Wir sind mitten in der Coronakrise und planen ein Wanderwochenende über den ersten Mai. Der „Lockdown“ hält an, aber die ersten Lockerungen haben begonnen. Waren die Regelungen schon zuvor verwirrend, so sind sie jetzt fast undurchschaubar. Jedes Bundesland hat seine eigenen Öffnungsstrategien und da wir auch ein Bundesland queren müssen, ist die Komplexität der Verbote und Regeln kaum noch zu überschauen.
In Baden-Württemberg darf man keine touristischen Reisen unternehmen in Rheinland-Pfalz eingeschränkt. Doch was ist eine touristische Reise und wo beginnt die Einschränkung. Bei Verstoß drohen hohe Bußgelder, das stresst und unterläuft die Vorfreude. Früher haben wir uns eine Tour ausgeguckt, geplant und sind gefahren. Mit Corona wird jede Mobilität kompliziert. Am Anfang habe ich auf die Erfahrungen von Falk vertraut, der ja durch seine DDR-Sozialisation Einschränkungen und deren Umgang kennen sollte. Aber das bringt uns nicht weiter. Er findet es „teilweise schlimmer als in der DDR“.
Logik hilft hier auch nicht. Ist eine Zwei-Tageswanderung eine verbotene touristische Unternehmung oder erlaubter Sport. Für das Virus macht es keinen Unterschied, ob ich touristisch oder sportlich im Wald unterwegs bin. Warum dann für die Regierung? Zwei Meter Abstand sind dort eher gewährleistet als in einem dichtgedrängten Stadtpark.
In meinem Umfeld traue ich mich so etwas kaum noch zu thematisieren. In meinem Bekanntenkreis hat die Krise die persönlichen Haltungen verstärkt. Ängstliche Menschen sehen in den täglich verkündeten Zahlen ein Anschwellen der Pandemie und werden noch vorsichtiger, andere unterstellen ihnen nur eine geringe Plausibilität und bleiben entspannt. So rufen schon Andeutungen auf unsere Tour anklagende Reaktionen hervor: „Wie kannst du denn jetzt an so was denken?“ „Du willst ohne Notwendigkeit mit der Bahn fahren? Sei doch nicht so rücksichtslos!“ Sorglosigkeit und Ignoranz wird schnell unterstellt. Ich lasse das mittlerweile so stehen, denn Begründungsversuche würde das Unverständnis bald zur Empörung steigern. „Es ist halt eine schwierige Zeit“ ist derzeit meine Standardantwort zu kritischen Fragen und Bemerkungen.
Meine Gedanken und Überlegungen einigermaßen legal mehrere Tage zu wandern, scheinen gerade unverrückbar festgefahren als mir Falk die erlösende Mail schickt: Der Pfälzer-Wald-Verein empfiehlt ausdrücklich eine Erste-Mai-Wanderung für die Gesundheit. Na also, zwei Tage Gesundheit, das ist unser Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems!
Coronaboni: Pünktlich, leer und weniger
Wir treffen uns am ersten Mai in Mannheim am Hauptbahnhof. Der Bahnsteig ist ungewohnt leer und als der Zug erfreulich pünktlich einfährt, fehlt das übliche Gedränge und Geschiebe: Definitiv ein Coronabonus, denke ich. Auch in den Zügen kann man mühelos die gewünschte Distanz halten, einzig die Maskenpflicht stört, da die Brille andauernd beschlägt und die Luft knapp wird.
Pünktlich und entspannt kommen wir in Frankenstein an und unter bedecktem Himmel machen wir uns sogleich auf den Weg. Er führt uns erst zur Burg und dann weiter durch den Wald. Ich fühle mich wie befreit, endlich mal wieder unterwegs, in der Natur und fast allein. Am gleichen Abzweig wie beim letzten Mal rätseln wir über den Weg und treffen dann die richtige Entscheidung. Bald fängt es an zu nieseln und wir packen unsere Ponchos aus. Einige Stunden stampfen wir in uns gekehrt durch den Regen. Ich genieße, stundenlang einen Fuß vor den anderen zu setzen, die Gedanken schweifen zu lassen oder schlicht nichts zu denken. Es prasselt auf den Poncho unter mir saugen sich die Schuhe in den Matsch und feuchte modrige Waldluft umgibt mich.
Wir folgen erst dem blau-grünen Balken zum Waldhaus Schwarzsohl. Dort legen wir eine Mittagsrast ein. Langsam lichtet sich der Himmel und der Regen lässt nach. Als wir wieder starten, hat er aufgehört und wir folgen dem weiß-roten Balken nach Esthal. Der Coronasituation angepasst ist der Ort wie ausgestorben, Geschäfte und Bäckereien geschlossen. Der Weg durch den Ort zieht sich, so dass ich froh bin als wir das letzte Haus hinter uns lassen. Wir folgen weiter dem weiß-rotem Balken in Richtung Erfenstein. Auf dem Weg begegnen wir wenigen Mountainbikern, ansonsten scheint auch der Pfälzer Wald wie ausgestorben. Stattdessen leuchten die feuchten Blätter grell grün. Die Luft fühlt sich so frisch und aufgeräumt an, dass man versucht ist auch hier einen Coronabonus zu erkennen: Weniger Menschen, weniger Verkehr auf den Straßen und keine Flugzeuge in der Luft.
Wo sind die Keltengräber?
Burg und Burgruine in Erfenstein besteigen wir nicht, da das Wetter keine besondere Aussicht erwarten lässt. Stattdessen queren wir den Bahnhof und folgen weiter dem rot-weißem Band in Richtung Hellersplatzhütte. Wir kennen den Weg von früheren Wanderungen und steigen zügig bergauf. Langsam wird es Abend, es gilt einen Zeltplatz zu suchen: Sollen wir noch bis zur Hellersplatzhütte laufen oder finden wir hier im Wald noch ein Plätzchen. Neben dem Forstweg entdecken wir eine flache sonnige Stelle, die von gelb blühendem Ginster eingerahmt ist. Hier werden wir übernachten! Eine gute Entscheidung, denn nach Zeltaufbau, Abendessen und Frühstückvorbereitungen beginnt es wieder zu regnen. Schnell packen wir alles zusammen und kriechen ins Zelt. Schon prasselt der Regen kräftig auf das Zelt und mit einem guten Rotwein lassen wir den Abend gemütlich ausklingen.
Am nächsten Morgen wecken uns die Vögel. Ein Blick nach draußen zeigt: heute wird die Sonne scheinen. Nach dem Frühstück packen wir alles schnell zusammen und sind schon bald an der Hellersplatzhütte. Auch diese Hütte, sonst immer sehr belebt, ist wie ausgestorben, so dass wir zügig weiterlaufen. Nicht den gewohnten Weg nach Neustadt, sondern über den Hühnenstein und zu den keltischen Hügelgräbern. Der gelbe Punkt führt uns dort hin, aber die Steine lassen sich nur schwer identifizieren und auch das Grab können wir nur erraten. Dennoch, wir sind guter Stimmung, die Sonne scheint, der Pfad unter den Schuhen fühlt sich weich an. Abrupt müssen wir jedoch die Richtung wechseln, da unerwartet ein Umweg angezeigt wird.
Nach häufigen Richtungswechsel und intensiver Pfadsuche erreichen wir den Stadtrand von Neustadt. Der Bus zum Bahnhof kommt erst in einer Stunde, also entschließen wir uns zu laufen. Auch diesmal ist der Zug ausgesprochen pünktlich, und kommen bald zufrieden und entspannt zu Hause an.
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