Über Montenegros weiße Berge (Balkan Mai/Juni 2022 – Montenegro)

Bucht von Kotor
Bucht von Kotor

Dem Gesundheitsterror in diesem Land zu entfliehen erwies sich komplizierter als gedacht. Die noch im letzten Jahr geplante Baikalreise hatte sich erledigt. (Klar, Putin hatte Schuld…!) Was blieb im Osten? Wieder einmal der Balkan! Montenegro – Crna Gora – das Land der schwarzen Berge reizte uns…

Pünktlichkeit ist eine Zier…

Anne kannte außer dem Trnovačko-See von unserer Bosnien-Wanderung 2017, nichts von Montenegro. Auch meine Tour auf dem „Peak of the Bakans“ lag schon einige Jahre zurück. Wir wollten wieder klassisch mit der Bahn anreisen. Unser Balkan-Profi in Freiburgs Reisebüro weilte derzeit in Ägypten. Eine Anfrage bei Gleisnost wurde recht eindeutig beantwortet: „Es ist uns derzeit nicht möglich, Ihre Anfrage in einem angemessenen Zeitraum zu beantworten, weshalb wir sie nicht weiter bearbeiten können.“
Was tun? Selbst buchen! Im Internet konnte ich lediglich die Fahrt von Freiburg bis Zagreb buchen. Seltsamerweise streikte die Bahnseite beim Versuch von Zagreb weiter nach Belgrad zu fahren. Nun gut, das Problem ließ sich sicher vor Ort klären.
Kurz nach Mitternacht sollte es am Samstag von Freiburg aus losgehen. Ich habe seit geraumer Zeit kein Vertrauen mehr in unsere Bahn. Immer wieder kam es in letzter Zeit zu dubiosen Zugausfällen aufgrund von „Reparaturarbeiten“. Also fuhr ich schon am Freitagnachmittag nach Mannheim. Anne erwartete mich mit gebackenen Hähnchenschlegeln. Das hatte was!
Laut Fahrplan ging es um 02:04 Uhr von Mannheim nach München. Die Anzeige auf Bahnsteig 8 war ernüchternd: 40 Minuten Verspätung! Kurz vor München hatte der Zug dann 50 Minuten Verspätung, da er aufgrund von Unwettern (Sicher Putins Schuld…) umgeleitet wurde. Der Zugchef empfahl den Passagieren in Pasing „beschleunigtes Umsteigen“, falls diese noch einen Anschlusszug erwischen wollten.
Wir mussten nicht beschleunigen, unser Anschluss um 7:10 Uhr war weg! Immerhin fuhr um 7:56 Uhr mit 5 Minuten Verspätung eine Bayrische Bummelbahn in Richtung Salzburg, mit dem aufdringlichen dezenten Hinweis, dass Essen und Trinken nicht von der Verpflichtung zum Tragen einer FFP2-Maske entbindet…
Auch wenn es noch nicht offiziell war, doch in Salzburg fielen die Masken! Quer durch die nebelverhangenen Alpen erreichten wir knapp 2 ½ Stunden später das sonnige Villach. Der Zug der Kroatischen Staatsbahn – Hrvatske željeznice – stand schon auf dem Gleis gegenüber. Jetzt durften ganz offiziell die Masken fallen… Der Gesundheitsterror endete südlich der Karawanken! Auch unsere Bahnfahrt endete dort. Ab Jesenice wurde gebaut und wir mussten in einen Bus steigen, der uns direkt bis Ljubljana brachte.
Hier verzögerte sich die Weiterfahrt nach Zagreb aus nicht nachvollziehbaren Gründen. Schließlich erreichten wir um 18:07 Uhr doch noch Kroatiens Hauptstadt, wenn auch mit einer Stunde Verspätung.

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Auf ein „Velebitsko pivo“ im Bufet „Antin gaj“ in Zagreb. In Erinnerung an die Via Dinarica 2020.

Ein Zimmer im Hotel „Central“ hatte ich bereits in Deutschland gebucht. Immerhin lag es direkt gegenüber vom Hauptbahnhof und das Frühstücksbuffet hatte bisher nie enttäuscht.
Doch bevor wir uns zur Ruhe begaben, wollten wir noch Fahrkarten kaufen, für die Fahrt nach Belgrad. „No train, bus only!“ war die knappe Antwort der Dame hinter dem Schalter.
Peng! Das hatte gesessen. Die Zugverbindung Zagreb – Belgrad existierte nicht mehr! (Putin…??) Auf mich wirkte das, als ob man den Eisernen Vorhang ein Stück weiter zugezogen hatte.
Wo würde jetzt der Opa aus Šid seinen Mokka verkaufen?
Egal, wir mussten jetzt zum Busbahnhof! 261,00 HRK kostete die Fahrt pro Person nach Belgrad. Morgen um 12:00 Uhr von Bussteig 108 sollte es losgehen und ca. 6 Stunden dauern. Von dort könnten wir dann mit dem Nachtzug bis Bar in Montenegro fahren und unsere Wanderung über das Küstengebirge beginnen.
Die Arbeit war getan, nun folgte das Vergnügen… Ein Steak im „La Nostra Casa“, der Rakija ging aufs Haus!

Flix ist nicht fix!

Satt und guter Dinge machten wir uns gegen Mittag auf den Weg zum Busbahnhof. Den Fahrschein hatten wir bereits, also hockten wir uns in den Wartebereich auf dem Bussteig. Der Flixbus kam pünktlich aus Lubljana und fuhr pünktlich ab. Zumindest bis zur nächsten Kreuzung, dann fuhr er erst mal nicht mehr! Die beiden Fahrer fummelten an den Schalthebeln vorn am Fahrerplatz herum. Dann ging es fast im Schritttempo weiter, bis zur nächsten Haltemöglichkeit. Nun fummelten sie draußen am Bus herum. Wieder ging es ein Stück weiter, nun im Schneckentempo. So ging es weiter Minute um Minute, Stunde um Stunde, immerhin hatten wir bereits den Stadtrand von Zagreb erreicht! Mit jedem grünen Bus der an uns vorbeifuhr schwand unsere Hoffnung hier noch mal weg zu kommen. Langsam dämmerte die Erkenntnis, dass der Defekt an der Gangschaltung nicht so einfach behoben werden konnte. (Mensch, Putin!)
In der Zeit lernten wir die Fahrgäste kennen, wie die Schriftstellerin Nina Kirkov. Ihr zweites und neuestes Buch hatte den Titel „Vrlo bezobrazna ponuda“. Also was Schmuddeliges…
Sie zeigte uns auf ihrem Smartphone, eine Nachricht von Flixbus. Das Unternehmen entschuldigte sich für die Unannehmlichkeiten. Wir schlichen zurück nach Zagreb – Busbahnhof! Immerhin drei Stunden Stadtrundfahrt, danke Flixbus…
Wir warteten nicht, bis das Unternehmen einen Ersatzbus stellte, sondern ließen uns die Tickets erstatten und kauften zwei neue Fahrscheine für den Nachtbus nach Dubrovnik. Von dort würde morgen sicher ein Bus nach Montenegro fahren.
Jetzt gab’s erst mal ein Ožujsko pivo auf den Schreck. Um 21:00 Uhr kam unser Bus – ein Flixbus! Etwas Bauchweh hatte ich schon bei dem Gedanken. Lange 10 ½ Stunden dauerte die Fahrt, immerhin vertrieb mir die Musik eines britischen Agrarpioniers die Zeit. Am nächsten Morgen um 7:30 Uhr erreichten wir die Stadt an der Adria.

Margots Villa

Der nächste Bus nach Montenegro fuhr um 10:00 Uhr. Wir kauften zwei Fahrscheine bis Herceg Novi. Es ist die erste Stadt nach der Grenze und von dort startet (oder endet) auch die PPT – Primorska Planinarska Transverzala – ein 168 km langer Fernwanderweg über das Küstengebirge Montenegros. Da es mit der Anreise über Belgrad bis Bar nicht geklappt hatte, wollten wir nun in Herceg Novi unsere Wanderung beginnen. Ich hatte mir im Internet einen GPS-Track heruntergeladen. Leider fehlte auf diesem der Zustieg von Herceg Novi. Irgendwie würden wir es aber schon hinauf schaffen.
Die Fahrt dauerte 2 ½ Stunden, was zum einen der Grenzkontrolle geschuldet war, zum anderen einer Straßenbaustelle in Herceg Novi. Üblicherweise regelt eine Ampel an Baustellen den Verkehr, hier gab es solch technische Raffinesse nicht, jeder Fahrer machte seine eigenen Regeln. Dementsprechend ging es bald weder vor noch zurück. Erst als unser Busfahrer und ein Lkw-Fahrer ausstiegen und mit den Bauarbeitern Tacheles redeten bemühte sich einer auf die Straße und endlich ging es weiter.
Leider konnte ich vorab keine Unterkunft buchen, da in Herceg Novi alle im Voraus bezahlt werden wollten, warum auch immer. Und ich wollte nicht die „Katze im Sack“ kaufen! Immerhin gab es eine Touristeninformation. Wirklich weiterhelfen konnte der gute Mann uns jedoch auch nicht. Es gab zwar jede Menge Apartmani, die Hotels lagen jedoch meist weiter weg und das Hotel Plaza wurde gerade renoviert, so der Mann.
Nun was das Plaza betraf lag er zweifelsfrei falsch, das war eine Bruchbude wo es nix mehr zu renovieren gab. Zum Glück gab es ein Stück die Straße weiter noch ein Hotel – eine Villa sogar. „Vila Margot“ stand am Eingangstor. Margot, eine rüstige alte Dame, eine Deutsche, die mit ihrem jugoslawischen Mann vor Jahren hier her gekommen war. Sie hatte tatsächlich ein Zimmer für uns – mit Seeblick!

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Blick auf die Bucht von Kotor vom Balkon unseres Zimmers in der „Vila Margot“. Rechts am Horizont sieht man den südlichsten Zipfel Kroatiens.

Mit gemischtem Fischteller, Schopska Salat und einem Plantaže-Chardonnay aus Montenegro ließen wir in der Konoba „Feral“ den ersten Abend in Montenegro ausklingen.

Wilde Wege

Schon auf dem Weg zum Busbahnhof am nächsten Morgen rannen mir kleine Schweißbäche den Rücken hinunter. Gestern hatten wir auf dem Weg in die Stadt unterhalb des Busbahnhofs Wanderwegmarkierungen entdeckt, die uns zur PPT führen müssten. Seltsamerweise zeigte mein GPS-Track in die entgegengesetzte Richtung! Während wir noch unschlüssig herumrätselten, wem wir nun vertrauen sollten, drang eine Stimme zu uns herüber: „Taxi, Motel Borići.“

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Motel Borići wie es sein sollte.

Die Idee ein Taxi zu nehmen war verlockend. Lediglich konnten wir nichts mit „Motel Borići“ anfangen. Krampfhaft suchte ich auf meinem Smartphone nach besagtem Motel, wurde aber nicht fündig. Wir wollten zur Berghütte „Za Vratlom“. Der Taxifahrer versicherte uns, dass wir von dort in ca. einer Stunde die Hütte zu Fuß erreichen würden. Gut, wir vertrauten den Worten des Mannes, und seinem viel gelobten Daimler uns und unsere Rucksäcke an. Nach etwa 25 Minuten und vielen Serpentinen erreichten wir Motel Borići. Das Motel hatte schon bessere Zeiten erlebt, zwischen Gestrüpp lugte eine Ruine hervor. Aber an den Bäumen leuchtete uns die wohl bekannte Wanderwegmarkierung des Balkans entgegen, der rot-weiße Punkt. Velimir, der Fahrer, bekam sein Geld, wir bekamen seine Visitenkarte, man weiß ja nie!
Der Weg bis zur Berghütte „Za Vratlom“ führte über eine Schotterpiste. Links und rechts am Wegrand wuchs wilder Salbei und Zitronenbohnenkraut. Ersteres passte in unseren Feierabendtee, das andere ins Abendessen.
Das letzte Stück wand sich der Weg in Serpentinen bis zu einem Bergsattel hinauf. Hier hatte sich die EU mächtig ins Zeug gelegt und einen Holztisch mit Bank gestiftet! Bald leuchtete etwas Rotes durch die Bäume, es war die Berghütte. Es war jetzt 11:00 Uhr. Leider war die Hütte verschlossen. Ich hatte mich wieder zu früh auf eine prickelnde Erfrischung gefreut. Unterhalb des Gebäudes in einer Senke befand sich ein Brunnen. Das Wasser war klar, so dass man am Brunnenboden Blechkonserven erkennen konnte, die irgendwann dort hineingeworfen wurden. Egal, wir bastelten uns aus meiner Teetasse und einem Stück Schnur eine Vorrichtung, um an das begehrte Nass zu gelangen. Es war mittlerweile unerträglich heiß. Laut unserem Track verlief der PPT über die Subra, einem 1679 m hohen Gipfel des Küstengebirges.

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Laut unserem Track verläuft die PPT über die Subra, einem 1679 m hohen Gipfel des Küstengebirges. Wir wählen einen anderen Weg.

Laut einer Übersichtskarte am Eingang zur Berghütte wurden die Wanderwege hier in drei Kategorien eingeteilt. Blau markierte Wege waren einfach, rote schon anspruchsvoller und schwarze schwierig. Der Weg über den Gipfel hatte einen schwarzen Abschnitt.
Immerhin schien der Gipfel ein beliebter Ausflugspunkt für Tageswanderer zu sein. Eine Gruppe Serben waren dorthin unterwegs. Einer blieb bei der Hütte, da ihm die Kraxelei nicht zusagte. Nach einer Weile erreichte ein Pärchen die Hütte. Es waren Deutsche, die grad vom Berg kamen. Die Kletterei sei zwar etwas anstrengend gewesen aber machbar. So recht entscheiden konnten wir uns nicht und beschlossen erstmal hier im Schatten der Bäume zu bleiben bis die Mittagshitze vorüber war.
Gegen 16:30 Uhr beschlossen wir weiter zu laufen. Die Wasserflaschen waren randvoll und der Rucksack drückte auf den Schultern. Ich hatte keine Lust mit vollem Rucksack über den Gipfel zu kraxeln. Immerhin gab es eine Alternative. Ein roter Wanderweg führte über den Gipfel Borova glava (1561 m) zur Berghütte „Orjen sedlo“. Dort würden wir wieder auf die PPT stoßen. Laut Wegweiser war diese Route auch deutlich kürzer als der Weg über die Subra. Wir ließen die Subra also links liegen. Anfangs lief es sich recht gut. Ein schmaler aber gut sichtbarer Pfad schlängelte sich durch den Wald. Doch plötzlich zeigte unser GPS-Track nach rechts in die eine Richtung, die Wegmarkierungen aber nach links in die andere Richtung. Was tun?

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Es geht weglos durch dichten Wald.

Wir entschieden uns weiter der Markierung zu folgen. Von einem Pfad war bald nichts mehr zu sehen, die rot-weißen Punkte an den Bäumen zeigten sich jedoch in regelmäßigen Abständen. Das Laufen im weglosen Gelände kostete Zeit. Bald neigte sich der Tag dem Ende entgegen. Am Fuße eines Berges entdeckten wir ein halbwegs steinfreies Stück Wiese. Es reichte von der Fläche gerade für unser Zelt. Ringsherum wucherte Gestrüpp und lagen kahle Baumstämme. Unter uns im Tal standen kahle Baumleichen. Hier musste ein Waldbrand gewütet haben. Vermutlich war der Wanderweg deshalb nicht mehr begehbar und wurde umgeleitet. Meine Beine zierten rote Striemen. Die kurze Hose hatte sich heute schon mal nicht bewährt.

Crkvice – Europas Regendorf

Am Morgen ist es noch frisch. Es geht weglos aber gut markiert weiter, bis zum Abzweig zur Borova glava. Ab da hatte der Pfad uns wieder. Bis zur „Orjen-sedlo-Hütte“ war es nicht mehr weit. Vor einer Wiese zeigte ein Wegweiser zur snježna jama – der Schneehöhle. Die Schneehöhle ist nur ein tiefes Loch im Fels aber auf dem Weg in der Nähe des Wegweisers lag tatsächlich noch Schnee. Ende Mai hatte ich hier nicht mit Schnee gerechnet!

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Ende Mai hatte ich hier nicht mit Schnee gerechnet!

Hinter der Wiese führt der Weg auf eine Schotterpiste. Bis zur Berghütte waren es nur noch ein paar Meter. Auch die Hütte „Orjen sedlo“ hatte geschlossen. Immerhin sollte es hier Trinkwasser geben. Unterhalb der Hütte funkelte ein kleiner See im Sonnenlicht. Bei näherer Betrachtung machte das Wasser jedoch keinen trinkbaren Eindruck. Anne hielt dies aber nicht davon ab in den See zu steigen. Ich begab mich auf Wassersuche. Ein markierter Pfad führt direkt zu einer Quelle (Studenac) – hier im Küstengebirge eine Seltenheit!
Das Orjen Gebirge ist ein Naturpark. Bis zum Nationalpark hat es offensichtlich noch nicht gereicht. Gereicht hat es jedoch für Nationalpark-Ranger, die gegen Mittag hier aufkreuzten als wir gerade im Schatten der Hütte unser Essen machen wollten. Dragan, Nikolaj und Petr wollten auch Mittag machen und hatten wohl nicht mit Wanderern gerechnet. Nach dem „Woher“ und „Wohin“ fuhren die drei wieder in Richtung Vrbanj. Bald hörten wir aufdringliche Geräusche von Motorsägen aus dem Tal. Gegen 13:30 Uhr machten auch wir uns wieder auf den Weg. Dieser führte nun auf der Straße 13 km bis in das Bergdorf Crkvice. Drei Stunden später hockten wir am Dorfrand auf einer Wiese voller Orchideen. Leider gab es kein Wasser. Ein Feierabendkaffee musste dennoch sein!

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Crkvice ist der niederschlagsreichste Ort Europas. Bei uns schien aber nur die Sonne.

Frisch aufgeputscht machte ich mich auf den Weg das Dorf zu erkunden. Ein Schild am Straßenrand weckte meine Neugier: „Camping & Shower, 800 m, 5 € per night“! Ich folgte dem Hinweis und erreichte nach etwa 15 Minuten eine Hütte vor der eine Gruppe Menschen hockten und grillten. Es waren Engländer. Wir wurden eingeladen und ich bekam zu meinen zwei Flaschen Wasser noch eine dritte. Kaum zu glauben, aber in Europas niederschlagsreichstem Ort (im Durchschnitt 4700 mm Regen pro Jahr) musste ich um Trinkwasser betteln.
Zurück auf unserer Wiese beschlossen wir die Einladung anzunehmen, schulterten noch mal unsere Rucksäcke und machten uns auf den Weg zu den Engländern. Einer der Engländer hatte das Grundstück während des Corona-Lockdowns 2020 gekauft. Wir durften unser Zelt aufbauen wo wir wollten, dann gab es Grillhähnchen und Bier!

Grenzgänger

Im niederschlagsreichsten Ort Europas schien auch am nächsten Morgen die Sonne und der Himmel war blau. Bald erreichten wir die Ruinen des k. u. k. Militärlagers Crkvice mit der modernsten und zur damaligen Zeit größten Bäckerei auf dem Balkan und der zweitgrößten in ganz Europa. Pro Tag wurden hier 24 Tonnen Brot gebacken!

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Bald erreichen wir die Ruinen des k. u. k. Militärlagers Crkvice mit der modernsten und zur damaligen Zeit größten Bäckerei auf dem Balkan.

Das Militär hatte die Aufgabe die Grenzen zu sichern. Hier trafen sich die Grenzen des Osmanischen Reiches, Montenegros und der k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarns. Ein Stück weiter befinden sich die Ruinen des Krankenhauses mit einer großen Zisterne. Eine Gruppe Russen campte dort. Das Wasser sei gut. Doch wir waren ja schon versorgt. Unterhalb der Festung „Kom“ gelangten wir auf die alte Militärstraße, die hinunter an die Adriaküste nach Risan führte. Zwischen den Straßensteinen blühten blaue Schwertlilien (Iris).

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Zwischen den Straßensteinen blühen blaue Schwertlilien (Iris).

Es lief sich größtenteils recht gut, bis auf ein paar Kraxelstellen abgesehen, wo Steinschlag die Straße verschüttet hatte. Nur die Hitze war wieder unerträglich! Im Schatten einer Baumgruppe hockend hörten wir Stimmen. Es waren die Engländer, die zu einem Tagesausflug gestartet waren. „Noch eine halbe Stunde, dann gibt’s ein Restaurant!“ Die Info hob meine Motivation gewaltig.
Aus der halben Stunde wurden 3 ½ Stunden! Die Engländer lagen sowas von daneben und meine Laune ebenfalls!
Die Kafana „Grkavac“ liegt an der Straße M8 die bei Lipci die Bucht von Kotor erreicht. Die Engländer hockten bereits am Nachbartisch und versuchten eine Rückfahrmöglichkeit nach Crkvice zu organisieren. Wir organisierten eine Zitronenlimonade, ein Nikšićko svijetlo und zwei Portionen Moussaka mit Schopska Salat. Nach 2 ½ Stunden und dem dritten Pivo ging es mir sichtlich besser – Zeit aufzubrechen.

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Das Stück Wiese vor dem Brunnen war deutlich plattgedrückt. Hier wurde gezeltet! Also machen wir es genauso.

Nach 20 Minuten tauchte linker Hand am Wegesrand ein riesiger Brunnen auf. Das Wasser war trinkbar und das Stück Wiese vor dem Brunnen war deutlich plattgedrückt. Hier wurde gezeltet! Also machten wir es genauso.

Meerblicke

Bereits um 6:45 Uhr waren wir wieder auf den Beinen. Der Weg führte durch den Weiler Donje Ledenice. Hinter dem Dorf ging es stetig bergauf bis zu einem Aussichtspunkt. Unter uns breitete sich der nordwestliche Teil der Bucht von Kotor aus mit seinem Hauptort Risan.

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Unter uns breitet sich der nordwestliche Teil der Bucht von Kotor aus mit seinem Hauptort Risan.

Hinter uns an den Felswänden blühten Blumen wie in einem Steingarten und über dem Weg hatten fette Spinnen ihre Netze gespannt. Unser Wasservorrat hatte schon deutlich abgenommen. Also hockten wir uns unter einen Baum in den Schatten, ich holte mein Smartphone raus, um zu schauen wo die nächste Wasserstelle war.
Dummerweise hatte ich gestern in meiner Nikšićko-Glückseligkeit das Ding an gelassen und nun dümpelte es bei 11% Restkapazität des Akkus vor sich hin, zur „Freude“ von Anne…
Egal, wir liefen weiter. Bald erhob sich vor uns die Festung „Sveti Andrija“. Wie schon die Festung „Kom“ bei Crkvice, ist auch diese Festung hier ein Teil der Grenzsicherungsanlagen aus der Habsburger Monarchie. Auf einer Höhe von 743 m überblickt man von hier die südöstliche Bucht von Kotor bis zum Štirovnik (1749 m) im Lovćen-Gebirge mit seinem gleichnamigen Nationalpark.

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Sveti Andrija – wie schon die Festung Kom bei Crkvice, war auch diese Festung hier ein Teil der Grenzsicherungsanlagen aus der Habsburger Monarchie.

Wir verließen das alte Gemäuer und wandten uns bergab in Richtung des Bergdorfes Gornji Orahovac. Im Gebüsch verschwanden immer wieder große Panzerschleichen, auch Scheltopusik (Pseudopus apodus apodus) genannt. Manchmal lagen die Tiere auch einfach nur rum und stellten sich tot. Trotz ihrer Größe von über einem Meter, sind diese Schleichen harmlos. Die Hornvipern dagegen waren richtige Giftzwerge… Zum Glück suchten sie ihr Heil in der Flucht und verschwanden zwischen den heißen Kalksteinen am Wegesrand.
Gegen Mittag erreichten wir das Dorf. Es schien nicht mehr bewohnt. Immerhin gab es einen Ziehbrunnen mit Eimer an einer Kette. Wir brauchten diesmal nicht unsre Eigenkonstruktion bemühen. Das Wasser war kalt und sauber. Ein Wäldchen am Dorfrand spendete Schatten und unter uns lag die Bucht von Kotor. Keiner hatte Lust weiter zu laufen, so beschlossen wir heute hier oben zu biwakieren.

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Die Bucht von Kotor zur blauen Stunde.

Die Idee hatte noch jemand. Vom anderen Ende des Dorfes kam ein Rucksackwanderer. Gestern war er in Kotor gestartet. Wir fragten gleich nach der nächsten Möglichkeit Trinkwasser aufzufüllen. Doch laut dem jungen Mann gab es auf der gesamten Strecke nur eine Wasserstelle und diese wäre auch nicht so gut. Er hatte das Wasser filtern müssen. Damit stand unser Entschluss fest: Morgen würden wir absteigen und nach Kotor fahren. Immerhin musste ich mein Smartphone aufladen…

Kotors Freizeitbellizisten

Von den drei Abstiegsmöglichkeiten nach Donji Orahovac wählten wir die mittlere. In zahlreichen Serpentinen ging es bergab. Immer wieder querten wir Ameisenstraßen auf dem Weg. Irgendwie fand ich die Viecher bekloppt, sie rackerten den lieben langen Tag bis sie irgendwann den Löffel abgaben…
Hunde waren auch nicht besser. Vor der Bushaltestelle in Donji Orahovac hockte einer von der Größe eines Kalbs. Ein Stück weiter lag ein Schokocroissant auf dem Boden. Anne hockte sich auf die Bank ins Bushäuschen neben den Köter. Ich wartete draußen an der Straße. Es dauerte keine 10 Sekunden da kam das Hundeviech knurrend auf mich zu und kläffte mich an. Eine Dame klärte mich auf, dass der ärgerlich war weil ich neben seinem Schokocroissant stand. Kaum trat ich ein paar Meter zurück stürzte sich der Köter auf den Schokocroissant und schlang es in einer Geschwindigkeit hinunter als ob er 4 Wochen nichts zu fressen bekommen hatte.
Zum Glück kam bald der Blueline-Bus. Kotor erinnerte mich ein wenig an Dubrovnik. Auch hier versteckte sich die Altstadt hinter dicken Mauern. Und auch hier zwängten sich Menschenmassen durch die schmalen Gassen. Warum das so war merkten wir an den Folgetagen. Immer wenn ein Schiff anlegte spuckte es vormittags tausende Passagiere aus, die sich dann schnurstracks zur Stadt begaben. Es war also ratsam am frühen Morgen oder am Abend Kotor zu besuchen.

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Kotor hat viele Kirchen. Hier die kleinste orthodoxe Kirche des Hl. Peter von Cetinje. (Св. Петру Цетињском)

Wir brauchten erst mal ein Dach überm Kopf. Die Dame in der Touristeninformation telefonierte kurz. Das Hotel Marija 2 (es gibt tatsächlich noch ein Hotel Marija) lag im Vorort Dobrota und hatte noch freie Zimmer für 3 Nächte.
Das Zimmer lag zum Glück nicht in Richtung Hauptstraße, doch Seeblick wie in Herceg Novi hatten wir auch nicht. Also ging es erstmal an die Bucht von Kotor. Einen richtigen Badestrand gab es hier nicht nur kleine Buchten direkt neben der Straße. Doch solange die Sonne schien badeten hier die Einheimischen. Verschwand die Sonne gingen auch die Badegäste heim, denn „bez sunca“ machte es keinen Sinn mehr…
An der Uferpromenade reihen sich zahlreiche Restaurants. Wir hatten Lust auf Muscheln, da hörte sich der Name „Caffe del Mare“ vielversprechend an.
Auch die Preise waren vielversprechend. Muscheln in Weißweinsoße für 11,90 EUR, ok! Ein Crnogorski Krstač 0,75 l aus der Weinkellerei Plantaže für 28 Euro, versprach etwas Edles zu sein. Am nächsten Tag gab’s den im Voli-Markt für 3,55 EUR! Immerhin hatten wir Unterhaltung vom Nachbartisch, wo zwei deutsche Freizeitbellizisten angeregt (durch mehrere Točeno Nikšićko) über die aktuelle Geopolitik diskutierten, der dritte im Bunde schwieg und schaute aufs Meer…

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Über den Dächern erhebt sich die orthodoxe St.-Nikolaus-Kirche.

Wir verzichteten am nächsten Tag auf eine 30 bis 40 Euro teure Stadtführung durch Kotor und kauften unser Essen beim Bauern am Straßenrand. Das Highlight auf dem Bauernmarkt vor der Stadt waren Säcke voller Sommersteinpilze und Morcheln! Da freut man sich im Schwarzwald im Mai über ein bis zwei Speisemorcheln und dann sowas!
Am Restaurant Krstac würden wir morgen wieder auf die PPT gelangen, das Problem war: Krstac liegt hoch oben in den Bergen über Kotor… Wir entschlossen uns wie in Herceg Novi für ein Taxi…

Nationalpark Lovćen

Die 25 Euro in das Taxi waren gut angelegt. Vierzig Minuten dauerte die Fahrt auf nicht enden wollenden Serpentinen. Doch noch hatten wir nicht den höchsten Punkt erreicht. Auf der anderen Straßenseite beginnt der Nationalpark Lovćen (nach dem gleichnamigen Gebirgsmassiv benannt). Die PPT führt zwischen zwei Gipfeln hindurch. Dem Štirovnik (1749 m) mit einem Sendeturm und Jezerski vrh (1565 m), auf dem sich in einem Mausoleum die letzte Ruhestätte von Petar II. Petrović Njegoš (1813-1851) Fürstbischof und bedeutender Dichter Montenegros befindet. Er erzielte mit Österreich-Ungarn ein Abkommen zur Unabhängigkeit Montenegros und wird heute von den Montenegrinern als Nationalheld verehrt.
An der Straße zum Jezerski vrh kassierte ein Nationalparkwächter den Obolus von den Autofahrern die zum Mausoleum wollten. Auch wir durften 2 Euro pro Nase und Tag berappen.
Wir verzichteten auf einen Besuch des Jezerski vrh und liefen weiter in Richtung Ivanova korita, einem Wintersportgebiet im Nationalpark Lovćen.

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Über Stock und Stein geht’s nach Ivanova korita.

Das Restaurant Kraljičin Vrt konnten wir nicht links liegen lassen. Weiter führte der Weg durch Wald bis unterhalb des Gipfels Babina glava (1474 m). Von hier hatten wir einen tollen Blick auf die Bucht von Tivat zur Rechten und auf die Bucht von Budva zur Linken. Da es bereits 17:30 Uhr war, entschieden wir uns zu bleiben. Der Tag endete mit einem schönen Sonnenuntergang über der Adria.

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Sonnenuntergang über Tivat.

Bis zum Bergdorf Majstori ging es über einen Bergkamm. Unter uns zur Rechten lag die Küste.
Majstori selbst ist nur eine Kapelle sowie ein paar Häuser, die jedoch temporär bewohnt sein mussten, denn vor den Häusern gab es bestellte Ackerflächen. Ebenso einen Brunnen mit Wasser. Wir machten kurz Pause, dann ging es weiter über eine steinige Hochebene. Die Sonne brannte und wir waren froh als wir endlich den Waldrand erreichten. Ab jetzt zog sich der Weg in die Länge. Immer wieder ging es bergauf und bergab. In weiten Bögen umgingen wir Senken und Berghänge. Als wir eine Wiese erreichten auf der ein unlesbarer Wegweiser stand, zogen Wolken auf und es fielen sogar ein paar Regentropfen.

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Diese Wegweisern führen ins Leere.

Durch die Bäume hörten wir ein Geräusch, das wie das Rauschen eines Wasserfalls klang. Aus der Nähe entpuppte sich der vermeintliche Wasserfall als Starkstromleitung…
Nun ging es bald bergab in Richtung Brajići. Das Dorf liegt an der Straße M-10, die von der heutigen Hauptstadt Podgorica (Titograd) kommend, über die alte Hauptstadt Cetinje nach Budva an die Küste führt. Hier gab es endlich wieder Trinkwasser in Form sprudelnder Quellen. Anne musste sich erstmal unter einen Strauch in den Schatten legen. Im Quellwasser kühlte jemand Bier und Weißwein. Ich füllte unsere Trinkflaschen dann schauten wir uns nach einem besseren Platz für ein Päuschen um. Hinter der Dorfkirche schien es passend…
Noch passender schien uns nach 2 Stunden die Kafana „Kosmač“ unten an der Straße. Mit hausgemachten Käse, Speck und Bratwürstchen sowie Maisbrot hatten wir gleich unser Abendessen. Auf der anderen Seite des Tals erhob sich die Ruine der Festung „Kosmač“. Es war die südlichste Befestigungsanlage der k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn und diente wie die anderen Festungen der Grenzsicherung. Unterhalb des Gemäuers mit Panoramablick auf Budva bauten wir unser Zelt auf.

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Unterhalb des Gemäuers bauen wir unser Zelt auf.

Wasserknappheit

Nicht weit von der Festung sprudelte eine Quelle am Wegesrand aus dem Berg. Wir konnten unsere Flaschen mit frischem Wasser füllen. Zwei Russinnen hatten die gleiche Idee. Sie waren heute Morgen zeitig aufgebrochen und wollten weiter bis Brajići und von da zurück nach Budva. Unser Weg führte erstmal bergauf. Zwischen den Bäumen, meist Flaumeichen, bot sich immer wieder ein Blick an die Küste auf die Bucht von Budva.

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Blick zurück auf Bečići und Budva.

Mitten auf dem Weg tauchte plötzlich eine Gruppe Rindviecher auf, die keinerlei Anstalten machte uns vorbeizulassen. Wir mussten uns in die Büsche schlagen und die Tiere umgehen. Immerhin war das ein Zeichen, dass es bis zum Dorf Ograđenica nicht mehr weit war. Richtig, die ersten Gebäude zeigten sich am Wegesrand und ein Mann mit drei Hunden kam uns entgegen und grüßte auf Deutsch. Bei der Dorfkirche, die dem hl. Spyridon gewidmet ist, gab es Wasser!
Ab Ograđenica liefen wir durch lichte Eichenwälder. Interessant an dem Weg war, dass auf der gesamten Strecke jemand mit dem Rasenmäher drüber gegangen sein musste. Ob es hier sowas wie einen Montenegrinischen-PPT-Verein gab, der sich um den Zustand der Wanderwege kümmerte?

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Der Weg ist wie mit dem Rasenmäher bearbeitet.

Gegen 12 Uhr waren wir erst einmal genug gelaufen. Auf der Isomatte unter Eichenbäumen ließen wir es uns die nächsten 3 Stunden gut gehen. Es gab Pausenbrause und Mittagskaffee. Immerhin sollte laut unserer digitalen Wanderkarte bald wieder eine Quelle oder ein Brunnen kommen.
Am Lovački dom (Lovačka kuća) – einer Berghütte, wie üblich geschlossen, gab es weder Brunnen noch Quelle. Wir hatten noch etwas Wasser in unseren Trinkflaschen. Fürs Abendessen würde es noch reichen. Doch was wenn wir morgen nichts Trinkbares finden? Es gab nur eine Option weiter laufen!
Wir erreichten die M2, welche von Podgorica nach Petrovac na moru führt. Unser Track führte entlang der Asphaltstraße, doch ein Wegweiser bot uns eine Alternative an. Über den Kapa-Aussichtspunkt im Gebirgszug Paštrovska gora zum Aussichtspunkt Tri Roge. (Dort in der Nähe sollte es auch wieder Wasser geben.)

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Über den Gebirgszug Paštrovska gora.

Nach einer Landschildkröte, zerfressenen Täublingen und freiem Blick auf die Küste gelangten wir wieder auf unseren Track. Wie es schien wurde hier an einem Ausguck für Touristen gebaut. Ein Bagger stand am Waldrand und ein Stück davor stand ein Tank – Pitka voda!
Ich drehte den Hahn auf, eine braune Brühe schoss mir entgegen, die nach einiger Zeit heller wurde und sich schließlich in klares Wasser verwandelte…
Wir füllten ein paar unserer Flaschen, der Tag war gerettet! Nach einigen Metern erschien linker Hand eine Holzhütte. Für Anne der ultimative Hinweis heute keinen Schritt mehr weiter zu laufen.

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Unser Biwak an der Schutzhütte Preśeka.

Ich wollte noch die eingezeichnete Wasserstelle finden, schnappte mir die restlichen leeren Flaschen und lief los, um nach einer reichlichen halben Stunde festzustellen, dass ich meine Schöpftasse nicht dabei hatte und in dem Brunnen fette Kröten schwammen…
Wir waren nicht allein an der Hütte. Die zwei Pferde stellten kein Problem dar, die unzähligen Schnaken trieben uns alsbald ins Zelt. Kaum drin, frischte der Wind auf und vertrieb die Schnaken…

Schicksal

Uns trieb es recht früh aus den Schlafsäcken. Bereits 5:45 Uhr ging es weiter. Am Krötenbrunnen füllten wir unsere Flaschen auf. Den Aussichtspunkt Tri Roge ließen wir links liegen. Der Weg wurde unwegsamer und führte durch ein spinnenverseuchtes Hochtal. Immer wieder musste ich mich den tückisch über dem Weg gespannten Netzen erwehren. Die Viecher bekamen es auch immer so hin, dass mir die Spinnweben genau im Gesicht hängen blieben und der Achtbeiner sich dann vom Haaransatz vor meinen Augen nach unten hangelte…

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Der Weg wird unwegsamer und führt durch ein spinnenverseuchtes Hochtal.

Wir erreichten Sozina. An das verlassen Dorf erinnern nun gleich zwei Bauwerke, der gleichnamige Straßen- und der Eisenbahntunnel zwischen dem Skutari See und der Adriaküste. Die letzte Bewohnerin Sozinas hatte am Rand des Wanderweges ihre letzte Ruhe gefunden. Hier zweigte auch ein Wanderweg in Richtung Sutomore an der Adria ab. Sieben Stunden, roter Punkt (also anspruchsvoll). Die PPT zur R28, der alten Verbindungsstraße zwischen Skutari-See und Bar, hatte einen blauen Punkt. Die Entscheidung war gefallen, wir liefen den leichteren Weg!
Eine Wiese hinter dem Weiler lud ein zur heutigen Siesta. Es war nicht einfach geeignete Pausenplätze zu finden. Schattig musste der Platz sein, ein Wind sollte wehen, der die Schnaken vertrieb und genügen Fläche für unsere Isomatten sollte es auch haben. Heute passte es!

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Eine Wiese hinter dem Weiler Sozina lädt ein zur heutigen Siesta.

Während das Teewasser zu köcheln begann, beobachteten wir das Wiesenleben. Schmetterlinge flatterten an uns vorbei. Ameisen, Grashüpfer, Spinnen und komische Käfer versuchten meine Isomatte zu entern. Nach 3 Stunden packten wir ein und liefen weiter.
Die Pause wirkte nicht sehr lang. Schon bald schien das Hirn zu kochen und kleine Bäche liefen an den Schläfen in die Augen und begannen ihr ätzendes Werk.
Irgendwie wollten wir nur noch die Straße erreichen und dann sollte das Schicksal entscheiden! Hielt ein Auto so wollten wir runter nach Bar fahren, hielt keins würden wir unseren Weg fortsetzen. Die nächste Wasserstelle, die uns die Karte offerierte war nicht verlässlich. „No water in summer“ stand dort. Hatten wir schon Sommer? Den Temperaturen nach klar – Hochsommer! Das steigerte nicht gerade die Motivation.
Unten im Tal hörten wir Stimmen und Schafsgeblöke und auf dem Weg lag frische Kuhscheiße. Links klaffte ein Loch im Fels und aus dem Loch führte ein Schlauch. Wir hatten tatsächlich eine Quelle entdeckt, die nicht auf unserer Karte vermerkt war! Das Wasser war klar, es schwammen keine Kröten drin rum und es schmeckte – nach Wasser. Wir füllten die Flaschen auf, doch an unserem Plan, das Schicksal entscheiden zu lassen, hielten wir fest.
Die nächsten 1 ½ Stunden ab der Quelle ging es 200 m hinauf und 100 m hinab, dann standen wir endlich auf der Straße.
Gemütlich schlenderten wir in Richtung Sutorman-Pass. Das erste Fahrzeug fuhr nicht in unsere Richtung, das zweite auch nicht. Das dritte ein Ukrainer, hielt nicht, wir schlenderten weiter. Dann, kurz vor dem Pass hielt ein Auto. Ein Mann und zwei Frauen, die von ihrem Wochenendhaus kamen und zurück nach Bar fuhren, nahmen uns mit. Zwischen Eierkartons und Eimern voller Kirschen zwängten wir uns hinein. Anne bekam den Kirscheimer auf ihren Schoß und wir sollten uns bedienen! Das Schicksal hatte entschieden und gar nicht mal so schlecht…
Oben im Pass stand der Ukrainer, der an uns vorbeigefahren war. Unser Fahrer schien von Flüchtlingen aus der Ukraine nicht gerade begeistert: „Die kommen alle mit ’nem Kofferraum voll Geld hierher!“ war sein Kommentar. „Die fahren die teuersten Autos!“ Wo er recht hatte, hatte er recht! In Bar fuhr nicht nur ein dicker Porsche mit der blau-gelben Flagge auf dem Nummernschild durch die Stadt. Die Fahrer alle unter 60…
Nachdem unser Fahrer einen Teil der Kirschen bei einer Bekannten abgeliefert hatte, bestand er darauf uns in einem Hotel unterzubringen. „Wir haben euch gerettet, also sind wir auch für euch verantwortlich.“ so seine Erklärung auf unsere Bitte, dass er uns irgendwo hier absetzen könne.
Waren da noch Reste aus dem Kanun Verpflichtung?
Das erste Hotel war eine Baustelle, im zweiten klappte es dann. Wir verabschiedeten uns von unseren „Rettern“ und bezogen Quartier im Hotel Franca. Wir buchten zwei Nächte…

Nächstenliebe

Das alte Bar (Stari Bar) wurde am Ostersonntag 1979 von einem Erdbeben (eigentl. Seebeben) heimgesucht und stark zerstört. Ich überlegte: Damals war ich 12 Jahre alt und wir hatten keinen Fernseher also hatte ich von dem Ereignis auch nichts mitbekommen…
Das Bar indem wir uns jetzt aufhielten war das neue Bar und entsprechend praktisch erbaut worden. Breite Alleen gesäumt von Wohnblocks bestimmen das Stadtbild. Die katholische und die orthodoxe Kirche sahen aus als ob sie erst gestern errichtet wurden. Etwas gemütlicher ging es an der Strandpromenade zu. Zahlreiche Restaurants luden zur Einkehr ein.

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Die katholische Kirche in Bar.

Die Nacht im Hotel war alles andere als erholsam gewesen. Die Klimaanlage zu laut, das Wasser nicht wirklich kalt und mein Schädel glühte wie ein Heizstrahler… Ich hatte wohl doch etwas zu viel Sonne abbekommen.
Wir mussten uns nun darüber Gedanken machen, wie es weiter gehen sollte. Die PPT hatte sich erledigt. Doch durch Montenegro führt ja noch ein anderer Weitwanderweg, einer den wir vor zwei Jahren begonnen hatten – die Via Dinarica. Sie führt von Bosnien kommend durch das Durmitor-Gebirge. Von Bar fuhren Busse und Züge nach Podgorica, der Hauptstadt Montenegros. Von dort würden wir sicherlich weiter kommen. Unser Ziel war der Piva-Stausee.
Ein Bus fuhr um 8:40 Uhr nach Podgorica, ein Zug um 9:23 Uhr. Wir entschieden uns für die Zugfahrt.

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Bildnis des hl. Jovan Wladimir, dem Schutzpatron der Stadt.

Heute, der 4. Juni, war ein besonderer Tag für Bar. Tausende orthodoxe Serben in unterschiedlichen Trachten versammelten sich zu einer Prozession zu Ehren des hl. Jovan Wladimir, dem Schutzpatron der Stadt. Nach dem Abendgottesdienst vor der Kirche Sv. Jovana Vladimira ging es durch die Stadt bis hinauf auf den Berg Rumija. Noch waren die Gebete in vollem Gang. Auf der Straße vor der Kirche hatten sich bereits Gläubige versammelt. Ein Typ mit großem Holzkreuz, winkte in meine Richtung. Meinte der mich, sicher nicht. Doch, der kam auf mich zu, packte mich am Handgelenk, umarmte mich und küsste mich auf jede Wange. Dann zog er mich mit auf die Straße zu einem anderen Kreuzträger. Immer wieder wurde ich abgeknutscht. War das nun Nächstenliebe? Wie der heilige Wladimir sah ich nun wirklich nicht aus, oder doch? Nach einer Weile ließ der Typ mich wieder los, ich konnte zurück an den Straßenrand und war nun vermutlich auf zig Instagram-Accounts zu sehen…

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Auch die Kirchenprominenz fehlt nicht.

Als sich die Menge in Bewegung setzte, bewegten wir uns auch aber ins nächste Restaurant auf einen Rosé und gegrillte Dorade.

Fehlentscheidung

Dass der Bus nach Podgorica gleich bei unserem Hotel hielt bekamen wir am nächsten Morgen mit, als er uns grad vor der Nase wegfuhr. Also blieb uns doch nur der lange Weg zum Bahnhof. Der Zug fuhr pünktlich um 9:23 Uhr ab (obwohl er nicht so aussah) und um 10:43 Uhr waren wir in Podgorica. Um 13:35 Uhr fuhr ein Bus zum Piva-See. Auf dem Fahrschein stand Mratinje, also Staumauer. Wir sollten auf Plattform 10 den Bus nach Sarajevo nehmen. Es war genug Zeit, um die montenegrinische Küche zu testen: Podgorički popeci (panierte Fleischröllchen mit Schinken und Remoulade) und natürlich Nikšićko pivo.
Der Bus nach Sarajevo war eine Marschrutka. Wir zahlten unsere Rucksackgebühr und zwängten uns in die Sitze. Der Fahrer platzierte seine Bierdose in greifbare Nähe dann ging es los…
Einen Teil der Strecke kannte ich bereits von meiner Taxifahrt zum Kloster Ostrog 2015. Schon von weitem erkannte ich das Gebäude. Wie ein Schwalbennest klebte es an der Felswand.

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Am Piva-Stausee, von hier soll es in den Nationalpark Durmitor gehen.

Bierwerbung in Nikšić – was sonst! Dann ging es zum Piva-Canyon. Zwischen den Massiven des Maglić und Piva windet sich der 33 km lange Canyon. Der Fluss wurde 1975 angestaut und bildet heute den Piva-Stausee – Pivsko jezero. Unsere Endstation war Mratinje. Dort befindet sich ein Wasserkraftwerk unterhalb der 220 m hohen Staumauer. Die Busfahrt dauerte rund 3 Stunden. Ein Fahrgast gab uns den Tipp am Ende der Staumauer nach links durch den Tunnel zu gehen. Wir wollten aber nach rechts, der Via Dinarica in Richtung Durmitor folgen. Der dachte sicher, unser Ziel sei der Maglić.
Irgendwie hatte ich mir den Ort anders vorgestellt. Da hockten wir nun, hinter uns der Stausee. Neben uns die Staumauer und vor uns die Schlucht mit dem Fluss. Es war jetzt 16:45 Uhr. Wir schnappten unsere Rucksäcke und stiegen rechts den Hang hinauf – ein Fehler! Der Weg war extrem steil. Bereits der Einstieg erfolgte über eine Eisenleiter. Dann wurde es nicht besser. Völlig zugewachsen und abschüssig erwies sich der Pfad. Und laut Karte sollte es so auch noch bleiben. Wir würden wenn überhaupt wohl erst sehr spät oben auf dem Plateau ankommen. Das machte keinen Sinn! Ich fluchte, Anne schlug vor umzukehren. Kluge Frau! So machten wir es dann auch.

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Der Fluss Piva bildet eine beeindruckende Schlucht zwischen den Massiven Maglić und Piva.

Nach 1 ¼ Stunden standen wir wieder an der Staumauer. Was nun? Zum biwakieren war der Platz nicht wirklich geeignet. Immer wieder knatterten Motorradkonvois über die Straße. Wir beschlossen zurück zu trampen bis nach Plužine. Den Ort hatten wir vom Bus aus gesehen und er hatte einen recht netten Eindruck gemacht.
Es dauerte auch nicht lange und ein Auto hielt in tarnfarbenem Militärgrün mit gelben Lampen auf dem Führerhaus. Grenzpolizei? Nein, es waren zwei Deutsche, die den Kleinbus von einem Forstbetrieb erworben hatten. Sie wollten oberhalb des Stausees an einem Aussichtspunkt übernachten. Sie fuhren uns bis Plužine und setzten uns direkt vor der Gostionica EKO Piva ab. Ein Zimmer mit Frühstück kostete 35 Euro. Die meisten Gäste schienen Motorradfahrer, ähm Biker, zu sein… Bei Lammsuppe und Weißem Podgorica (Podgoričko bijelo, 1 Liter für 7 Euro) kamen wir mit einem ins Gespräch, der morgen noch bis Dubrovnik wollte. Wir wollten morgen bleiben und eine Tagestour machen.

Ausblicke

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Auf der anderen Seite der Nationalpark Durmitor.

Über Plužine erhebt sich der Zarisinik, ein Aussichtsgipfel 1314 m hoch und somit für eine Tageswanderung sehr gut geeignet. Zumindest war das die Meinung des Typen in der Touristeninformation. „Es wird heute regnen“ gab er uns noch mit auf den Weg. Es ging stetig bergauf, vorbei an kläffenden Hofhunden, Bauern die Heu machten und einer Weide auf der ein Schild vor Bullen warnte. Also richtige Bullen mit Hörnern und so…
Nach etwa zwei Drittel des Weges fing es an zu regnen! Der Schauer dauerte 5 Minuten, aber der Mann in der Info hatte recht behalten. Auf dem Zarisinik schien wieder die Sonne. Unter uns blinkte das blaue Wasser des Stausees und gegenüber im Nordwesten ragte das Maglić-Massiv empor (dort waren wir schon gewesen), auf der anderen Seite im Osten die Berge des Durmitor (da wollten wir hin).

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33 km lang ist der Piva-Canyon.

Nationalpark Durmitor

Zurück an die Staumauer wollten wir nicht mehr. Hinter der Brücke, die über den Stausee führt, zweigt rechter Hand eine Straße ab in Richtung Trsa. Von dort zweigten Wanderwege in den Nationalpark Durmitor ab.

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Tunnel auf der Schotterpiste in Richtung Trsa.

Es gab auch jede Menge Tunnel auf der Schotterpiste. Unsere Stirnlampen hatten mal was sinnvolles zu tun. Hinter dem 4. oder 5. Tunnel hielt ein Auto.
Die Rucksäcke fanden auf der Rückbank ihren Platz, wir auch noch. Schon schraubten wir uns die Serpentinen hoch und wurden 20 Minuten später in Trsa abgesetzt.
Bei zwei Schweppes im Etno-Village Milogora überlegten wir uns die nächsten Schritte. Diese sollten uns auf bestem Weg in den Nationalpark Durmitor führen. Außerdem hatten wir ja die Via Dinarica verlassen und wollten nun versuchen diese so schnell wie möglich wieder zu erreichen. Anfangs ging es auf einem markierten Wanderweg bis in einen Bergsattel zwischen den Gipfeln Jokanovića Urljaj (1702 m) und Pištet (1675 m). Auf den Wiesen blühten Albanische Lilien (Lilium albanicum) und weideten Rindviecher. Ab dem Sattel ging es auf einem spärlich sichtbaren und unmarkiertem Pfad in Richtung Sušica-Canyon. Der Fluss Sušica entspringt aus dem Skakala-Wasserfall, fließt mal ober- mal unterirdisch in den Sušičko jezero, gräbt sich dann durch den Canyon und mündet weiter nördlich in die Tara.

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Der Sušica-Canyon am Beginn des Nationalparks.

Bald hatte ich den Track der Via Dinarica wieder auf dem Display meines GPS. Der Weg kam vom Weiler Nedajno und stieg beim Aussichtspunkt Ivovac hinunter auf die Straße, die zum Sušičko jezero führt. Am Aussichtspunkt hockten zwei Ranger vom Naturpark Piva (PpP – Park prirode Piva), die uns gleich den Wegezoll von 1 Euro pro Nase abnahmen. Einen Weg der hinunter zum See führte gab es nicht! Da wir nicht lebensmüde waren, versuchten wir es auch gar nicht erst einen Weg zu finden. Die Felsen fielen senkrecht hinunter in den Canyon. Auch die Markierungen waren links und rechts der Straße angebracht. Wir folgten der Straße.
Auf engen Haarnadelkurven ging es hinab zum See und zur Berghütte Planinarski dom „Sušica“, die, wie kann es anders sein, geschlossen war. Immerhin sprudelte eine Quelle unterhalb der Hütte aus dem Berg.

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Laut unserer Karte ist hier ein offizieller Biwakplatz.

Laut unserer Karte war hier ein offizieller Biwakplatz. Das hieß: Zelten direkt am See! Wir waren nicht allein. An der Hütte stand ein Kleinbus. Die Besitzer, eine Holländerin und ein Spanier bereiteten grad ihr Abendessen zu – Gemischter Salat und Rotwein. Wir taten es ihnen gleich – Tütenfutter und Kräutertee…
Die Sonne war bereits hinter den Bergen verschwunden, da gesellte sich ein dritter Wanderer zu uns. Ein deutscher Langstreckenwanderer, der in Griechenland gestartet war und nun nach Hause lief. Heute war er 12 km vor Žabljak losgelaufen und jetzt hier gelandet. Das bedeutete, dass er den ganzen Durmitor an einem Tag durchquert hatte. Wir erfuhren, dass der Abstieg vom Gipfel der Planinica (2330 m) schneefrei war aber sehr steil! Das würde übermorgen unser Aufstieg sein. Das Pärchen versorgte ihn mit dem Rest ihres Abendessens. Wir hockten uns zu den Beiden und wurden mit dem Rest ihres Rotweins versorgt…
Es dämmerte schon fast, da kamen weitere Besucher – vier Hunde. Einer hinkte. Ein Wanderer soll sie gestern von Žabljak über die Berge mitgebracht haben, erzählte uns die Holländerin. Vielleicht würden wir sie morgen wieder heimführen?

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Die letzten Strahlen den Abendsonne.

Drei-Seen-Wanderung

Die vier Hunde führten wir nicht heim. Erstens waren es nicht mehr vier. Gestern Abend raschelte es irgendwo im Gebüsch, die Köter stürzten also los. Irgendwann jaulte einer und zurück kamen nur noch drei! Den vierten hatte wohl der Bär oder der Teufel geholt…
Und zweitens waren die drei verbliebenen Hunde wieder irgendwo auf Pirsch. Wir liefen also allein weiter. Unser Tagesziel war heute die Berghütte Planinarski dom „Škrka“ oberhalb des Großen Škrka-Sees (Veliko Škrčko jezero) und des Kleinen Škrka-Sees (Malo Škrčko jezero). Den steilen Aufstieg zur Planinica wollten wir am nächsten Tag angehen. Man lernt halt dazu!

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Bärlauch wächst am Wegesrand.

Kaum lag der Sušičko jezero hinter uns, da gab es erneut Wasser. Ein ordentlicher Gewitterschauer trieb uns unter unsere Ponchos. Bärlauch und Süßdolden bedeckten den Waldboden. Erst am Aufstieg zum Skakala-Wasserfall hörte es auf zu regen.
Die Škrka-Hütte war – offen! Ja! Aber halt nicht bewirtschaftet und ziemlich ranzig im Innern. Wir zogen es vor draußen unser Zelt aufzubauen. Immerhin konnten wir im Trockenen kochen falls es wieder regnen sollte. Zum Kochen braucht man Wasser und davon hatten wir nicht mehr viel. Laut Karte sollte an der Hütte eine Quelle sein. Da war aber keine. Ich schnappte mir also die Wasserflaschen und lief zurück zum Wasserfall. Kaum war ich wieder bei der Hütte fing es an zu regnen. Außerdem hatte Anne Neuigkeiten zu berichten. Neben der Hütte gab es Gämsen und eine Quelle.

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Immer wieder ziehen Gewitterwolken auf.

Der Regen hörte nicht mehr auf, ein Gewitter jagte das nächste. Erst am Abend kam wieder die Sonne zum Vorschein und strahlte auf die Bergketten unter den tiefblauen Gewitterwolken. Wir genossen unser Bärlauch-Käse-Risotto, tranken Süßdoldentee und beobachteten das Schauspiel der Natur.

Regen

Die Nacht war regnerisch und stürmisch, doch am Morgen schien die Sonne. Wir waren guter Dinge. Unklar war nur, dass der Weg zur Planinica zwar auf meiner Karte verzeichnet aber auf den Wegweisern vor Ort nirgends auftauchte. Den Einstieg fanden wir mit etwas Glück aufgrund eines Steinmännchens im Geröll. Ab dort tauchten schließlich wieder die rot-weißen Punkte auf, wenn auch nur schwach. Je höher wir stiegen desto steiler wurde es. Das machte mir nicht wirklich Sorgen. Die dunkle Wolkenwand im Rücken dagegen schon.

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Die dunkle Wolkenwand im Rücken macht mir Sorgen.

Nach etwa 2 ½ Stunden standen wir auf dem Gipfelplateau der Planinica. Rechter Hand, der Bobotov Kuk, mit 2523 m höchster Berg des Durmitor-Massivs, hatte sich bereits in Wolken gehüllt. An seiner Nordflanke klebten noch ausgedehnte Schneefelder.
Wir pausierten nicht lang, denn das Wetter wurde immer ungemütlicher. Ein kalter Wind kam auf und kurz darauf fielen die ersten Tropfen. Es sollte bis Žabljak nicht mehr aufhören zu regnen!
Der Abstieg führte über einige flache Restschneefelder und durch dichte Latschenkiefernbestände.
Die waren besonders lästig, blieb ich doch ständig mit dem Rucksack an den Ästen hängen. Was die Nationalparkhüter wohl mit den Einnahmen anstellten? Für die Pflege der Wege schienen sie nicht bestimmt zu sein…

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Der Abstieg führt durch dichte Latschenkiefernbestände.

Am Ende des Hochtals ging es noch mal steil bergab. Ein Felssturz hatte einen Teil des Wanderwegs verschüttetet. Unter einer Tanne gab es tatsächlich noch ein trockenes Plätzchen für eine kurze Futterpause. Trotz des Ponchos waren meine Klamotten klitschnass und die Hände starr vor Kälte. Die Schnürsenkel der Schuhe tanzten auf dem Boden um meine Füße herum. Ich ließ sie machen. Wir erreichten eine Forststraße. Nach einer Weile bog unser Track in Richtung Crno jezero (Schwarzer See) ab. Wir ignorierten ihn, wollten nur noch so schnell wie möglich nach Žabljak. Die ersten Häuser kamen in Sicht, es wurde touristischer. Reisebusse standen am Straßenrand, Menschen mit Regenschirmen wandelten auf dem Bürgersteig. Das erstbeste Hotel gehörte uns! Das „Soa“ war ganz nett, wenn auch nicht billig. Immerhin gab’s eine Sauna und zum Abendessen gebackenes Lamm (Jagnjetina pečena, 14,00 EUR). Das wäre was für daheim im Römertopf!
Eigentlich wollten wir ein paar Tage in Žabljak bleiben und auf Tagestouren durch die Berge wandern. Der Wetterbericht brachte uns in die Realität zurück – Regen für die nächsten 4 Tage! Das Wetter machte den Bergen alle Ehre, so soll Durmitor vom keltischen Wort „dwr“ abgeleitet sein und das bedeutet „Wasser“.
Wasser hatten wir genug gehabt. Wir sehnten uns wieder nach Sonne und wo gab’s genug davon?
Richtig, im Küstengebirge. So beschlossen wir morgen nach Herceg Novi zu fahren, uns bei Margot ein Zimmer zu nehmen und für 2 oder 3 Tage mit wenig Gepäck von der Berghütte „Za Vratlom“ die Gipfel Veliko Ćedilo und Subra zu erklimmen. Die hatten wir ja am Beginn unserer Tour bewusst ausgelassen.

Wieder bei Margot

Es nieselte als wir zur Bushaltestelle liefen. Laut der Dame von der Hotelrezeption sollte von Žabljak ein Bus direkt nach Herceg Novi fahren. War das nun eine Falschmeldung (für Leute von heute: Fake News)? Der Bus fuhr nur bis Podgorica, doch wir hatten Glück, es ging mit einem anderen Bus gleich weiter nach Herceg Novi. Die Route führte über Montenegros alter Hauptstadt Cetinje. Somit trafen wir alte Bekannte: über dem Ort der Jezerski vrh mit dem Mausoleum, auf dem Weg hinunter nach Budva die Festung „Kosmač“ wo wir genächtigt hatten, auch die gleichnamige Kafana existierte noch und natürlich die spinnenverseuchten Eichenwälder zwischen knochenbleichen Kalkfelsen…
Ich fand es schön wieder dort vorbeizufahren, wo man vor kurzem langgelaufen war. Budva war ein Gewirr aus engen Straßen und Hochhausfassaden. Bei Lepetane endete die Küstenstraße – Jadranski put, es ging aufs Wasser. Mit der Fähre schipperten wir nach Kamenari. Wieder auf der Küstenstraße, ging es nun bis Herceg Novi. Margot hatte ein Zimmer frei, wir buchten 2 Nächte.

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Wieder in Herceg Novi bei Margot.

Der „Ruhetag“ war notwendig! Immerhin mussten wir mal unsere Klamotten waschen. Gut die Wandersocken hatte ich bereits in Žabljak geduscht. Es war lustig, das Waschwasser aus dem linken Socken war rotbraun, das aus dem rechten war schwarz…
Auch der obligatorische Marktbesuch war fällig. Klar Kirschen, Gurken, Tomaten, Käse, Schinken (sehr gut) und harte Wurst fürs Abendessen. Und für daheim: Sliwowitz der Sorte Šljiva (auch Prunus domestica oder Pflaume) und Dunja (auch Cydonia vulgaris oder Quitte). Natürlich durften wir kosten…

<Nur für Ossis>

Auf dem Rückweg entdeckten wir etwas Interessantes: Im Museum „Velikogo Mastera“ („Великого Мастера“) gab es eine Ausstellung zu Ehren des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow – „Выставка Михаила Булгакова“. Nun, und natürlich drehte es sich hauptsächlich um sein berühmtestes Werk „Der Meister und Margarita“ („Мастер и Маргарита“). Woland, „Professor für Schwarze Magie“ prangte an der Wand und verfolgte einen mit seinem Blick. Aus einer Jacketttasche schaute Asasellos Hühnerbein. Natürlich fehlten auch nicht Wolands Gehilfen Korowjew und Behemoth. (Vor dem Eingang hockte tatsächlich eine Katze!)

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Wolands Gehilfen Korowjew und Behemoth.

Doch auch wichtige Details lagen hinter Glas: der Komsomolzenausweis von Annushka, die das Öl verschüttet hatte (Аннушка уже разлила масло.) und somit alles ins Rollen brachte. Oder der Kocher mit dem Behemoth die Wohnung Nr. 50 in der Sadowaja 302b abrennen ließ. Aber wie heißt es: „Рукописи не горят!“ – „Manuskripte brennen nicht!“ Und so blieb die Geschichte der Nachwelt erhalten…
Uniformen in Vitrinen bilden den Übergang zu Bulgakows Zeit im Russischen Bürgerkrieg, wo er sowohl bei den Roten als auch bei den Weißen kämpfte. Bulgakows Freundschaft mit Antoine de Saint-Exupéry wurde thematisiert und sein Verhältnis zu Stalin, der anscheinend große Stücke auf ihn hielt.
Über russische Geschichte erfuhren wir auch so einiges: Zar Nikolaus II, ein Freund des Kognaks, versteckte das Getränk in seinen Stiefeln, wo es seine Gemahlin nicht fand…

</Nur für Ossis>

Tageskraxeleien im Orjen

Wie wir am schnellsten nach Borići kamen, wussten wir ja nun. Ein Taxi gegenüber vom Busbahnhof war schnell gechartert. Die Fahrt kostete jetzt 5 Euro mehr. Das Taxi hatte diesmal ein Schild auf dem Dach…
Auf dem Weg zur Berghütte „Za Vratlom“ hatte sich einiges verändert. Die Orchideen und Lilien waren verschwunden, dafür gab es Walderdbeeren und Kamille.
Die Hütte war immer noch dicht. In der Senke bei dem Brunnen stand jedoch ein Zelt. Wir stellten unseres dazu und machten uns auf den Weg zum Veliko Ćedilo. Die Wanderung ist ein rund 4 km langer Rundkurs über den 1466 m hohen Gipfel.

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Bis zum Gipfel müssen wir etwas kraxeln.

Der Weg führt vorbei an der Žljebska jama, einem 90 m tiefen Loch im Berg. Außerdem stehen mitten im Wald die Reste ehemaliger Häuser. Auf dem Waldboden erinnern terrassenartige Gebilde an einstige Felder. Wir fragten uns warum der Weiler verlassen wurde. Vielleicht gab es hier mal Wasser und irgendwann versiegte es? Bis zum Gipfel mussten wir etwas kraxeln. Dann genossen wir die Rundumsicht. Im Nordosten sahen wir den Militärweg von der Festung „Kom“, den wir von Crkvice kommend gelaufen sind. Auf der anderen Seite im Nordwesten erhob sich die Subra, dort hinauf wollten wir morgen.

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Im Nordosten ist Militärweg von der Festung „Kom“, den wir von Crkvice kommend gelaufen sind.

Nach rund 2 ¾ Stunden waren wir wieder am Zelt und lernten unsere Nachbarn kennen. Eine Gruppe Russen, die heute auf dem Subra-Gipfel waren. Sie packten gerade ihre Sachen zusammen und wollten zurück nach Herceg Novi. Laut ihren Infos würde die Berghütte am 17. Juni öffnen. Nun ja, egal. Da würden wir wieder in Deutschland sein.
Unser Abendteewasser köchelte im Topf, da traf noch jemand ein. Eine Amerikanerin die heute in Kameno gestartet war und morgen ebenfalls auf die Subra wollte. Der Berg schien recht populär zu sein unter Montenegro-Wanderern…
Die Dame hatte einen Wasserfilter dabei aber kein Zelt. Sie würde immer unter freiem Himmel biwakieren. Eine extra Ladung Mückenspray schien ihr dabei zu helfen, ihre Arme und Beine glänzten wie Speckschwarten.

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Die Subra ist mit 1679 m einer der höchsten Gipfel im Orjen-Gebirge.

Die Subra ist mit 1679 m einer der höchsten Gipfel im Orjen-Gebirge. Wir entschieden uns für den einfachen Normalweg auf den Gipfel. Von der Berghütte ging es erstmal durch ein verkarstetes Hochplateau. Wir kamen noch an zwei Brunnen vorbei, bevor der eigentliche Aufstieg zum Gipfel begann. Die „Schlüsselstelle“ liegt bereits im unteren Bereich, das sogenannte Subra-Plateau (Subrini plato). Es ist ein Kalksteinplateau mit tiefen senkrechten Spalten im scharfkantigen Fels. Wir hatten das Gefühl über einen Kalkgletscher zu laufen. Eine Markierung weist darauf hin hier vorsichtig zu sein. Anschließend führt ein steiler aber gut ausgetretener Pfad auf das Gipfelplateau, das wir nach 2 ¼ Stunden erreichten.

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Anschließend führt ein steiler aber gut ausgetretener Pfad auf das Gipfelplateau, das wir nach 2 ¼ Stunden erreichen.

Die Aussicht fand ich nicht so spektakulär wie die vom Veliko Ćedilo auf dem wir gestern waren. Das lag wohl auch daran, dass der Veliko Ćedilo heute einen Großteil des Weges verdeckte den wir damals gelaufen sind. Immerhin wir sahen die Adria und den höchsten Gipfel des Orjen, den 1894 m hohen Zubački kabao.
Hinab ging es auf dem gleichen Weg. Auf dem Kalkgletscher begegnete uns die Amerikanerin. Nach insgesamt 4 ½ Stunden (inklusive Kamillenblütensammelzeit) waren wir wieder an unserem Zelt. Es war jetzt kurz nach 11 Uhr. Hier bis zum Abend rumzuhängen wollten wir nicht. Also beschlossen wir nach einer ausgiebigen Trinkpause weiter abzusteigen bis Herceg Novi. Margot wird sicher ein freies Zimmer haben.
Bis zum Motel Borići ging es über bekanntes Terrain. Dann führte ein schmaler Pfad durch Kiefernwald stetig bergab. Brunnen und Quellen gab es hier genügend. In Kameno kehrten wir in die Kafana „Karakas“ ein – auf ein, zwei Bierchen. Vielleicht erscheint ja die Amerikanerin, die hier ihr Auto geparkt hatte? Sie erschien nicht! Und nein, wir wollten laufen! Und es lief sich ausgezeichnet, mit zwei Bier. Ich hatte den geopolitischen Durchblick und konnte die Welt erklären.
Über eine historische Bogenbrücke (Matkovića most) aus Felsgestein erreichten wir die ersten Häuser von Herceg Novi. Nun zog sich der Weg schier endlos durch den Ort, erst als wir die Festung Kanli kula erreichten, wussten wir wo wir uns befanden. Gegen 17:30 Uhr standen wir schließlich vor Margot’s Hotel.

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Ende!

Abschied von Montenegro

Das Ende unsere Reise bahnte sich an. Wir brauchten noch Busfahrscheine nach Dubrovnik und ich brauchte einen Frisör. Ersteres bekamen wir problemlos, letzteres erwies sich als ein aussichtsloses Unterfangen. Mit einem Bad in der Adria und einer Fischplatte für 2 Personen in der Konoba „Feral“ ging unsere Zeit in Montenegro zu Ende.
Bis auf die Tatsache, dass ein Pärchen an der Grenze zu Kroatien aus dem Bus geholt wurde, verlief die Fahrt nach Dubrovnik problemlos. Wir wollten diesmal nicht bis Zagreb durchfahren und kauften lediglich Fahrkarten nach Split. Das Hotel Villa Marjela buchte ich übers Smartphone. Die Villa lag etwas abseits vom Zentrum, zwischen Plattenbauten unweit des Yachthafens. Das Hotel war gut, nur das Bett überlebte die Nacht nicht. (Wir haben geschlafen!) Dafür bekamen wir einen Preisnachlass…
Sehr zu empfehlen ist das Restaurant „Lučica“ im Yachthafen. Es gab für Anne Kalbshaxen („Teleće bržole“ nicht zu verwechseln mit „janjeća koljenica“ also Lammkeule) und für mich ein bisschen von allem („Svega po malo“, 14,80 EUR), ja das hieß wirklich so und das war es auch. Dazu ein weißer Malvazija aus Istrien. (Da wollen wir auch noch hin.)
Die Fahrkarten nach Zagreb mussten wir am Busbahnhof in Split bar bezahlen, Kreditkarten akzeptierte die Dame am Schalter nicht. (Und da will man das Bargeld abschaffen?!) Das Hotel „Central“ kostete rund 14 Euro weniger als das letzte mal. Da sag nochmal einer alles wird teurer… Und im „Vinodol“ gab’s nun endlich Lammkeule (25,55 EUR).
Der Zug nach Villach kam pünktlich. In Österreich gab es nun auch keine Masken mehr in den Zügen. Ab Salzburg dann weiße vermummte Gestalten auf den Sitzen. Ich war wieder in Deutschland! Zuhause? Nein!

***

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2 Gedanken zu „Über Montenegros weiße Berge (Balkan Mai/Juni 2022 – Montenegro)

  1. Der erste Satz („Gesundheitsterror“) und das Infragestellen der Schuld Putins am russischen Einmarsch in die Ukraine passen nicht zum übrigen Niveau dieses Reiseberichts.

  2. So schön in diesen verrückten Zeiten, ähnlich Gesinnte auf ihren Wegen durch die Berge, die Länder, die Welt begleiten zu können!
    Höchsten Respekt für Eure hingebungsvolle Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel!
    Und bei aller Unterhaltung Dank für die Informationen rund um Infrastruktur, Preise e.t.c..
    Bei den letzten drei Sätzen kamen mir ganz kurz die Tränen.
    Besser und knapper kann man es nicht ausdrücken!

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