Ein älterer Herr mit Takke (Gebetsmütze) führt uns zum Hotel „Venec“ (Хотел Венец). Dann Duschen, Waschen und Einkaufen für unsere nächste Wanderung, bevor alles schließt. Kurz nach acht, der Muezzin ruft, die Trommeln schlagen, es darf gegessen werden. Die Stadt wirkt gespenstig, die Straßen sind leer, Cafés zu. Wenige Restaurants sind offen. Die Bedienung ist chaotisch, wir trauen uns nicht Wein zu trinken. Nach dem Essen ist die Straße wieder belebt, die Cafés und Geschäfte wieder offen. Wir kaufen noch eine Flasche Wein und gehen ins Hotel.
Nationalpark Mavrovo
Heute beginnt unsere vorläufig letzte Wanderung. Von Debar aus wollen wir in den Mavrovo-Nationalpark (Национален парк Маврово). Genauer gesagt, ins Dešat- und Korab-Gebirge.
Zum Frühstück esse ich Kuttelsuppe. Suppen sind zum Frühstück in Mazedonien üblich und die Suppe schmeckt mit etwas Essig fast wie in Rumänien. Eine Schüssel griechischer Salat und Annes zweites Omelett runden das Mahl ab. Den zweiten Kaffee müssen wir zahlen, die Übernachtung auch.
Seltsamerweise sind jetzt die Cafés voll und die Menschen trinken Kaffee und Wasser. Na ja, wie kann man das verstehen. Ich mache noch ein Foto vom Denkmal für Georg Kastriota, besser bekannt als Skanderbeg, der hier im Tal des Schwarzen Drin im 15. Jahrhundert den Murads und Mehmets das Leben schwer machte, dann geht es endlich los…
Eine schmale Straße führt hinauf zum Berg Bajrak (Бајрак, 1813 m). Zum Glück gibt es unterwegs ausreichend Wasser. Bereits an der Straße kommen wir an 4 Quellen vorbei! Ab dem Bergdorf Tatar Elevci (Татар Елевци) folgen wir einem Bergpfad. Markierungen gibt es nicht aber wir haben einen GPS-Track aus dem Internet, der uns nun führen soll.
Immer wieder bietet sich eine schöne Aussicht auf Debar und den Stausee. Weiter oben wachsen Champignons auf den Bergwiesen. Ein Hirte mit seinem Esel, der Feuerholz trägt, kommt uns entgegen.
Der Pfad ist gut zu erkennen und Abzweige hat jemand mit Plastikflaschen markiert, die an Ästen stecken. Bei der nächsten Quelle entscheiden wir uns zu bleiben. Ich suche eine geeignete Stelle zum Biwakieren und finde sie auf dem Gipfel des Bajrak. Bis zur Quelle sind es 10 Minuten. Wir füllen noch mal alle Flaschen auf und steigen die letzten Meter nach oben. Die Sicht ist phantastisch! Im Norden die ersten 2000er des Nationalparks im Osten Berge soweit man sehen kann und tief unter uns im Tal Dörfer mit Moscheen. Winzig sehen sie aus von hier oben. Der Kuckuck ruft und Fliegen summen um Annes Spirituskocher.
Über das Gipfelplateau ziehen sich Gebilde, die an Stellungsgräben erinnern. Später lese ich, dass es sich tatsächlich um Stellungsgräben handelte, noch aus der Zeit der Balkankriege vor dem Ersten Weltkrieg.
Bevor wir aufbrechen, gehe ich zur Quelle, um unsere Trinkflaschen zu füllen. Leider sind auf meinem GPS-Track keine Wasserstellen vermerkt. Ein Hirtenhund schnüffelt im Wald und trollt sich als er mich kommen sieht.
Bereits um 8 Uhr stapfen wir wieder bergwärts. Steil führt der Weg den Berghang hinauf. Bald liegt der Wald unter uns. Kahle Felsgipfel markieren die Grenze des Nationalparks. Zwischen bleichen Kalkblöcken sehen wir einen Mann. Er sucht oder sammelt etwas. Als wir bei ihm sind zeigt er uns seine Ausbeute. Er sammelt Schlüsselblumen (Primula veris). Ein Stoffsack hängt vor seinem Bauch, schon fast voll. Schlüsselblumentee soll gut gegen Erkältungen sein, erklärt mir Anne.
Auf unserer Wanderung werden wir noch häufig Schlüsselblumensammlern (SBS) begegnen. Meist kommen sie aus Albanien und sammeln hier in den mazedonischen Bergen die Blumen.
Ein Stück hinter dem SBS entdecken wir noch etwas. Rot-Weiß leuchtet uns eine Wegmarkierung entgegen, der Wanderweg kommt aus dem Tal. Ab jetzt folgen wir wieder der Markierung bis in einen großen Talkessel. Auch hier sind SBS unterwegs, diesmal zu Pferd.
Ein Wegweiser zeigt zum Großen-Krčin-Gipfel (Голем Крчин Врв, 2341 m) und talwärts nach Bituše (Битуше). Der GPS-Track umgeht jedoch den Gipfel auf unmarkiertem Pfad. Uns ist es recht, denn der Aufstieg sah recht steil aus. Wir erreichen nach etwas Kraxelei einen Saumpfad und auch wieder die Markierung.
Nun geht es immer unter der Kammlinie nordwärts. Erste Firnfelder bedecken den Weg. Die Schneefelder werden immer größer und steiler. Vorsichtig trample ich Tritte in den Schnee. Ausrutschen sollte man jetzt nicht! Anne wartet bis ich wieder auf dem Pfad stehe und kommt vorsichtig nach. Sie wirkt unsicher. Immer wieder fragt sie mich, ob sie alles richtig macht. Endlich ist sie wohlbehalten auf der anderen Seite des Schneefelds. Schon nach der nächsten Wegbiegung erwartet uns das nächste Schneefeld. Bei Nummer vier haben wir die Schnauze voll und drehen um. Wir hätten doch Steigeisen einpacken sollen, geht es mir durch den Kopf. An einer Stelle wo die Hangneigung nicht so stark ist steigen wir ab und umgehen im großen Bogen die Rinnen mit den Schneefeldern. Querfeldein erreichen wir wieder den Weg. Jetzt ist es nicht mehr so steil und die kommenden Schneeflächen machen keine Probleme mehr. In einem Pass glitzert ein Bergsee im Sonnenlicht. Ab dem nächsten Pass laufen wir wieder ohne Wegmarkierung.
Unter dem Velivar (Веливар) oder auch Veli-Vrv (Вели-Врв), mit 2373 m höchster Berg des Massivs, bauen wir unser Zelt auf. Wasser haben wir genug. Zwei Bächlein sprudeln neben unserem Biwakplatz zu Tal. Kaum steht das Zelt, fängt es an zu regnen und kaum regnet es, ziehen wieder albanische „Händler“ mit voll beladenen Packpferden an unserem Lagerplatz vorbei…
Das Wetter weiß nicht so recht, wie es sich am Morgen entscheiden soll. Zwischen grauen Wolken leuchtet vereinzelt blauer Himmel durch. Schon nach etwa 150 m erwartet uns in einem Pass wieder Schnee. Die Pferde haben links davon eine Spur gelegt. Wir nutzen sie auch.
Im nächsten Talkessel sammelt wieder jemand Schlüsselblumen. Er ist neugierig und will wohl wissen wohin wir gehen. „Rabdisht?“ fragt er und zeigt nach Westen. Der Ort liegt in Albanien. „Zhirovnica?“ Da wollen wir auch nicht hin auch wenn von hier ein markierter Weg hinabführt. „Mavrovo“ sage ich. Er behauptet Polizist zu sein und bietet uns Schlüsselblumen zum Kauf an. Wir wollen auch keine Schlüsselblumen kaufen und bleiben auf dem Kammweg.
Die Wegmarkierung führt kurz vor dem Ende des Talkessels nach Albanien, unser Track führt aber weiter in einen Pass. Dort quert erneut ein markierter Weg die Berge. Wir machen Mittagspause. Ein Wegweiser zeigt zu einem Plocha-Gipfel (Плоха, 2283 m) und nach Zhirovnica (Жировница).
Im nächsten Talkessel queren wir mehrere Lawinenfelder. An einer Stelle liegen mannshohe Schneebrocken am Boden. Steinschlag ist mir ein Begriff, dass es auch Schneeschläge gibt war mir neu. Die Brocken sind von einem großen Schneefeld über uns einfach abgerissen und den Berg runtergerollt.
Wir erreichen einen Pass. Der Wanderweg führt weiter nach Albanien, unsere Route folgt nun fast weglos unterhalb einer Felswand über Gras und Geröll. Eine kleine Kreuzotter attackiert wütend meinen Trekkingstock, als ich sie stupse damit sie sich vom Wanderweg trollt. Der Weg wird immer unscheinbarer je höher wir steigen. An einem Geröllhang ist er nicht mehr auszumachen. Laut GPS müssten wir der Höhenlinie folgen. Das ist jedoch nicht möglich, da uns die Felsen den Weg versperren. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: über ein Schneefeld und durch einen engen Kamin nach oben klettern oder abzusteigen.
Wir schauen uns die Kletterstelle an und entscheiden hier nicht weiter zu gehen. Über einen steilen Grashang beginnen wir den Abstieg in den Talkessel. Die Wegführung bleibt mir ein Rätsel!
Weit unter uns am Ende des Talkessels weiden Schafe. Es ist eine große Herde. Glitzernde Bergbäche zerschneiden Wiesen mit vielen Blumen – Orchideen, Schlüsselblumen, Sumpfdotterblumen sogar gelbe Türkenbundlilien blühen hier. Bisher kannte ich nur die rote Variante.
Wir gelangen wieder auf einen markierten Wanderweg, der hinunter ins Tal führt. Hufspuren verraten, dass er regelmäßig genutzt wird. Auf einem ebenen Stück Wiese bleiben wir – Kaffeezeit! Kaum steht unser Zelt, zieht ein Gewitter auf. Immer wieder schieben sich Wolken von Albanien her über die Berge. Am Abend hört es auf zu regnen.
Wir sitzen gerade beim Tee, da bekommen wir Besuch von einem SBS. Der Typ schwätzt drauf los, nur wir verstehen ihn nicht. Scheinbar will er uns auch Schlüsselblumen verkaufen. Nach einer Weile verschwindet er in Richtung Tal. Kurz darauf ziehen wieder ein paar Reiter an unserem Biwakplatz vorbei in Richtung Grenze. Sind es Hirten, die Schlüsselblumen sammeln, oder doch Händler? Wir wissen es nicht, jedenfalls sind die Säcke auf den Pferden nicht nur mit Blumen gefüllt…
Laut unserer Wanderkarte führt im Nachbartal ein Weg hinauf zum Hauptkamm. Dafür müssen wir ein Stück absteigen. Auf dem Weg begegnen wir wieder einem SBS, diesmal ist es aber kein Albaner. Er versucht uns den Weg zum Golem Korab zu beschreiben.
Wir müssen das Tal des Baches Ribnička Reka (Рибничка река) hinauf und bis zum Ciganski Prolaz (Цигански Пролаз – Zigeunerpassage). Dort würden wir auch wieder auf unsere GPS-Route treffen.
Anfangs sieht es recht gut aus. Wir folgen den rot-weißen Bändern hinunter ins Tal. Nach einer halben Stunde etwa finden wir keine Markierungen mehr. Wir laufen querfeldein durch den Wald, über Wiesen, drehen uns im Kreis doch die Markierung bleibt verschollen!
Entnervt beschließen wir wieder zurück in Richtung Biwakplatz zu gehen und noch mal von vorn mit der Suche zu beginnen. Plötzlich leuchtet uns an einem Stein ein rot-weißer Punkt entgegen. Ein Stück weiter talwärts der nächste und auch die Hufspuren sind wieder da. Es ist ein Wanderweg, jedoch nicht der, auf dem wir anfangs abgestiegen sind. Egal, wir folgen dem Pfad. Der Pfad verschwindet bald im Wald oberhalb des Ribnička Reka. Der Bach hat mittlerweile eine wilde Schlucht gebildet.
Der erste größere Nebenbach den wir queren müssen heißt Proi i Babes (Прои и Бабес oder Бабин Поток). Er ist nicht breit, die Strömung jedoch recht kräftig. Ein paar Meter neben dem Bach sprudelt eine Quelle aus dem Boden, wir können unsere Wasserflaschen auffüllen. Während wir unsere Schuhe trocknen, suchen wir auf der Wanderkarte unseren Standort. Den Weg zum Ciganski Prolaz haben wir nicht gefunden. Vermutlich war es der Pfad, den wir zuerst abgestiegen sind. Nun bleibt uns nur noch die Möglichkeit zum Bergdorf Tanuše (Тануше/Tanushaj) abzusteigen, der Straße bis nach Ribnica (Рибница/Rimnicë) zu folgen und im Tal des Dlaboka Reka (Длабока река/Proi i Fel) wieder aufzusteigen.
Nach 5 Stunden sind wir in Tanuše. Die meisten Häuser hier sind nur noch Ruinen. Intakt sind ein Wohnhaus, die Moschee und ein Denkmal für gefallene UÇK-Kämpfer. Die fünf Kämpfer unter dem Kommando von Tahir Sinani, an die das Denkmal erinnert, wurden am 29. Juli 2001 vermutlich bei einem Minenunfall getötet.
Auf einer Schotterstraße geht es nun bis ins Tal. Eine Holzbrücke überquert den Ribnička Reka und vorbei an einer Hirtenstation mit Einkehrmöglichkeit, steigen wir auf der anderen Seite wieder den Berg hinauf. Es ist sehr heiß. Auch in Ribnica sind viele Häuser nur noch Ruinen. Dafür gibt es einen nagelneuen überdachten Picknickplatz mit einem Brunnen. Wir wissen nicht warum die Menschen ihr Dorf verlassen haben.
Hinter den letzten Ruinen endet der Fahrweg. Ein schmaler Pfad führt nun bergauf, links und rechts stehen verkohlte Wacholderbüsche. War es ein Waldbrand oder wurden die Büsche mit Absicht abgefackelt?
Neun Stunden stecken uns in den Beinen als wir eine große Wiese an einem Birkenwäldchen erreichen. Laut einem Wegweiser sollen es 15 Minuten zu einer Quelle sein. Das hört sich gut an! Wir setzen die Rucksäcke ab und ich gehe die Quelle suchen. Im Wald wachsen Perlpilze und Hexenröhrlinge. Nach nur 5 Minuten bin ich am Ziel. Zurück auf der Wiese gibt mir Anne eine halbe Orange. Irgendjemand muss sie verloren haben, sie ist noch ganz frisch. Wir bleiben hier und bauen unter den Birken unser Zelt auf. Anne kocht Polenta mit Brokkoli.
Wir starten am Morgen etwas später als üblich, die Morgensonne konnte sich im schattigen Birkenwäldchen nicht so recht durchsetzen, um uns zu wecken. Der Weg führt anfangs durch mystischen Bergwald. Leuchtend weiße Buchenschleimrüblinge besiedeln in größeren Gruppen die abgestorbenen Stämme der Bäume. Das Grün der Blätter ist noch frisch. Auf dem Waldboden breiten sich Farne und Waldmeister aus.
Doch bald wird die Waldidylle unterbrochen, schmutzige Schneefelder haben die Bäume unter sich begraben. Mehrere Lawinenfelder müssen wir überqueren. Dann beginnt sich der Wald zu lichten. Zwischen den Steinen findet Anne Berglauch – eine willkommene Bereicherung für unser Abendessen.
Über der Baumgrenze angekommen, sehen wir hinunter ins Tal des Dlaboka Reka. Es ist ein reißender Gebirgsbach, immer wieder überdacht mit Schneebrücken. Darüber erheben sich die kahlen Felsgipfel des Korab-Massivs (Кораб/Mali i Korabit). Wir rätseln welcher nun der höchste Berg Mazedoniens ist, finden es aber nicht heraus.
Der Pfad zieht sich nun hinunter ins Tal. Ab und zu bedecken Schneefelder den Weg, doch sie erweisen sich als unproblematisch. Probleme machen die Kreuzottern, die es hier reichlich gibt wie es scheint. Schon die dritte verschwindet kurz vor unseren Füßen im Gras. Ein Fuchs jagt im wilden Tempo den Berghang hinauf und auf dem Wanderweg liegt ein abgetrenntes Gämsenbein. Wilderer?
Vor uns stürzt sich der Korab-Wasserfall (Корабски Водопад oder Пројфелски водопад) 134 m den Fels hinunter. Es soll der höchste Wasserfall des Balkans sein! Als wir den Bach erreichen, verlieren wir wieder einmal unseren Wanderweg. Dafür finden wir ein „Händlerlager“. Neben Säcken die mit Plastikplanen abgedeckt wurden, weiden zwei Pferde. Sonst ist niemand da. Wir laufen weiter und finden unsere Markierung wieder. Auf einem Holzschild, das auf dem Boden liegt, steht: „Цигански Премин – 2 ч“.
Wir würden dort wieder auf unseren GPS-Track stoßen, zumindest theoretisch. Bald stehen wir mitten im Schnee! Ab 2000 m befindet sich hier eine fast geschlossene Schneedecke. Noch läuft es sich gut, aber den Aufstieg durch das steile Seitental wollen wir dann doch nicht riskieren. Wir beschließen umzukehren – Nothing is easy.
Auf dem Hinweg passierten wir eine Quelle, dort führte ein Pfad hinunter zum Fluss, wo wir unser Zelt aufbauen könnten. Der Platz ist sehr gut. Zwar erschreckt mich wieder eine Kreuzotter, die zwischen meinen Füßen im Gras das Weite sucht, aber wir haben eine tolle Sicht auf den Wasserfall und am Boden gedeihen Guter Heinrich, Mauerpfeffer, Oregano, Portulak und Thymian. So gibt es heute mediterrane Nudeln mit Tomatensoße und Korab-Kräutern!
Nicht so toll sind die dicken grauen Wolken, die sich von Westen herabsenken. Der Wind frischt ebenfalls auf und peitscht das Wasser des Wasserfalls gegen die Felswand. Es scheint als ob es gar nicht am Boden ankommen würde. Bald fallen die ersten Regentropfen und wir entscheiden uns den Rest des Abends im Zelt zu verbringen.
Ich stopfe gerade den letzten Packsack in meinen Rucksack und schließe das Deckelfach, als die ersten Tropfen vom Himmel fallen. Die nächsten 3 Stunden wird es nicht mehr aufhören zu regnen. Mit einer gewissen Genugtuung gestern die Tour abgebrochen zu haben trete ich mit Anne den Rückweg an.
An unserem Birkenwäldchen hört es kurz auf, wir haben Zeit für eine Brausepause, dann nieselt es weiter. Wir laufen nicht wie vorgestern über Ribnica, sondern wählen den Weg über das Bergdorf Bibaj (Бибај). Der Ort liegt über der Mündung des Dlaboka Reka in den Ribnička Reka. Leider zeigen unsere Karten (analog und digital) keinen Weg hinunter ins Tal.
An der Dorfquelle wechseln wir unsere nassen Socken. Wir haben ein Paar Sealskinz dabei, die sich bis jetzt hervorragend bewährt haben. Die Wanderschuhe dagegen saugten sich voll wie Badeschwämme…
Ein Trampelpfad führt an einem Gartenzaun den Hang hinunter, verliert sich dann aber auf einer Wiese. Etwas hilflos irren wir zwischen den wenigen Häusern umher, die noch halbwegs bewohnbar aussehen.
Von einem der Grundstücke kommt ein alter Mann herüber. Wir zeigen ihm unsere Karte und erklären so gut es geht unser Vorhaben. Der Opa bedeutet uns mitzukommen. Wir haben Mühe ihm zu folgen so flink huscht er den Berghang hinab. An einer Wiese bleibt er stehen und zeigt uns die Richtung in der wir absteigen müssen. Er schaut noch eine Weile von oben zu und korrigiert uns wenn wir seiner Meinung nach zu weit abdriften.
Bald haben wir das Tal erreicht. Der Dlaboka Reka strömt wild aus einer Felsenschlucht hervor, eine Holzbrücke führt auf die andere Seite. Bis zur Hauptstraße im Radika-Tal (Радика) geht es nun abwechselnd über Asphalt- und Schotterwege.
Kaum sind wir auf der Hauptstraße hält auch schon ein Auto. Der Fahrer ist „Albanese“ wie er stolz verkündet und muss erst kistenweise Zwiebeln in seinen Kofferraum verfrachten, dann nimmt er uns mit bis nach Mavrovi Anovi (Маврови Анови/Rreka e Mavrovës) am Mavrovo-Stausee.
Der Ort ist nicht sehr einladend, immerhin erfahren wir, dass hier um die Mittagszeit, die Busse nach Skopje halten und es gibt ein neues Skopsko (80 Dinar, unfiltriert und in Papier eingewickelt). Anne fragt den Kellner, ob ein Bus nach Mavrovo fährt? Nein, aber wir könnten ein Taxi nehmen. „5 Euro.“ „10 Euro!“ korrigiert ihn sein Kollege. Wir ziehen es vor die 7 Kilometer zu laufen…
Am Ortsrand befindet sich das Nationalparkbüro und heute hat der Revierförster dienst. Er spricht perfekt deutsch. Sein Sohn schafft zurzeit in Deutschland bei McDonalds.
Dass wir ohne Führer von Debar aus durch das Dešat-Gebirge gelaufen sind erstaunt ihn, dass wir im Nationalpark biwakiert haben nimmt er locker. Allerdings ärgert er sich über die Albaner. „Die kommen von Albanien und sammeln bei uns Blaubeeren und Kräuter.“ „Kein Mazedonier würde das auf albanischer Seite machen!“
In Mavrovo gibt es die Höhle „Peštera Šarkova Dupka (Пештера Шаркова Дупка)“. Nur ist sie momentan geschlossen. „Stromprobleme“ erzählt uns der Förster. Wir verabschieden uns und laufen weiter.
Kurz hinter der Staumauer halten zwei Kleinbusse. Es sind zwei junge Familien aus Dresden. Sie sind auf großer Osteuropareise und wir können bis Mavrovo mitfahren, müssen nur leise sein, da das Baby schläft. Wir halten direkt vor der Kirche des Heiligen Nikolai (Божји храм Св. Никола), die nur noch mit dem Dach und dem Kirchturm aus dem Wasser ragt. Und das seit 1956 als der See angelegt wurde, um Wasserkraftwerke zu betreiben.
Das erstbeste Hotel heißt „Srna“ (Срна). Das klingt irgendwie Serbisch und pro Person kostet die Übernachtung 20 Euro, sagt die Dame an der Rezeption – mit Frühstück. Wir suchen nicht weiter und buchen 2 Nächte. Morgen wollen wir ein wenig um den See wandern.
Nicht weit vom Hotel sollen sich zwei sehr gute Restaurants befinden, hat uns die Dame im Hotel noch ans Herz gelegt. Heute Abend besuchen wir das erste: Mavrovski Merak (Мавровски мерак). Es gibt typische Balkanküche, deftig und fleischlastig dazu Wein und Rakija. Der Eigentümer, der Koch und geladene Gäste am Nachbartisch bekommen etwas Besonderes. Aus einem großen Kessel in der Tischmitte bedient man sich reihum. „Könnte Nationalparkgämse sein“ witzle ich. Wie es scheint, haben wir wieder die ethnografisch-religiöse Grenze Mazedoniens gewechselt…
Heute wollten wir eine Tageswanderung machen. Unser Ziel sollte das Dorf Nikiforovo (Никифорово) am Stausee sein. Wir erreichen unser Ziel nicht, lernen stattdessen Mavrovos Forstwege und Bachbetten kennen. Hinter dem Dorf führt ein Forstweg in die Berge am ersten Baum prangt noch eine Wegmarkierung – die erste und letzte. Wir orientieren uns pi mal Daumen und landen auf einem Rückeweg, der schließlich in einen Bach mündet. Nach knapp zwei Stunden stehen wir wieder am Ausgangspunkt unserer Tour.
Wir haben keine Lust mehr nach Wegen zu suchen und schlendern noch ein Stück am See entlang. Am Ende des Sees befindet sich ein Sportplatz, auf dem gerade Wettkämpfe stattfinden. Ab und zu gibt es schöne Stellen direkt am Seeufer, einen durchgehenden Wanderweg gibt es aber nicht. Die Gegend ist eher was für Radfahrer. Auf der Straße laufen wir zurück. Die Verkehrsschilder sind wie sonst die Wegweiser unleserlich, ausgebleicht und auch als Zielscheibe zweckentfremdet worden. Eine Vielzahl an Einschüssen schmücken das Überholverbot. Im Hotel Makpetrol (Макпетрол) genehmigen wir uns einen Mazedonischen Kaffee mit dezentem Spülmittelgeschmack.
Dafür ist auch die zweite Lokalität, das Restaurant Kristijan (Ресторан Кристијан), nur zu empfehlen. Mit Seeblick genießen wir Salat des Hauses, einen Fleischtopf, der extra für uns zubereitet wird und Rotwein.
Morgen müssen wir zurück nach Mavrovi Anovi und von dort mit dem Bus nach Skopje (Скопје).
Skopje
40 Euro war das Zimmer definitiv nicht wert, wir können nur in bar zahlen und es gibt nicht mal ne Quittung. Angeblich sei das Gerät kaputt. Egal, die Sonne scheint und die Temperaturen sind noch recht angenehm am Morgen. Wir laufen ein ganzes Stück auf der Straße. Bei jedem Auto halten wir den Daumen raus aber ohne Erfolg. Kurz vor der Staumauer attackiert uns eine Meute kläffender Straßenköter und es hält ein Auto.
Ein Pärchen US-amerikanischer Mazedonier, sie Juristin, er Architekt, nehmen uns mit bis Skopje.
Sie in Deutschland aufgewachsen, ging in Deutschland auf eine amerikanische Schule, als junge Erwachsene nach Mazedonien, lernte dort ihren Mann kennen, der ein in Amerika geborener Mazedonier ist. Beide gingen für viele Jahre nach Nevada, sie beendete dort ihr Studium, bekam zwei Kinder und ist mit ihrem Mann seit vier Jahren in Mazedonien. Offenbar sind alle wieder da, die Eltern, Schwiegereltern, Geschwister mit Familien. In zwei Jahren, wenn auch der Sohn seine Schule beendet hat, wollen sie wieder nach Kalifornien, einen Neustart wagen. Warum Sie zurückkamen ist unklar. Schon die Eltern wohnten seit zig Jahren nicht mehr in Mazedonien, beide sind nicht in Mazedonien geboren und aufgewachsen, die Kinder sind im Ankunftsland USA sozialisiert. Für Rückkehrer im Rentenalter lässt es sich hier sehr gut leben, dafür sind sie allerdings noch zu jung. Schon in Ohrid haben wir einen australischen mazedonischen Rentner getroffen, der sich deswegen ein halbes Jahr immer in Mazedonien aufhält. Auch für eine Familie ist es hier wesentlich günstiger zu leben. Weniger Bildungsgebühren, günstige medizinische Versorgung, billige Lebenshaltungskosten…
Nach knapp 1 ½ Stunden werden wir am Denkmal Philipp II. abgesetzt. Auf einer Brücke säumen Monumente von Persönlichkeiten das Geländer, die mit der Geschichte Mazedoniens auf die eine oder andere Weise in Verbindung stehen. Kein Osmane ist darunter und Tito auch nicht!
Skopje ist eine Denkmalstadt. Mit solchen Symbolfiguren aus dem Mazedonien der Antike versuchten und versuchen Verantwortliche in der Politik heute eine Art nationale Identität aufzubauen für… Ja für wen eigentlich? Weder orthodoxe und schon gar nicht muslimische Mazedonier oder Türken haben irgendetwas mit den Mazedoniern der Antike zu tun. Auch nicht die Roma. (Auch wenn Alexander der Große fast in ihrer Heimat war.) Am ehesten noch die Aromunen, nur von denen gibt es heute kaum noch welche. Und die Albaner? Na immerhin hat es bei denen mit dem „Athleten Christi – Skanderbeg“ auch irgendwie geklappt. Sowohl bei orthodoxen als auch muslimischen Albanern gilt er als Nationalheld.
Auf der anderen Seite des Flusses Vardar steht ein weiters Monument – „Krieger zu Pferd“ heißt es offiziell. Bei dem Pferdekrieger handelt es sich aber um niemand anderes als Phillips Sohn Alexander – der Große! Mit gezogenem Schwert schaut er nach Osten. Wir laufen nordwärts zum alten Basar und dahinter zu unserem Hotel – Arka (5 Sterne). 95 Euro das Zimmer ist schon purer Luxus, aber es hat eine Badewanne und das gönnen wir uns mal. Dafür verzichten wir auf einen Restaurantbesuch, zum Abendessen gibt es Brot, Käse und Wurst sowie Oliven und Tomaten vom Markt…
Jetzt sitzen wir beim Frühstücksbuffet im Arka-Hotel im 7. Stock und schauen zu, wie die Altstadt langsam erwacht. Noch können wir einzelnen Menschen folgen, die erste Reisegruppe ist auch schon unterwegs, die Läden sind fast alle noch zu. Anne liebt solche Morgen, sitzen, essen und schauen, auf den orientalischen Basar von Skopje, mit Moscheen, Hammam und vielen kleinen Läden, einfach toll.
Nicht so toll ist die Tatsache, dass es in ganz Skopje keine geöffnete Touristeninformation zu geben scheint, dafür jede Menge Hinweisschilder zu einzelnen Sehenswürdigkeiten.
Wir wollten eine Stadtführung machen aber hatten keinen Erfolg. So gehen wir erst einmal zum Bahnhof die Reservierungen für den Nachtzug nach Belgrad kaufen.
Es ist heiß, wir trinken im Basar einen Schweppes (80 MKD), den wir immer mehr mit Brunnenwasser strecken. Die Brunnen im muslimischen Teil der Stadt sind etwas Feines, leider fast immer belagert. Auf der orthodoxen Seite gibt es keine Brunnen.
Abends schlendern wir durch die Altstadt, gehen im Grillrestaurant Tourist (Гостилница Турист) essen, besuchen die Vernissage einer Kunstausstellung bulgarischer Künstler und auf dem Festungshügel schauen wir uns die Burg an. Die Muslime haben immer noch Ramadan und warten auf den Sonnenuntergang, um essen zu können. Ich warte auf die blaue Stunde, um von der Dachterrasse des Hotels die Stadt fotografieren zu können. Mit einem Glas Rosé in der Badewanne lassen wir den Tag ausklingen.
Heute Abend um 22:19 Uhr soll unser Zug nach Belgrad fahren, Gleis 3. Bis dahin müssen wir noch irgendwie den Tag rumkriegen. Wir lassen unsere Rucksäcke im Hotel und gehen auf Museumstour.
Das historische und ethnographische Museum (100 MKD) stammt noch aus Tito-Zeiten. Wie ein Fremdkörper wuchert der hässliche Betonklotz in der Altstadt. Das Stadtmuseum finden wir nicht. Dafür das Museum of the Macedonian Struggle (300 MKD). Mit neuen überdimensionalen Historiengemälden und Wachsfiguren wird uns von einem Führer auf Englisch die Geschichte Mazedoniens erklärt. Leider spricht der Typ so schnell, dass ich nichts verstehe und mich schon bald ausklinke. Immerhin spielen hier die Osmanen und auch Tito eine Rolle, wenn auch keine positive…
Während wir noch geballtes Wissen vermittelt bekommen, tobt draußen ein Gewitter. Zum Glück lässt der Regen bald nach. Wir essen ein paar Ćevapčići und holen unsere Rucksäcke. Den Rest des Abends verbringen wir bei einer Flasche Bovin Dissan Barrique 2013 – 1900 MKD (31,00 EUR)…
Heimfahrt
Das Abteil war voll belegt, wir hätten die Reservierung besser direkt beim Schaffner kaufen sollen. Mit über einer Stunde Verspätung erreichen wir Belgrad. Auf dem Bahnhof tauschen wir etwas Geld (50 Euro) und gehen dann in unser Hotel vom letzten Jahr.
Das Belgrad City Hotel ist ausgebucht, wir versuchen es im Queen’s Astoria Design Hotel. Es klappt, kostet jedoch mehr. Das tolle Wetter scheint auch Geschichte zu sein, immer wieder ärgern uns Regenschauer. Dafür ist das Frühstück im Boutique-Restaurant recht ordentlich.
Die Weinhandlung Vino & Vinogradarstvo auf der Ilije Garašanina 22, wo wir auf Empfehlung den berühmten Titowein kaufen wollten, gibt es nicht mehr. Da fragt man sich mühsam durch und dann das! Der Regen hat sich nun endgültig durchgesetzt, eine gute Gelegenheit unseren Reiseproviant einzukaufen.
Der eigentliche Höhepunkt unseres Aufenthaltes in Belgrad ist und bleibt der Lammtopf (Jagnjetina – 1190 RSD/10,26 EUR) im Zavičaj. So klingt unser Urlaub kulinarisch lecker aus…
Im Stop-and-go schleichen wir am nächsten Tag nach Zagreb. Erreichen den Glavni kolodvor mit einer halben Stunde Verspätung und sind froh als wir endlich im Schlafwagen nach Zürich lümmeln dürfen und während unseres Balkan-Abendessens (Ajvar, Brot, Hartwurst, Oliven schwarz, Paprika rot, Schafskäse, Schokolade, Tomaten sowie Mineralwasser, Nikšićko- und Zaječarsko-Schwarzbier und Wein) die Berge Sloweniens in der Dämmerung an uns vorbeiziehen sehen. Pünktlich erreichen wir am nächsten Morgen Zürich und trotz eines medizinischen Notfalls auf der Strecke nach Basel bin ich fast pünktlich in Freiburg…
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