Freitagnachmittag, das Pfingstwochenende hatte begonnen. Laut Wetterbericht sollte es schön werden, also stand einer Mehrtageswanderung nichts mehr im Wege.
Der Ausfall des ICE 70 nach Hamburg und der bereitgestellte Ersatzzug sorgten bei vielen Reisenden für Verwirrung mit deren Sitzplatzreservierung. Ansonsten erreichte ich fast pünktlich Karlsruhe, zumindest nach Bahn-Definition.
Der Regionalexpress nach Neustadt an der Weinstraße und Pirmasens fuhr gerade auf Gleis 102 ein. Ich beeilte mich und zwängte mich durch das Nadelöhr am Bahngleis, um den richtigen Wagen zu erwischen.
Dunkle Wolken kündigten nichts Gutes an. In Landau regnete es, doch der Pfälzerwald, mein Wanderziel, lag im Sonnenschein.
Cuisine Française im Pfälzerwald
Mit 15 Minuten Verspätung traf ich in Neustadt ein, da half auch die Fünf-Minuten-Regel der Bahn nicht mehr. Anne wartete bereits vor dem Bahnhof. Unser Plan war es, von Neustadt nach Kaiserslautern zu wandern – quer durch den nördlichen Pfälzerwald. Doch erstmal suchten wir den Weg aus der Stadt.
Ein Freund und Pfalzkenner hatte uns eine Route empfohlen, die wir zu Rate zogen, um Neustadt den Rücken zu kehren. Annes GPS führte uns durch windige Gassen zur Ruine Wolfsburg, einem Schutzbau aus dem 13. Jahrhundert.
Unter uns lag Neustadt, über uns wehte ein kräftiger Wind. Wir folgten dem Hohfelsenweg ostwärts. Von den Felsen boten sich schöne Aussichtspunkte hinab ins Speyerbachtal.
Sobald wir den Schutz der Felsen verlassen hatten, rüttelten Windböen wieder an unseren Rucksäcken. Wir brauchten einen Platz zum Schlafen. Am Waldrand einer kleinen Lichtung fand sich ein geschütztes Plätzchen. Jemand hatte aus Ästen, Laub und Reisig eine Notunterkunft gebaut – ein Überlebenskünstler?
Wir stellten unser Zelt daneben. Die Wipfel der Kiefern bogen sich im Wind hin und her, unten am Boden war es fast windstill. Anne holte Rotwein und Zwiebelsuppe aus dem Rucksack, ich meinen Benzinkocher und bald ließen wir uns die „Cuisine Française“ schmecken. Nur an ein Baguette hatten wir nicht gedacht…
Schwein gehabt
Das Kaffeewasser in unserer Thermosflasche war noch heiß am nächsten Morgen und draußen zwangen sich die Sonnenstrahlen durch den Wald. Nicht zu kochen war angenehm, zumal mein Kocher nicht der schnellste war…
Unser Weg führte in Richtung Weinbiet, vorbei am Steinernen Hirsch, einer Sandsteinskulptur des Bildhauers Philipp Steger aus Neustadt. Sie erinnert an den letzten Rothirsch, der hier im Jahre 1866 erlegt wurde.
Unweit hinter dem Denkmal bot sich uns ein recht lebendiges Bild: Keine 20 m vom Weg entfernt wühlte eine Bache mit ihren Frischlingen im Waldboden herum. Das Muttertier grunzte uns kurz an und verschwand schnurstracks mit ihrem Nachwuchs im Unterholz.
Der Weg stieg nun an und bald erreichten wir den Gipfel des Weinbiet (554 m). Für eine Einkehr im Weinbiethaus war es noch zu früh, ich musste mich noch gedulden.
Wir stiegen nach Norden ab und folgten unserer GPS-Route. Da unsere Pfalzkenner begeisterte Radfahrer sind, verlief unser Weg meist über breite Forstwege. Selten wechselte er auf wurzelige Waldpfade bis wir die Straße von Lindenberg nach Wachenheim erreichten.
Auf der anderen Seite ging es nun weiter bis zur ersten Einkehr – dem Waldhaus Lambertskreuz.
Annes Handy machte sich bemerkbar. Es war eine SMS von unseren Pfalzfreunden. Sie waren mit den Rädern unterwegs und erwarteten uns um 14 Uhr am Isenachweiher. Den Gedanken um 14 Uhr am Isenachweiher zu sein fand ich recht ambitioniert. Interessant war auch die Tatsache, dass wir im Pfälzerwald keinen Empfang hatten. So konnte Anne auch nicht antworten. Das Fleckchen Erde ist halt doch noch ein Stückchen deutsche Wildnis (oder eines der vielen Funklöcher des digitalen Deutschlands)…
Es war inzwischen 11 Uhr als wir das Waldhaus erreichten und somit durchaus an der Zeit was Gescheites zu Essen und zu Trinken. Einen Lambertskreuzteller bestehend aus Bratwurst, Leberknödel, Saumagen mit Kraut & Brot und eine Weißherbstschorle fand ich durchaus angemessen für unsere bisherige Laufleistung…
Frankenstein zum Gruseln
Gesättigt, mit gefüllten Wasserflaschen und einer Pfälzer Bratwurst, die Anne nicht mehr geschafft hatte, ging es weiter in Richtung Saupferch. Uns wurde klar, dass wir den Zeitpunkt zu einem Treffen nicht mehr halten konnten. Empfang hatten wir immer noch keinen. So beschlossen wir, dem Wanderweg mit dem gelbe Streifen in Richtung Frankenstein zu folgen. An der Wüstung Stüterhof stand ein Forstwagen mit Tisch und Sitzbank genau das Richtige für Regentage…
An der alten Glashütte spielten zwei Wanderinnen Schnitzeljagd und zählten die Löcher in den Fensterläden. Ein Stück weiter leuchtete etwas Gelbes am Wegesrand. Aus dem Gras lugte ein Goldgelber Lärchenröhrling und auf der anderen Seite des Weges unter einem Busch ein Sommersteinpilz. Das Abendessen war gesichert. Bald erreichen wir den Abzweig nach Weidenthal. Hier führte Annes Ostertour hinunter in den Ort und endete.
Für uns ging es hinab nach Frankenstein. Nicht nur der Name des Ortes war gruselig, auch das Dorf selbst. Fast im Minutentakt donnerten Horden von Motorradfahrern dröhnend an uns vorbei.
Unseren Weg markierte nun ein schwarzer Punkt, der uns ab jetzt bis Kaiserslautern begleiten sollte. Wir folgten ihm erst hinauf zur Burgruine aus dem 12. Jahrhundert.
Von der Schutzburg, die einst im Besitz des Klosters Limburg war, bot sich uns wieder eine schöne Aussicht auf den Ort und die umliegenden Berge. Die Sonne stand schon tief und wir waren fast 10 Stunden auf den Beinen, höchste Zeit einen Schlafplatz zu finden…
Wir fanden ihn auf dem bewaldeten Rücken des Schlossberges zwischen Felsen und knorrigen Kiefern. Die Zubereitung des Abendessens erforderte etwas Geduld. Die angegebenen 3½ Minuten, um einen Liter Wasser zum Kochen zu bringen, wurden von meinem Dragonfly deutlich ignoriert. Nach rund 1½ Stunden hatten wir endlich alles unter Dach und Fach: Eine leckere Steinpilz-Nudelsuppe mit Pfälzer Bratwurst, einen Liter Gute-Abend-Tee und das Wasser für unseren Morgenkaffee…
Noch lang leuchteten die letzten Strahlen der Abendsonne in unser Zelt, draußen zwitscherten die Vögel, die Motorradfahrer hatten ebenfalls ihr Ziel erreicht. Nur ab und zu rumpelte ein Zug auf den Gleisen im Tal.
Pilze und andere Leckerbissen
Der Morgen begann wieder vielversprechend mit Sonnenschein. Ein Schriftzug auf einem Stein (Ritterstein) verriet uns, dass wir nun auf der alten Hochstraße wanderten. Hier hielten uns viele Leckerbissen auf: wilde Kirschen, Walderdbeeren, noch unreife Heidelbeeren und immer wieder Pilze. So fanden wir einen Birkenpilz, mehrere Flockenstielige Hexenröhrlinge, Goldgelbe Lärchenröhrlinge, einen Sommersteinpilz und an einem verrotteten Buchenstumpf sogar Austernseitlinge und das im Juni!
Gekrönt wurden unsere Pilzfunde von Pfifferlingen, die am Wegrand eines aufgrund von Forstarbeiten gesperrten Wanderpfades wuchsen.
Auch die Tierwelt ließ uns nicht im Stich, das Brüllen eines Rehbocks schallte durchs Gebüsch.
So erreichten wir schließlich nach 5 Stunden Kaiserslautern mit einer reichen Ausbeute an Waldfrüchten. An der ersten Bushaltestelle warteten wir auf den Bus in die Innenstadt und von da ging es mit dem nächsten gleich weiter zum Bahnhof. Uns blieb noch ein wenig Zeit für ein Vesper, dann rollten wir mit dem Zug zurück nach Mannheim.
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