Wer gerne Wanderbücher liest, die nicht von herausragenden Wanderleistungen in exotischen Regionen handeln, dem wird das Buch „Der Leise Atem der Zukunft“ gefallen. Es ist ein Wanderbuch, das die Wahrnehmungen auf den Wanderungen eng mit den Gedanken über den gesellschaftlichen Wandel verzahnt. So berichtet Ulrich Grober von seinen langsamen Wander- und Suchbewegungen, entlang eines Wachstumsglaubens, der trotz Finanzkrise, Klimawandel und verstärkenden Fluchtbewegungen ungebrochen scheint.
Eine oberflächliche Betrachtungsweise käme zu dem Schluss, dass die Gesellschaft nichts gelernt habe und ein Weiter-So ihrem Grundkonsens entspricht. Dieser Sichtweise setzt Ulrich Grober in seinem Buch „Der leise Atem der Zukunft“ eine zweite, kaum wahrnehmbare Perspektive entgegen. Er durchstreift dabei unterschiedliche Regionen Deutschlands mit forschendem Blick, sucht, findet und reflektiert die vielen Initiativen der Nachhaltigkeit, die den Argumenten des Weiter-So Lügen strafen.
Dabei verbindet der Autor in diesem Buch geschickt seine bisherigen Themen Nachhaltigkeit und Wandern miteinander, indem er die Spurensuche als Reiseberichte zusammenfasst. So erzählt er von den Streifzügen, die er in den letzten zwei, drei Jahren unternommen hat. Er beschreibt Orte, wo er den Wertewandel spürt und leise unterschwellige Veränderungen erkennbar sind. Nur zu Fuß glaubt er, das Aufkeimen einer neuen Atmosphäre des Zeitgeistes mit allen Sinnen zu erfassen. Denn: „Nur wo du zu Fuß warst, warst du wirklich.“
Im ersten Kapitel erkundet er die Anatomie der Gier, denn „das wachsende Unbehagen an der die Gesellschaft zerreisenden Gier“ hält er derzeit für den auffälligsten Negativtrend. Als Orientierung dient ihm das Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff. Langsam erwandert er im Nordschwarzwald die Orte des sozialen Aufstiegs des Kohlemunk Peters und seinen Fall in das schwarze Loch der Kälte sowie die Erlösung in der Wärme des Lebenssinns; wägt bedächtig die daraus resultierende Grenze ab, wann ein Weniger zu Mehr wird.
Die von Hauff aufgezeigte Gier setzt sich heute ungebremst fort: Geldvermehrung auf Kosten der Arbeitenden in den Schwellenländern, zunehmender Flug- und Individualverkehr, dem Mehr und Weiter sind kaum Grenzen gesetzt. Mit der Wanderung in die Autostadt von VW schlägt Grober diese Brücke zur Gegenwart. Just 2015 zeigt sich durch den Dieselautoskandal, wie weit sich die Gier ausgebreitet hat. Es geht nicht mehr um individuelle Schicksale. Nein, jetzt sind alle und überall betroffen. Dieselfahrer wurden betrogen, alle atmen die erhöhten Feinstaubpartikel der manipulierten Dieselautos ein. Dabei stand der Diesel bis dato für eine „saubere“ Verbrennung und VW sucht das Image einer umweltfreundlichen hochtechnisierten Mobilität in seiner Autostadt fortzuschreiben. Das selbstfahrende Auto wird hier als die Lösung präsentiert. Dies wirft sogleich die Frage auf, warum bestehende Bus- oder Zuglinien keine Alternativen sind.
Gebrauchen statt verbrauchen, Teilen und Gegenseitigkeit sind die Grundsätze alter und neuer Initiativen der Nachhaltigkeit. Sie findet Grober auf seinen weiteren Erkundungen in allen Teilen Deutschlands. Im Norden entdeckt er eine Waldgenossenschaft, die den Wald schützt, indem sie dessen Übernahme durch ausbeutende Investoren verhindert. Im Süden besucht er die Regionalwert AG Freiburg. Sie ist eine Bürgeraktiengesellschaft, die durch ein breites Netzwerk von Partnerbetrieben eine nachhaltige Regionalwirtschaft anstrebt. Leise und unaufgeregt kommen diese Initiativen daher und stimmen ihn optimistisch. Entwickelt sich hier eine „critical mass“, die eine Kettenreaktion der Nachhaltigkeit in Gang setzt?